Von Spitzentechnologie ist Winfried Kretschmann fasziniert. Foto: picture alliance/dpa/Uli Deck

Im Ringen um das dritte Entlastungspaket trat Baden-Württemberg offenbar als Mittler zwischen SPD- und Unionsländern auf. Sonntag fliegt Kretschmann in die USA.

Trotz der für eine Entlastung der Bürger entscheidenden Sitzung von Bund und Ländern am Dienstag in Berlin wird Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) eine seit langem geplante USA-Reise antreten. Kretschmann wird mit einer Delegation am Sonntag für eine Woche nach Pennsylvania und Kalifornien fliegen, um sich dort über Künstliche Intelligenz und Cybersicherheit zu informieren, wie der neue Regierungssprecher Matthias Gauger unserer Zeitung bestätigte. Ohne die Möglichkeit der Teilnahme an der Berliner Runde per Videoschaltung hätte Kretschmann diese USA-Reise abgesagt, heißt es im Staatsministerium. Vor Ort in Berlin wird überdies Rudi Hoogvliet, Staatssekretär für Medienpolitik und Bevollmächtigter des Landes beim Bund, die Interessen von Baden-Württemberg bei der Runde mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) „in Präsenz“ vertreten.

Eine außergewöhnliche Notlage?

Auf der Sitzung der Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen am Mittwoch war zwischen den A-Ländern (SPD) und B-Ländern (Union) heftig gerungen worden. Besonders durch die Anwesenheit von CDU-Parteichef Friedrich Merz war ein Hauch von Oppositionsarbeit in die Runde getragen worden, heißt es in Berlin. Umstritten zwischen Sozialdemokraten und Union war vor allem die Frage, ob sich Deutschland derzeit in einer „außergewöhnlichen Notlage“ befinde, die eine Aufweichung der Schuldenbremse erzwinge. SPD-regierte Länder und das „links“ regierte Thüringen sahen das so und gaben dies auch zu Protokoll – anders als die Unionsländer und Baden-Württemberg.

Ein Lob für die Geschlossenheit

Nachdem sich Ministerpräsident Kretschmann jüngst in der Landespressekonferenz äußerst kritisch über den Umgang des Bundes mit den Ländern – vor allem die fehlenden Absprachen – geäußert hatte, klang sein optimistisches Echo nach der Länder-Runde vom Mittwoch doch überraschend: „Die Spur steht nicht auf Streit, sondern auf Einigkeit und Geschlossenheit“, hatte Kretschmann dem SWR nach der Sitzung der Länder-Regierungschefs gesagt, die mit einem einstimmigen Beschluss geendet hatte. Regierungssprecher Gauger bejahte eine Anfrage, ob Kretschmann vermittelnd aufgetreten sei: „Der Ministerpräsident nimmt seit 2016 an den Treffen der CDU-Ministerpräsidenten teil. Er ist dort als Grüner aktuell der einzige Vertreter einer Regierungspartei im Bund. Er versucht entsprechend zwischen den verschiedenen Akteuren zu vermitteln.“

Das Land hat zwei Hauptanliegen

Die vier konkreten Kernforderungen der Länder – volle Übernahme der Kosten fürs Wohngeld, mehr Regionalisierungsmittel für den ÖPNV, Finanzverantwortung für die Flüchtlinge und bessere Krankenhausfinanzierung – seien dem Ministerpräsidenten „alle wichtig“, sagte Gauger, „mit einem Schwerpunkt auf den Regionalisierungsmitteln und der Finanzierung der Flüchtlingskosten“. Die Länder erinnern den Bund in ihrem Beschluss daran, dass er rückwirkend ab Januar 2022 eine „Verstetigung“ der Beteiligung an den flüchtlingsbezogenen Kosten von Bund und Ländern zugesagt hatte. Und sie verlangen wegen der massiven Steigerung bei den Energiepreisen vom Bund jeweils 1,65 Milliarden Euro an zusätzlichen Regionalisierungsmitteln für Busse und Bahnen in 2022 und 2023 gegenüber dem Vorjahr. Was eine Nachfolge für das 9-Euro-Ticket anbelangt, werden vom Bund „zusätzliche Beiträge“ verlangt, um attraktive Tarifmodelle zu verwirklichen.

Ein Krisenpaket für die Wirtschaft – eher nicht

Mit der am Donnerstag verkündeten 200 Milliarden Euro teuren Gas- und Strompreisbremse kommt der Bund zwei Hauptforderungen der Länder – nach einem Energiepreisdeckel und einer Entlastung bei den Strompreisen – entgegen. Aber offen ist, inwieweit die von den Ländern angemahnten „Wirtschaftshilfen“ für die Industrie sowie kleine und mittlere Unternehmen und das Handwerk, die durch die Energiepreise stark belastet sind, schon durch den Vorschlag des Bundes vom Donnerstag als ausreichend angesehen werden. Könnte es sein, dass Baden-Württemberg mit einem Hilfspaket noch in die Bresche springt? Regierungssprecher Gauger äußert sich verhalten: „Aufgrund der Erfahrungen in der Corona-Krise wirbt der Ministerpräsident dafür, dass es bundesweit einheitliche Programme gibt, um einen erneuten Wettbewerb zwischen den Ländern zu vermeiden.“ Landesprogramme solle es höchstens für „baden-württemberg-spezifische Lücken“ in Bundesprogrammen geben.