Ein Zankapfel bei den TTIP-Verhandlungen sind internationale Schiedsgerichte zum Investorenschutz. Weitere Kritikpunkte haben wir in unserer Bildergalerie. Foto: dpa

Der Akzent beim Streit um TTIP hat sich verschoben. Nun rücken die Schiedsgerichte in den Fokus. Die Praxis bestätigt den Verdacht nicht, dass hier Staaten von internationalen Konzernen über den Tisch gezogen werden.

Berlin - Monatelang hatte sich die Kritik an TTIP, dem auszuhandelnden Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, an plakativen Themen wie dem berüchtigten Chlorhühnchen festgehakt. Inzwischen ist die Karawane der Aufgeregtheiten weitergezogen. Die hitzigsten Gefechte entzünden sich an der Frage der Schiedsgerichtsbarkeit. Und wieder kursieren Befürchtungen: zum Beispiel, dass US-Großkonzerne über anonyme Schiedsgerichte nationale Gesetzgebungsstandards unterlaufen könnten.

Und das alles sozusagen heimlich und anonym, denn die Schiedsgerichte tagen hinter verschlossenen Türen und meist an Standorten, die weit von Deutschland entfernt liegen. In dieser Logik sind Schiedsgerichte der Hebel gegen die Souveränität von Bürgerwillen und Parlamentsentscheidungen. Und mithin sind sie zu fürchten, zu bekämpfen und in Bausch und Bogen abzulehnen.

Der Konflikt geht nicht darum, dass Handelspartner untereinander Streitigkeiten über ein Schiedsgericht beilegen. Da leuchtet der Sinn ein: Wenn sich zwei Vertragsparteien einigen, ohne dass staatliche Gerichte bemüht werden müssen, spart das auf allen Seiten Ressourcen, Zeit und Geld.

Höchst umstritten sind dagegen die Schiedsverfahren zwischen privatem Investor und Staat. Obwohl auch hier – wenigstens im Prinzip – der Sinn einleuchten sollte. Und zwar auch im deutschen Interesse. Zwischen 1990 und 2011 haben sich die deutscher Direktinvestitionen im Ausland von 226 Milliarden Euro auf 1144 Milliarden Euro etwa verfünffacht. Allein 2012 investierten deutsche Unternehmen im Ausland 52 Milliarden Euro. Umgekehrt sind auch für Deutschland ausländische Investitionen unabdingbar. Nach Angaben des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) beschäftigen ausländische Unternehmen über Investitionen bei uns 2,7 Millionen Menschen in 16 000 Unternehmen (Stand 2011).

Investoren wollen aber Sicherheit für ihre Investitionen. Das ist der Punkt, wo das Thema Investor-Staat-Schiedsverfahren wichtig wird, denn diese Sicherheit kann sich schnell als fragil erweisen. Es gibt politische Risiken für Auslandsinvestitionen. Dazu zählen Enteignungen durch Verstaatlichung, offen diskriminierendes oder auch nur intransparentes Verhalten von Regierungen, die zu Benachteiligungen ausländischer Investoren führen, oder auch offener Vertragsbruch. Und Schutz durch Gerichte in dem Land, wo der Vertragsbruch begangen wurde, ist oft nur ein frommer und naiver Wunsch: ganz einfach, weil in vielen Ländern Unabhängigkeit der Gerichte von Staat und Machthabern – vorsichtig ausgedrückt – nicht garantiert ist.

Es liegt auf der Hand, dass Investitionsschutzabkommen hier das Mittel der Wahl sind. Das sind völkerrechtliche Verträge zwischen zwei oder mehreren Ländern, in denen faire Wettbewerbschancen für ausländische Investoren garantiert werden. 2012 gab es weltweit etwa 3200 solcher internationaler Investitionsabkommen. Immer öfter werden sie in Freihandelsabkommen integriert.

Deutschland war hier weltweit Vorreiter. 1959 schloss die Bundesrepublik mit Pakistan das weltweit erste dieser Investitionsschutzabkommen ab.

Heute hat Deutschland rund 140 Investitionsschutzabkommen. Damit ist Deutschland noch vor China globaler Spitzenreiter. Und in den meisten Fällen sieht der Vertrag ausdrücklich ein Schiedsgerichtsverfahren zur Klärung möglicher Vertragsverletzungen vor. Insgesamt addieren sich die Investitionsschutzabkommen aller EU-Staaten auf 1400. Weder sind sie also eine US-Erfindung noch ein neues Mittel eines behaupteten ökonomischen US-Imperialismus.

In den zwischenstaatlichen Handelsverträgen werden Garantien festgeschrieben: In der Regel sind dies Schutz vor Diskriminierung und vor kompensationsloser Enteignung, Schutz vor politischem Druck und intransparentem Regierungshandeln und Garantie des freien Kapitalverkehrs. Die Ausgestaltung ist Verhandlungssache. Neue Abkommen schreiben das staatliche Recht fest, regulierend in die Wirtschaft einzugreifen, wenn es um den Schutz allgemeiner Güter wie Umwelt und Gesundheit geht.

Bei Vertragsverletzungen im Zielland der Investitionen kann ein Investor also gemäß den meisten Abkommen direkt vor internationalen Schiedsgerichten klagen und muss sich nicht einer womöglich voreingenommenen nationalen Justiz aussetzen . Das ist die Idee. Der Standort des Schiedsgerichtes wird dabei im Abkommen festgelegt. Zum Beispiel das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten in Washington, das der Weltbankgruppe angehört, die Kommission der UN für internationales Handelsrecht (New York) oder die Internationale Handelskammer (Paris). Über die Besetzung des Gerichtes müssen sich die Vertragspartner einigen. Die Entscheidung des Schiedsgerichts ist endgültig und bindend. Es gibt also keinen Instanzenzug. Das wird kritisiert. Damit verbunden sind – zumindest in der Theorie – aber auch eine zügigere Entscheidung und weniger Kosten.

Schiedsgerichtsverfahren gibt es immer häufiger. Im Jahr 2000 wurden 13 neue Verfahren zur Überprüfung von angeblichen Verstößen gegen Investitionsschutzabkommen registriert. 2012 waren es schon 58. Bis dahin wurden insgesamt weltweit 514 Fälle bekannt. Am häufigsten richten sich solche Verfahren bisher gegen Argentinien, Venezuela, Ecuador und Mexiko.

Die Praxis zeigt, dass es keineswegs US-Firmen sind, die derzeit Schiedsgerichte am stärksten beschäftigen. Von den weltweit 58 neuen Fällen des Jahres 2012 wurden 32 von europäischen Investoren angestrengt – vier von amerikanischen. Insgesamt kommen die meisten Kläger zwar aus den USA, nimmt man aber alle EU-Mitgliedstaaten zusammen, liegt die EU vorn. Innerhalb der EU klagen deutsche Investoren am häufigsten vor Schiedsgerichten.

Bislang haben sie insgesamt 27-mal geklagt. Von den weltweit bislang abgeschlossenen 244 Schiedsverfahren wurden 42 Prozent der Fälle zugunsten der Staaten entschieden und 31 Prozent der Fälle zugunsten der Investoren. 27 Prozent wurden beigelegt. Statistisch kann also keineswegs davon die Rede sein, dass Schiedsgerichte der Hebel für Konzerne zur Aushebelung staatlicher Souveränität sind.

Auch Befürworter der Staat-Investor-Schiedsgerichte räumen ein, dass es Raum für Verbesserung gibt. Begriffe wie „indirekte Enteignung“ oder „faire und gerechte Behandlung“ in den Abkommen lassen Spielraum für Interpretationen. Nur der Washingtoner Standort stellt bislang regelmäßig Informationen über Klagen, Kläger sowie Ausgang des Verfahrens und Schiedssprüche öffentlich bereit. Mehr Transparenz ist sicher eine berechtigte Forderung. Auch macht es keinen guten Eindruck, wenn Schiedsrichter in anderen Fällen als Kläger oder Verteidiger auftreten. Das alles wäre Gegenstand der konkreten Ausgestaltung des Investitionsschutzabkommens innerhalb von TTIP. Käme es zustande, könnte es aber richtungweisend sein.