Frisches Brot ist beliebt. Aber Kostendruck bringt immer mehr traditionelle Backbetriebe in die Bredouille. Hinzu kommt ein teilweise massiver Personalmangel. Foto: dpa/Uwe Anspach

Die Bäckerei Grau aus Fellbach meldet Insolvenz an. Das Unternehmen betreibt Filialen an fünf Standorten in der Region – unter anderem im Dorotheenquartier in Stuttgart.

Explodierende Energiekosten sowie das Auf und Ab bei den Getreidepreisen haben in den vergangenen Monaten etliche größere und kleinere Backbetriebe an den Rand der Existenz gebracht. Das Geschäft mit Brot und Brezel ist immer weniger kalkulierbar, quer durch die Republik laufen die Insolvenzverfahren. Auch die Fellbacher Traditionsbäckerei Grau ist in eine finanzielle Schieflage geraten. Wegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit hat die Chefin Ines Grau einen Insolvenzantrag gestellt. Zumindest ein Teil der Mitarbeiterschaft wartet bislang offenbar seit Monaten vergeblich auf das noch ausstehende Gehalt.

Sterben allerdings soll die seit dem Jahr 1939 bestehende Backtradition trotz der wirtschaftlichen Turbulenzen nicht. „Der Geschäftsbetrieb läuft ganz normal weiter, wir werden keine unserer fünf Filialen schließen und kein Personal entlassen“, sagt die Fellbacher Geschäftsfrau. Neben dem vor knapp einem Jahr in die Bahnhofstraße verlagerten Stammhaus ist die Bäckerei Grau mit einer kleinen Filiale im Stadtteil Lindle vertreten. In Stuttgart gibt es drei Niederlassungen im Dorotheenquartier, in der Daimlerstraße in Bad Cannstatt und in der Bebelstraße im Stuttgarter Westen.

Sterben soll die seit 1939 bestehende Backtradition nicht

Auch den Gedanken an einen Pop-up-Store am Rotebühlplatz hat Ines Grau trotz der finanziellen Schieflage keineswegs aufgegeben. Sie hofft, dass es für das Familienunternehmen nach dem Schuldenschnitt wieder aufwärts geht. „Das mit der Insolvenz hört sich dramatischer an, als es ist. Ich sehe das als Chance für einen Neuanfang“, sagt die Inhaberin. Als Hauptproblem für das Familienunternehmen ausgemacht hat Ines Grau, dass ihr für das traditionelle Backhandwerk schlicht das nötige Personal fehlt. Beim bei der Kundschaft sehr beliebten Mittagstisch hapert es, weil von den einst fünf am Herd stehenden Köchen nur noch zwei auch tatsächlich mit den Töpfen und Pfannen wirbeln. Und von den 25 Arbeitsplätzen in der in der Maria-Merian-Straße in Fellbach angesiedelten Backstube sind laut Bäckereichefin Ines Grau aktuell gerade mal sieben auch wirklich besetzt.

Der Schwund bei den Beschäftigten hat gerade für einen Betrieb, der „auf ehrliche Produkte setzt“ und keinerlei Fertigmischungen verwenden will, dramatische Folgen. Auf bestimmte Brotsorten wartet die Kundschaft mittlerweile vergeblich, auch das für eine Bäckerei eigentlich äußerst lukrative Geschäft mit Hochzeitstorten ist bei dem Fellbacher Traditionsbetrieb völlig eingebrochen. Obwohl es genug Brautpaare geben würde, die bei Bestellungen für ihren großen Tag nicht auf jeden Cent achten, können die Anfragen mangels Personal in der Konditorei gar nicht alle bedient werden.

Kein Personal für die Produktion von Plunderteilchen und Hochzeitstorten

Ebenfalls in den Wind schreiben musste Ines Grau unlängst einen Auftrag für gleich 900 Plunderteilchen. Weil in der Backstube nicht genug Leute für die termingerechte Produktion der süßen Stückchen zu finden waren, fiel die Bestellung flach – und mit dem Auftrag auch der mögliche Erlös.

Aus Sicht von Ines Grau ist gerade die negative Entwicklung bei den Großbestellungen auch eine Spätfolge der Coronapandemie. Vor dem virusbedingten Totaleinbruch auch bei Übernachtungszahlen hatte der Backbetrieb diverse Hotels in der Kundenkartei, die vom Sandwich-Baguette bis zum Frühstücksbrötchen teils auch für große Stückzahlen ein verlässlicher Abnehmer waren. Jetzt läuft das Geschäft hier eher schleppend, was auch für die im Schulverkauf benötigten Waren gilt. „Seit Corona fehlen uns 30 Prozent Umsatz“, räumt die Bäckereichefin ein. Sie und spricht offen von einem „riesigen Loch“ in der Kasse.

Dass sich die Fellbacher Bäckerei mit ihrer Kostenstruktur befassen muss, ist freilich keine ganz neue Entwicklung. Schon seit Jahren läuft bei Grau eine Schrumpfkur bei den Standorten. Unrentabel gewordene Filialen wie die von der monatelangen Dauerbaustelle betroffene Dependance im Ortskern von Schmiden hat das Unternehmen dicht gemacht. Auch in der nördlichen Bahnhofstraße hat Grau auf den schleichenden Attraktivitätsverlust und die fehlende Kundenfrequenz reagiert – und die Filiale wegen der fehlenden Laufkundschaft geschlossen. Aus den einst 13 Standorten wurden erst acht Verkaufsstellen, mittlerweile konzentriert sich die einst mehr als 90 Beschäftigte zählende Bäckerei auf noch fünf Filialen. Denn spürbar ist für Ines Grau durchaus, dass sich auch bei Brot und Brötchen das Einkaufsverhalten verändert hat. Statt sich weiter handwerklich gut gemachte Qualität zu gönnen, greifen auch Normalverdiener aus Kostengründen lieber zu Billiggebäck aus dem Discounter.

In der Backstube auf qualitativ weniger wertvolle Rohstoffe zu setzen oder mit der Hilfe industriell vorgefertigter Teiglinge zu tricksen, kommt für die Fellbacher Bäckerin dennoch nicht in Frage. Sie hofft, dass durch das Insolvenzverfahren auch die Abläufe im Unternehmen auf den Prüfstand gestellt werden können und der Betrieb nach der Prozessoptimierung gestärkt aus der Krise hervorgeht. „Es kann dann durchaus sein, dass es bestimmte bei der Herstellung besonders aufwendige Brotsorten bei uns nicht mehr geben wird. Aber bei uns wird nach wie vor nur das über die Theke gehen, von dem wir auch hundertprozentig überzeugt sind“, sagt die Fellbacher Bäckereichefin.