Präsident Erdogan besucht im Februar 2023 die Stadt Kahramanmaras im Erdbebengebiet. Foto: AFP/ADEM ALTAN

Der türkische Präsident will Milliarden für die Rüstung – und bittet das Ausland um Erdbebenhilfe.

Mit der „TCG Anadolu“ will die Türkei zur Großmacht werden. Das amphibische Landungsschiff ist 231 Meter lang, hat eine Reichweite von 9000 Seemeilen und kann mit 30 Kampfflugzeugen, Hubschraubern und Kampfdrohnen an Bord Kriegsschauplätze in aller Welt erreichen. Das neue Flaggschiff der türkischen Kriegsmarine „symbolisiert die regionale Führungsrolle der Türkei“, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan jetzt bei der Vorstellung der „TCG Anadolu“. Erdogan will die Wähler vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai mit Großmachtsträumen für sich gewinnen, obwohl die Türkei zugleich internationale Hilfe für den Wiederaufbau des Erdbebengebietes erbittet.

Erdogan will Milliarden in die Rüstung investieren

Rund eine Milliarde Dollar hat die „TCG Anadolu“ den türkischen Steuerzahler gekostet. Geht es nach Erdogan, wird die Türkei in den kommenden Jahren noch viel mehr Geld für Rüstungsprojekte ausgeben. Der Gesamtwert aller Vorhaben im Verteidigungssektor soll nach seinen Worten von derzeit 60 Milliarden Dollar auf 75 Milliarden steigen. Bis zum Jahr 2025 will die Türkei das Nato-Ziel erfüllen, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung aufzuwenden.

Rund 80 Prozent aller Rüstungsgüter für die türkischen Streitkräfte werden in der Türkei hergestellt. Ziel sei die vollständige Unabhängigkeit von ausländischen Anbietern, sagte Erdogan. Noch vor den Wahlen am 14. Mai will der Präsident der Öffentlichkeit den „Hürjet“ präsentieren, das erste in der Türkei entwickelte Kampfflugzeug. Auch im zivilen Bereich streicht Erdogan technologische Innovationen heraus. Kürzlich nahm er den ersten Elektrowagen des Landes in Empfang. Bald soll zudem das erste Erdgas aus Gasfeldern vor der türkischen Schwarzmeerküste ins Netz gepumpt werden. Zusammen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin will Erdogan zwei Wochen vor der Wahl den ersten Block des ersten türkischen Atomkraftwerkes in Betrieb nehmen, das vom russischen Unternehmen Rosatom für 20 Milliarden Dollar gebaut wird.

Hoffnung auf internationale Hilfe für Erdbebenopfer

So entwirft Erdogan im Wahlkampf das Bild einer starken und modernen Türkei. Mit der „TCG Anadolu“ steige das Land in die Riege der tonangebenden Staaten in der Welt auf, sagte er. Erdogans Partei AKP stellte am Dienstag ihren Wahlkampfslogan vor: „Der rechte Mann zur rechten Zeit für das türkische Jahrhundert.“

Die ehrgeizigen Ansprüche und die Milliarden für den Rüstungsbereich passen allerdings nicht zu den riesigen Aufgaben bei der Bewältigung der Erdbebenkatastrophe vom Februar. Auf mehr als 100 Milliarden Dollar werden die Schäden in der Unglücksregion geschätzt; die Türkei hofft auf internationale Hilfe wie von der Geberkonferenz der EU im März, bei der Zusagen von sieben Milliarden Euro zusammenkamen.

Türkei will internationale Hilfe nie vergessen

Kein Land könne mit einer Katastrophe dieses Ausmaßes allein fertig werden, sagte Erdogan in einem Grußwort für die EU-Geberkonferenz. Die Türkei werde die Solidarität ihrer Freunde in der Staatengemeinschaft niemals vergessen. Vor heimischem Publikum klingt er ganz anders. Gegen die Türkei seien offene und verdeckte Embargos in Kraft, kritisierte er bei der Vorstellung der „TCG Anadolu“. Seine Regierung werde nicht ruhen, „bis wir unserem Land seinen rechtmäßigen Platz in der Welt gesichert haben“.

Mit Veranstaltungen wie der Präsentation des neuen Flaggschiffes will Erdogan nach Meinung seiner Gegner von schlechten Nachrichten aus dem Erdbebengebiet und aus der Wirtschaft ablenken. So berichtete die Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, im Katastrophengebiet gebe es nur eine Toilette auf 83 Bewohner. Auch die Inflation von 55 Prozent und die Arbeitslosigkeit von zehn Prozent frustrieren die Wähler.

Bisher hat es Erdogan laut Umfragen nicht geschafft, eine Mehrheit der Wähler von seinen Erfolgsmeldungen zu überzeugen. Im Schnitt der Daten von neun Meinungsforschungsinstituten liegt der Präsident nach einer Meldung der Nachrichtenplattform T42 derzeit bei 43,8 Prozent und damit 4,5 Prozentpunkt hinter dem Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu.