Justizministerin Katarina Barley hält die Musterfeststellungsklage für einen „riesigen Fortschritt“ zum Schutz des Verbrauchers. Foto: AFP

Die Musterfeststellungsklage soll Verbrauchern leichter zu ihrem Recht verhelfen. In Maßen mag das gelingen, doch zu viel Hoffnung ist verfehlt. Zu groß ist die Angst vor einer „Klageindustrie“ nach US-Vorbild.

Berlin - Wenn die noch neue Bundesjustizministerin Katarina Barley von einem „riesigen Fortschritt“ bei den Verbraucherrechten spricht, dann ist da ein gehöriges Maß an Werbung für das eigene Haus mit dabei. Ihr Amtsvorgänger Heiko Maas hatte einst die Musterfeststellungsklage vorangetrieben, die nun vom Kabinett durchgewinkt wurde. Manch einem Verbraucher wird sie nutzen, doch riesig ist der Fortschritt keinesfalls.

Das zeigt schon ein Blick auf das Recht der Kapitalanleger, in dem es eine ähnliche Klage bereits gibt. 16 000 Telekom-Aktionäre gehen gegen den Bonner Konzern vor, weil der bei seinem dritten Börsengang im Jahr 2000 falsche Angaben in den Werbeprospekten gemacht haben soll. Der Prozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt läuft seit dem Frühjahr 2008 – der erste Musterprozess wohlgemerkt, die Einzelklagen müssen dann erst noch folgen. Auf das System der Vor- und Hauptprozesse setzt auch die nun auf den Weg gebrachte Klageform. Von November an soll sie zum Einsatz kommen.

Das Modell sieht vor, dass ein Verband stellvertretend für die Verbraucher vor Gericht zieht. Mindestens 50 Betroffene müssen sich dafür in ein Register eintragen, wer mitmacht, hat keine Kosten. In dem Musterverfahren werden dann einzelne Fragen geklärt, mit Blick auf die allgegenwärtige Diesel-Problematik etwa, ob ein entsprechendes Fahrzeug tatsächlich als mangelhaft anzusehen ist oder ob der Hersteller die Kunden arglistig getäuscht hat. Das Ergebnis führt aber nicht automatisch zu Schadenersatz, sondern ebnet nur den Weg für einen zweiten Prozess. Die konkrete Summe muss jeder Verbraucher wieder allein vor Gericht einklagen, im Zweifel trägt er dabei ein Kostenrisiko.

Allerdings können vor einem Urteil der Verband und das Unternehmen auch einen Vergleich schließen, wodurch jeder Verbraucher, der sich zuvor im Klageregister eingetragen hat, eine gewisse Summe als Entschädigung ausgezahlt bekommt. Ob sich die Unternehmen auf solche Vergleiche einlassen oder ob sie ihre rechtlichen Möglichkeiten bis zur letzten Instanz ausschöpfen, gehört zu den großen Unbekannten. Bei den in den USA beliebten Sammelklagen enden mehr als 90 Prozent der Verfahren mit einem Vergleich. Allerdings ist es gerade die Furcht vor amerikanischen Verhältnissen, welche in Deutschland die Einführung einer echten Sammelklage verhindert haben.

Die Klageindustrie, die sich in den Vereinigten Staaten gebildet hat, und die dafür sorgt, dass der erfolgreiche Anwalt oft mehr verdient als der von ihm vertretene Verbraucher, hat ihre Gründe allerdings weniger in der Sammelklage an sich, als vielmehr in anderen Regeln des US-Rechts – die es in Deutschland nicht gibt. Dazu gehören Erfolgshonorare, fehlende Prozesskostenerstattung und sehr geringe Hürden beim Einreichen einer Klage. Zahlreiche Juristen hätten daher die Einführung einer Sammelklage in Deutschland begrüßt. Doch „der Widerstand aus der Wirtschaft ist zu groß“, sagte Astrid Stadler, Professorin für Zivilrecht an der Universität Konstanz schon im vergangenen Herbst voraus.

Immerhin soll die deutsche Musterfeststellungsklage bis November durch den Bundestag und Gesetzeskraft erlangen. Das ist wichtig, denn eine entscheidende Eigenschaft der Klage betrifft die Verjährung von Ansprüchen, das wird im Fall VW relevant. Bereits in dem Moment, in dem ein Verbraucherverband zum ersten Mal die Klage vorbringt, stoppt die Verjährung. Da die Ansprüche zahlreicher VW-Kunden aus dem Dieselskandal Ende 2018 verjähren, ist noch Zeit zum Handeln – viele Verzögerungen darf es aber nicht mehr geben.