Ultra-Hass auf der Dortmunder Südtribüne: Mit RB Leipzig als Zielscheibe Foto: imago

Teile der Ultra-Szene kämpfen um die Vorherrschaft in den Vereinen. Aber die Clubs dürfen sich nicht erpressen lassen, schreibt StN-Autor Gunter Barner. Der Fußball braucht Gegner, keine Feinde.

Stuttgart - Es soll Fans des VfB Stuttgart geben, die sich in der zweiten Liga am liebsten einrichten würden. Sie schätzen übersichtliche Stadien, machbare Gegner, kommode Preise und – von wenigen Ausnahmen abgesehen – das Gefühl, so sicher zu sein wie in Abrahams Schoß. Das ist eine putzige Sicht der Dinge und sie hat womöglich damit zu tun, dass die weniger schönen Begleiterscheinungen des Bundesliga-Fußballs kein Mensch braucht, der einigermaßen bei Verstand ist. Riesige Polizeiaufgebote, Alkohol- und Gewaltexzesse, hasserfüllte Parolen an die Adresse des Gegners und haufenweise Verstöße gegen geltende Gesetze.

Natürlich wäre es ein grober Fehler, alle Clubs über einen Kamm zu scheren. Und selbstverständlich ist es wichtig, auch innerhalb der heterogenen Ultra-Gruppierungen zu differenzieren. Es gibt diejenigen, die schon Pickel im Gesicht kriegen, wenn sie einen Polizisten nur sehen, mit Randale aber nichts am Hut haben. Und es gibt die Krawallos, die nichts als Händel suchen und Regeln nur dann beachten, wenn sie unter öffentlicher Aufmerksamkeit dagegen verstoßen können. Borussia Dortmund lieferte beim Spiel gegen RB Leipzig ein unrühmliches Beispiel dieser gefährlichen Tendenz. Zwar wirkt die Stuttgarter Festgemeinde dagegen vergleichsweise friedlich. Aber die Hassplakate gegen Ende der vergangenen Saison („Verpisst euch!“), die würdelose Diskussionskultur im Vorfeld der Präsidentenwahl und die wüsten Beschimpfungen während der Mitgliederversammlung („halt’s Maul, du A. . . loch“) zeigen, wohin der Weg führen kann.

Knallhartes Geschäft mit großen Emotionen

Ein kleiner Teil der Ultra-Szenen in den Fan-Kurven der Bundesligastadien erhebt für sich den Anspruch, die eine und einzige Wahrheit zu kennen. Der Verein ist Religion, der Fan ein Gott. Er opfert Zeit und Geld. Er fordert Fußball pur, erklärt dem Kommerz den Krieg und verachtet alle, die es nicht genau so sehen. Was die Causa so gefährlich macht, ist die wachsende Einsicht, dass die vernünftigen Mitglieder der Szene mancherorts nicht mehr in der Lage sind, die Durchgeknallten zu ächten und zu isolieren. Ein falsch verstandener Korpsgeist schützt die Täter. Die interne Hierarchie trägt paramilitärische Züge. Wer dagegen verstößt, läuft Gefahr gemobbt oder sogar verprügelt zu werden. Rituale verlangen, dass die Mannschaft Siege zuvorderst mit den Ultras, den wahren Fans, feiert – und sich nach Niederlagen auch mal beschimpfen lässt.

Als Metapher für diesen Kampf um die Vorherrschaft im Verein dient immer mehr die scheinbare Ambivalenz zwischen Tradition und Kommerz. Dabei sind Bundesligavereine mit Jahresumsätzen von hundert Millionen Euro und mehr längst mittelständische Unternehmen mit dem Geschäftszweck des sportlichen Erfolges. Die „ewige Liebe“ der Fans zu Borussia Dortmund fußt auf einer börsennotierten Aktiengesellschaft mit einem dicken Portfolio aus Sponsoren und Investoren – ohne deren Hilfe der Traditionsverein vor Jahren im Nirwana der Insolvenz verschwunden wäre. Hier wie dort gilt eben: Ohne Moos nix los.

Die Funktionäre sollten deshalb nicht mit unbedachten Äußerungen über Konkurrenten und deren finanzielle Ausstattung von eigenen Unzulänglichkeiten ablenken. Sondern ehrlich sagen, was jeder weiß: Fußball ist ein Teil unserer Alltagskultur, aber auch ein knallhartes Geschäft mit großen Emotionen. Die Folklore-Abteilungen in den Kurven, bewusst gefördert, haben sich verselbstständigt. Nun beschleicht die Vereine die Angst vor einem Teil der eigenen Fans. Sie müssen schleunigst rote Linien ziehen, dürfen sich nicht erpressen lassen. Der Fußball braucht Gegner, keine Feinde.

gunter.barner@stuttgarter-nachrichten.de