Foto: gms

Der Theißsee im Osten Ungarns war einst dazu gedacht, die Landwirtschaft voranzubringen. Heute ist der Stausee ein Ziel für Angler und Ökotouristen.

Wenn man mit einem Dosenbier auf einem Hocker in der schmalen Küche von Valéria Adamecz sitzt. Wenn vor der offenen Küchentür die Hunde über die Obstwiesen des ostungarischen Dorfs Kócsújfalu tollen, während Valéria Adamecz an der Spüle lehnt, sich mit dem Handrücken über die blond gefärbten kurzen Haare fährt und von den zwei Ferienwohnungen erzählt, die sie nebenan bewirtschaftet, und Valérias Mann stolz und schweigend neben seiner Frau steht und lächelt. Weil diese beiden Ferienwohnungen eigentlich ständig ausgebucht sind. Wenn sich ein warmes Gefühl von Angenommensein auf die Gäste senkt. Wenn sich also in der Küche von Valéria Adamezc eine besonders angenehme Form des touristischen Erlebnisses eingestellt hat. Dann kann man sehen, dass sich die Sache mit dem ökologischen Fremdenverkehr hier in der Region zwischen Puszta und Theißsee ziemlich positiv entwickelt hat.

Das war nicht unbedingt vorauszusehen. Tatsächlich galt dieser östliche Teil Ungarns jahrhundertelang als unwirtliche Gegend. Eine Steppe, die im Frühjahr zum Sumpf wird, sobald der Fluss Theiß das Land mit Schmelzwasser aus den Karpaten überschwemmt. Eine leere Weite, die den Menschen Arbeit und Ausdauer abverlangt. So flach, dass man melancholisch wird davon, sagen die Einheimischen. Die ersten landwirtschaftlichen Siedlungen wurden immer wieder von durchziehenden Tartaren und Mongolen geplündert.

Für die k. und k. Monarchie, wie Österreich- Ungarn auch genannt wurde, funktionierte das Gebiet als Kornkammer Ungarns. Später durchpflügten sozialistische Agrarmaschinen die Äcker der Produktionsgenossenschaften. Ein Gelände, das gut ist für Rinder, Mehl und Kartoffeln. Touristen besuchten lieber den Plattensee. In den Osten Ungarns fuhren sie nicht.

Jetzt hat sich das geändert. Nun kommen die Leute sogar aus weit entfernten Ländern angereist mit Fotoapparaten im Gepäck und Wanderschuhen. Weil es hier so viele Fischund Vogelarten gibt, wie kaum sonst in Europa. Weil am Theißsee neuerdings Biber wohnen, Seeadler und Fischotter. Weil ein einzigartiger Rückzugsraum für bedrohte Tier- und Pflanzenarten entstanden ist. Allein 5000 Storchenpaare nisten in der Gegend. Man kann hier draußen gewaltige Graskarpfen fischen, dabei auf blühende Seerosenfelder gucken, und abends beginnen die Froschkonzerte. Dabei kann es passieren, dass man sich dem Wesen der Dinge auf einmal sehr nahe fühlt, dass man in eine Art vormodernen Zustand abtaucht und alle postsozialistischen Neuheiten – die Handys, die Baumärkte, die Geländewagen –, also alle Aufdringlichkeiten der Welt für eine Weile abhandengekommen scheinen.

Das ist natürlich ein trügerischer Eindruck. Valéria Adamecz hat kürzlich eine Hollywoodschaukel in ihrem Garten aufgestellt. Sie hat Prospekte drucken lassen und ist per E-Mail zu erreichen. Auch die Nachbarn haben Teppiche in ihren Gartenlauben verlegt und "Zimmer frei"-Schilder gemalt. Überall in der Gegend mussten die Dorfbewohner reagieren. Denn ein stetiger Naturtourismus ist hier ins Laufen gekommen, der immer mehr Ausflügler, Vogelkundler und Campingbusse bringt.