Idyllisch sieht es an der Universität Hohenheim aus. Tatsächlich aber ist der Ärger unter den Studenten und den Professoren über den Wachstumskurs mitunter groß. Foto: Zweygarth

Kaum eine Universität in Deutschland wächst so rasant wie die in Hohenheim. Was aber ebenfalls rasant wächst, ist der Ärger über das Wachstum.

Stuttgart-Hohenheim - Wenige Orte in Stuttgart dürften an diesem Frühlingsnachmittag idyllischer sein als der Park vor dem Schloss Hohenheim. Studentengruppen sitzen auf dem Rasen. Wenige Schritte weiter auf den Bänken vor der Mensa versammeln sich diejenigen, die ihre Mittagspause um einen Kaffee verlängern.

Doch die Idylle trügt. Das Sommersemester hat vor wenigen Tagen begonnen – und damit für die meisten Studenten an der Uni Hohenheim der Kampf um einen Platz im Labor, im Hörsaal oder auf den Sprechstunden-Liste. Das gilt vor allem für diejenigen, die in den vergangenen zwei, drei Jahren ihr Studium aufgenommen haben – den Zeiten des großen Wachstums. „Manchmal bekomme ich nicht mal einen Hörsaal Platz“, ärgert sich eine Studentin aus der Fakultät Wirtschaftswissenschaften, die anonym bleiben möchte.

„Wir wachsen nicht, wir platzen“

Ältere Semester bekommen die Auswirkungen des Wachstums oft weniger direkt mit. „Ist es wirklich so voll in der Mensa?“, sagt Janina Engstler. „Ich habe das Gefühl, dass es im vergangenen Semester sogar etwas besser geworden ist, weil die Öffnungszeiten erweitert worden sind“, sagt die 24-Jährige. Sie ist zusammen mit ihrer gleichaltrigen Kommilitonin Sabrina Wiesner nach draußen gekommen. Beide schreiben an ihrer Masterarbeit im Studiengang Molekulare Ernährungswissenschaft. Zu wenig Betreuung? Darüber wollen die beiden nicht klagen. In ihrem Masterstudiengang haben sie 18 Kommilitonen. Probleme, einen Laborarbeitsplatz zu bekommen, hatten sie selten. „Allerdings darf man nicht vergessen: Wir sind der erste Jahrgang nach der Umstellung auf Bachelor und Master“, schränkt Sabrina ein. Mit wenig mehr als 50 Bachelor-Studenten im Semester haben die beiden 2007 in Hohenheim begonnen– ein Luxus im Vergleich zu heute. Denn bereits kurz danach schrieben sich 120 Interessenten in ihrem Studiengang ein. „Für die nach uns ist es ganz schön schwierig, die Praktika und Übungen zu machen.“

Donatus Nohr weiß, was es bedeutet, wenn die Studentenzahl von einem Semester aufs andere explodiert. Dafür muss der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Fakultät für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaften nur an das vergangene Wintersemester denken. Im Oktober 2011 sollte der neue Studiengang Diätetik starten. Das Geld für die Professur war bewilligt, und 22 Studenten hatten sich eingeschrieben. Allerdings wurde der Lehrstuhl nicht rechtzeitig besetzt. Die Studierenden belegten statt Diätetik Ernährungswissenschaften. Für die Lehrenden dieses Studiengangs bedeutete dies Mehrarbeit. „Statt 44 Studierender habe ich im Laborpraktikum auf einmal knapp 70 betreut“, sagt Nohr. Es mussten zwei Laborkurse angeboten werden, obwohl nur einer geplant war – sechs Wochen Betreuungszeit statt drei. Wieder war Kapazität für die Forschung weggefallen. „Wir machen immer mehr Lehre“, klagt er. Umso saurer stößt vielen an der Uni Hohenheim das aktuelle Jahresmotto „Gemeinsam wachsen“ auf – vor allem Lehrenden aus dem akademischen Mittelbau wie Donatus Nohr. „Wir wachsen nicht, wir platzen“, sagt er.

Für experimentelle Fragestellungen fehlt das Geld

Die 17 neuen Professuren, die geschaffen wurden, seien nur bedingt ein Grund zum Jubeln. Sie sind als W3-Professuren mit einem Budget von 250 000 Euro pro Jahr ausgestattet: Darin enthalten sind die Gehälter des Professors und seiner Mitarbeiter, von Mieten und Material. „Von dem, was dann noch übrig bleibt, kann man allenfalls ein paar Kopien machen“, sagt Nohr. Eine adäquate Betreuung der Studenten sei damit sicherlich nicht möglich.

Seine Kollegin Ulrike Weiler, wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Agrarwissenschaften, kritisiert: „Bachelorarbeiten sind in den Agrarwissenschaften bereits jetzt meist reine Literaturarbeiten.“ Für experimentelle Fragestellungen fehle sowohl das Geld als auch oft der Laborplatz. „Das ist fatal, denn für die Wirtschaft sind Bachelor-Absolventen ohne praktische Erfahrung nicht interessant“, sagt sie. Sie sei nicht prinzipiell gegen den Wachstumskurs, sagt Weiler. Und sie habe auch volles Verständnis dafür, dass sich Hohenheim um Fördermittel aus dem Landesprogramm „Hochschule 2012“ beworben hat. „Denn es gibt derzeit keine andere Möglichkeit, an Geld zu kommen.“ Den ganz großen Schwarzen Peter sieht sie deswegen nicht beim Rektorat der Uni Hohenheim, sondern bei den CDU-Landesregierungen. Diese hätten die Unis chronisch unterfinanziert und damit den Grundstein für die Überlastung des Uni-Personals gelegt.

Zusätzliche Professuren stellen neue Belastungen dar

Doch auch unter den Professoren gärt es. Für Kurt Jetter, Professor für Angewandte Mathematik und Statistik, und sein Institut bedeuten die zusätzlichen Professuren keine Entlastung, sondern vielmehr neue Belastungen. Denn wenn die Agrarier und die Naturwissenschaftler neue Professuren bekommen, bekommen sie damit automatisch auch mehr Studenten. Dann gilt es für Jetter und seine Mitarbeiter, mehr Mathematik-Klausuren für mehr Studierende dieser Fächer zu stellen. „Auf unser Institut kommt eine Zusatzbelastung zu, ohne dass wir durch die Professur und ihre Mitarbeiter entsprechend in der Lehre entlastet oder unterstützt werden.“ Und nicht nur auf die Mitarbeiter des Instituts: Die Gruppengröße für Übungen liege mittlerweile zwischen 50 bis 60 Studierenden. „Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung empfiehlt eine Gruppengröße von maximal 25 Personen.“ Auch denen, die in Hohenheim promovieren und habilitieren, gilt seine Sorge. „Für sie ist die Mehrbelastung nicht vertretbar.“ Denn sie sind mit befristeten Verträgen zur Forschung eingestellt – und eben nicht dafür, Lücken zu stopfen. Mit Blick auf dieses und andere Missverhältnisse sieht Jetter jedoch nicht nur das Rektorat, sondern auch die Fakultäten in der Pflicht. „Jede Fakultät hat es in der Hand, die 2012-Professuren unter den gegebenen Bedingungen zu beantragen oder die Finger davon zu lassen.“

„Das Gros der Leute nimmt nicht wahr, in welcher dramatischen Situation wir uns befinden“, sagt Heinz Breer, Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät. In den Jahren 2010 und 2011 seien von den Naturwissenschaftlern insgesamt 200 zusätzliche Studenten aufgenommen worden, was einem Zuwachs von zehn Prozent entspricht. Um diesem Ansturm Herr zu werden, wurden aus Fördergeldern fünf neue Professuren eingerichtet. Breer bezweifelt jedoch, dass dies eine deutliche Entlastung bringen wird. Die Qualität der Forschung werde in jedem Fall darunter leiden. „Wie die Professoren neben all ihren Verpflichtungen noch forschen sollen, darüber hat man sich auf politischer Ebene keine Gedanken gemacht. Unser Tag hat auch nur 24 Stunden.“ Doch insgesamt unterstützt Breer den Wachstumskurs der Uni. „Es ist wichtig, dass es mehr Studierende gibt. Wir müssen schauen, wie wir uns daran beteiligen, dass mehr junge Leute studieren können.“ Klar sei, dass dies für jeden an der Uni einen Mehraufwand bedeute, etwa um Klausuren fristgerecht zu korrigieren. „Niemand macht gerne Überstunden, aber sie sind unerlässlich.“ Breer hofft, dass es nur eine Mehrbelastung auf Zeit ist. „Ab 2017 wird die Nachfrage aufgrund kleinerer Jahrgänge wohl wieder sinken.“