Botschafter Emerson spricht auch über Antiamerikanismus Foto: Lichtgut/Jan Reich

US-Botschafter John Emerson beklagt, die Deutschen kümmerten sich mehr um die negativen Seiten der USA als um die guten. Dabei bleibe eine enge Partnerschaft unverzichtbar.

Stuttgart - Herr Botschafter, welche der Fragen zur Geheimdienstaffäre der National Security Agency, der NSA, langweilt Sie am meisten?
Es gibt keine langweiligen Fragen.
Wir vermuten, dass Sie unsere Fragen dank der NSA schon kennen.
Ich werde selten danach gefragt, was die legitimen Ziele unserer Geheimdienstzusammenarbeit sind. Fragen wir uns genug, was heute passiert und was andere Länder mit ihren Diensten tun, anstatt darauf zu fokussieren, was die USA vielleicht vor zehn Jahren getan haben oder auch nicht? Wenn sie sich etwa in das Computersystem des Bundestags einhacken oder Millionen persönlicher Daten, inklusive meiner, von der US-Bundespersonalbehörde stehlen? Sollten wir nicht diesen Gefahren mehr Aufmerksamkeit schenken und uns gemeinsam dagegen verteidigen?
Sie sind der erste US-Botschafter, der – beispiellos – schon drei Mal bei der Bundesregierung erscheinen musste. Welchen Tee trinken Sie dort am liebsten?
Dazu sage ich nur: Meine Unterhaltungen mit den Spitzen der deutschen Regierung zu diesem Thema waren würdig, rücksichtsvoll, verantwortlich und nur darauf konzentriert, mit dieser Angelegenheit so umzugehen, dass wir unsere unverzichtbare Kooperation fortführen können.
Fast die Hälfte der Deutschen hat laut einer neueren Umfrage ein schlechtes Bild von den USA. Wie bewerten Sie das?
Es gibt den echten linken Antiamerikanismus. Dann ist da die Behauptung nationaler Souveränitätsrechte. Dies wurde durch die NSA-Affäre noch verschärft. Aber vieles, was als Antiamerikanismus wahrgenommen wird, ist in Wahrheit etwas anderes: Zum Beispiel die Furcht vor der Globalisierung. Daraus speist sich etwa die Opposition zum Freihandelsabkommen TTIP. Das Thema NSA wird in Deutschland auch dazu benutzt, um es innenpolitisch auszuschlachten. Wir haben da eindeutig ein Kommunikationsproblem.
Und das wäre welches?
Nehmen die Leute wahr, dass Amerika ein plurales Land mit unterschiedlichen Meinungen ist? So gibt es auch in Amerika Unterstützer von Edward Snowden und es gab Geheimdienstreformen. Man sollte mal die positiven Seiten sehen: die Rolle der USA bei den Atomverhandlungen mit dem Iran, Präsident Obamas Führungsrolle im Kampf gegen den Klimawandel oder der Meinungsumschwung im Land – anders als in Deutschland – zugunsten der rechtlichen Gleichstellung der Homosexuellen-Ehe.
Anderes Thema: Wo ziehen Sie die Trennlinie zwischen der Terrorvorbeugung und den Freiheitsechten der Bürger?
Die Nachrichtendienste unserer beiden Länder kümmern sich nicht nur um Terrorismus, sondern kontrollieren auch, ob Sanktionen eingehalten werden oder suchen nach den Urhebern von Cyberangriffen. Unser Präsident und auch Kanzlerin Merkel stimmen bei der Grenzziehung für die Dienste überein: Wir müssen tun, was zu tun ist, um uns und unsere Verbündeten zu schützen, aber nicht, was wir tun können, nur weil wir es technisch können. Die gründliche Überprüfung der Geheimdienstarbeit zum Jahreswechsel 2013, die sich in der neuen US-Gesetzgebung wiederfindet und etwa das massenweise Sammeln von Metadaten aus den Händen der NSA nimmt, zeigt, dass die USA es mit dieser Trennlinie ernst meinen. Amerika ist auch dabei, den Schutz der Privatsphäre auf die Bürger unser Freunde und Verbündeten auszuweiten.
Wo sehen Sie in naher Zukunft die größten Herausforderungen bei der Terrorabwehr?
Noch vor zehn Jahren existierten Netzwerke von Leuten, die miteinander kommunizierten. In die konnte man eindringen, um herauszufinden, was geplant wurde. Nun aber kehren Leute aus dem Mittleren Osten zurück, die nicht mit anderen kommunizieren und als „einsame Wölfe“ agieren. Das macht das Aufspüren viel schwerer. Außerdem nutzen Terrororganisationen wie der Islamische Staat soziale Medien sehr effektiv, um vor allem junge Leute überall auf der Welt zu rekrutieren und zu radikalisieren. Wir werden das Terror-Problem von Europa bis nach Chattanooga in Tennessee nie in den Griff bekommen, solange junge Leute in unserer Mitte so isoliert aufwachsen, dass sie radikalisiert werden können. Das ist eine tief reichende gesellschaftliche Herausforderung.
Was sind in naher Zukunft Europas größte strategische Probleme?
Mit der Annexion der Krim und dem Eindringen in und der Hilfe für die Separatisten in der Ostukraine hat Russland gegen internationales Recht und die territoriale Unversehrtheit der Ukraine verstoßen. Daher die Sanktionen von EU und USA. In den Minsker Abkommen bemüht sich Kanzlerin Merkel nachdrücklich um einen Frieden. Die Regierung in Kiew hat zuletzt bei der Dezentralisierung deutliche Fortschritte gemacht. Doch es gibt weiter zahlreiche Verstöße gegen die Waffenruhe. Bei der wirtschaftlichen Stabilität und im Kampf gegen die Korruption macht Kiew gute Fortschritte. Aber das Land braucht weiter Finanzhilfen. Und es herrscht große Not, viele Menschen sind innerhalb der Ukraine vor den Kämpfen auf der Flucht. Um all das müssen sich die Europäer gemeinsam kümmern.
Droht ein neuer Kalter Krieg?
Es ist genauso wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, dass Russland für die Lösung einer Reihe globaler Fragen wichtig ist. Ein herausragendes Beispiel dafür ist der Atomvertrag mit dem Iran. Da hat Russland nicht nur mitverhandelt, sondern einen substanziellen Beitrag geleistet. Auch Syrien oder die Bekämpfung des Terrors oder der Klimawandel zählt dazu. Deshalb bleiben wir zwar bei den Sanktionen und bei Minsk hart, Außenminister John Kerry reiste aber trotzdem nach Sotschi, um über diese anderen Fragen zu sprechen.Am Ende des Tages hat Russland das Völkerrecht und die territoriale Integrität in Europa zu respektieren. Trotzdem sind wir alle besser dran, wenn Russland wieder mehr in die Weltwirtschaft eingebunden ist.
Welcher Tee hat Ihnen im Kanzleramt am besten geschmeckt?
Ich glaube, ich habe nur Wasser getrunken.