Die bedrückenden Bilder aus der Ukraine könnten auch im Westen den Druck steigen lassen, der angegriffenen Nation noch mehr zu helfen. Foto: Imago//Valery Melnikov

Es ist der feste Vorsatz der Nato, nicht selbst in diesen Krieg einzugreifen, weil die Folgen unabsehbar wären. Aber man kann auch ohne es zu wollen in bewaffnete Konflikte hineingezogen werden.

Berlin - Russland hat die Reaktion der EU, der USA und vieler anderer Staaten auf die Invasion der Ukraine als schweren Angriff kritisiert. „Was wir in den vergangenen Tagen beobachtet haben, ist eine beispiellose wirtschaftliche, politische und eine Informationsattacke gegen Russland“, sagte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow. Der Westen habe „hemmungslos, wenn nicht gar wahnsinnig“ Waffen, Ausrüstung und Kommunikationsmittel in die Ukraine gepumpt. Das erhöhe die Gefahr eines Zusammenstoßes mit der Nato. Natürlich ist das Kriegspropaganda. Aber wenn Russland von „Angriff“ und „Attacke“ spricht, ist damit eine Botschaft verbunden. Wer angegriffen wird, darf sich verteidigen. Rjabkows Worte sind also in erster Linie eine Drohung mit einer Eskalation des Konflikts.

Eine Auseinandersetzung mit Russland wäre katastrophal

Der Westen – das ist im Wesentlichen die Nato. Die Ukraine ist kein Bündnispartner, für sie gibt es also auch keine Beistandsverpflichtung im Verteidigungsfall. Die Nato unterstützt die Ukraine mit Waffen, vermutlich auch mit Geheimdienst-Informationen, verhängt Sanktionen gegenüber Russland. Aber es gibt die klare Absicht aller Bündnispartner, den Krieg in der Ukraine nicht über einen Regionalkonflikt hinaus eskalieren zu lassen. Eine Auseinandersetzung Russlands mit der Nato führte im Grunde geradewegs in einen Dritten Weltkrieg, den es unter allen Umständen zu verhindern gilt. Aber Krisen entwickeln ihre eigenen Dynamiken und können unkontrollierbar werden. Deshalb muss eine verantwortungsvolle Politik ganz genau darauf achten, jede Maßnahme gegenüber Russland daraufhin zu prüfen, ob sie Folgewirkungen entfalten würde, die den Westen schrittweise zu einem Kriegsteilnehmer machen könnte. Dazu eine gegliederte Analyse:

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Waffenlieferungen

Viele Nato-Staaten haben der Ukraine Waffen geliefert und werden das auch weiterhin tun. Deutschland gehört dazu. Bereits am Mittwoch hatten 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“ aus Beständen der Bundeswehr die Ukraine erreicht. Das Wirtschaftsministerium genehmigte nun die Abgabe von 2700 Flugabwehrraketen vom Typ „Strela“ aus Beständen der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR. Natürlich unterstützt der Westen damit eine Kriegspartei. Aber jedes Land hat das Recht, sich auf dem internationalen Markt mit Waffen zu versorgen. Insofern stellen die Lieferungen keine Eskalationsstufe dar, vor allem weil es sich bei den Lieferungen um defensive Waffensysteme handelt.

Flugverbotszone

Diese Debatte ist erheblich brisanter. Und sie ist nicht theoretisch. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte in einer Videoansprache eine solche Flugverbotszone für russische Helikopter, Flugzeuge und Raketen über der Ukraine gefordert, um russische Luftangriffe zu verhindern. Um das zu beschließen, bräuchte es die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates. Russland ist dort Mitglied und würde sicher sein Veto einlegen, über das man sich hinwegsetzen müsste. Die Ukraine allein wäre mit Überwachung und Kontrolle der Verbotszone überfordert. Zudem müsste die Verhängung der Verbotszone wirkungsvoll sein, was auch den Abschuss von Flugzeugen bedeutete. Damit wären dann Nato-Soldaten direkt in den Krieg involviert. Die Nato, das hat US-Präsident Biden klar gemacht, lehnt deshalb dieses Mittel eindeutig ab. Das Problem: Je verheerender der Krieg, je bedrückender die Bilder aus Kiew, desto größer wird der Druck auf Biden. Schon heute gibt es Stimmen in den USA, die diese Variante offen diskutieren.

Unterstützung beim Cyberkrieg

Hackerangriffe sind ein vergleichsweise neues Phänomen und eine Grauzone. Schon heute gibt es unabhängige Hacker-Kollektive wie „Anonymous“, die Aktionen gegen Russland in Eigenregie unternehmen. Es ist sicher nicht auszuschließen, dass der Westen der Ukraine auch militärisches Wissen zur Verfügung stellt, um solche Attacken wirkungsvoller zu gestalten. Müssen dazu Experten entsandt werden? Wenn staatliche Stellen involviert sind, gar militärische, ist die Grenze zu einer aktiven Kriegsteilnahme in Sicht. Jedenfalls könnte Russland das so interpretieren.

Freiwilligen-Brigaden

Präsident Selenskij hat die visafreie Einreise von Ausländern angeordnet, die in einer internationalen Legion die ukrainische Armee unterstützen sollen. Es sollen schon mehr als 1000 Ausländer davon Gebrauch gemacht haben. Andere Quellen sprechen von bis zu 16 000. Sie sollen aus 16 Ländern kommen. Das ist bislang noch ein Randphänomen. Aber das Nato-Land Lettland erlaubt seinen Staatsbürgern ganz offiziell, als Freiwillige auf ukrainischer Seite den Kampf gegen den russischen Angriff zu unterstützen. Das Parlament in Riga beschloss einstimmig die dazu nötigen gesetzlichen Voraussetzungen. Wenn dieses Beispiel Schule machte, könnte das durchaus von Russland als Weg von Nato-Staaten angesehen werden, auf einem Umweg zum aktiven Kriegsteilnehmer zu werden.

Fazit

Es gibt die moralische Sicht und die ganz praktische. Natürlich sind angesichts des russischen Überfalls alle genannten Maßnahmen moralisch gerechtfertigt. Aber in ihrer Wirkung könnten sie den Konflikt gefährlich ausweiten. Das muss man von Anfang an im Blick haben, denn die Bilder aus der Ukraine werden noch schrecklicher werden. Und das Gefühl, der Westen könne nicht einfach hilflos zusehen, wie die Ukraine untergeht, wird noch vehementer werden.