Geprobt wird immer freitags in einem Besprechungszimmer. Foto: Annina Baur

Im Carlo-Steeb-Haus wird regelmäßig Theater gespielt. Bei den Proben und den Auftritten haben die Bewohner nicht nur Spaß, sondern tanken auch Selbstbewusstsein und entdecken neue Seiten und Talente an sich.

Bad Cannstatt - Sie singen ausgelassen, unterhalten sich über belanglose Themen und Politik, von der sie nicht allzu viel zu verstehen scheinen: In Auerbachs Keller sitzen vier Studenten beisammen, die stellvertretend für Plattheit und Primitivität, Naivität und Leere stehen. Sie brauchen nicht viel, um glücklich zu sein, nur Alkohol. Es ist zweifellos eine der bekanntesten Szenen aus Goethes Faust, die sich die Theatergruppe des Carlo-Steeb-Hauses vorgenommen hat.

Die sechs Männer, die bei der ersten Leseprobe um einen großen Tisch versammelt sind, sind zwar keine Sudenten, und doch passt die Szene. Viele der Männer, die im Wohnheim in Bad Cannstatt unterkommen oder früher einmal dort gewohnt haben, haben keinen leichten Weg hinter sich. „Ich bin trockener Alkoholiker, Ex-Raucher und ehemaliger Schlaftabletten-Abhängiger“, erzählt Wolfgang Eisinger. Er hat den Weg zurück in ein drogenfreies Leben bereits hinter sich, der noch vor einem seiner Mitspieler liegt: „Ich trinke täglich“, sagt Rainer Schulmann. Doch zurzeit habe er sich gut im Griff, solange er arbeitet und beschäftigt ist, gibt es kein Bier. Das Theaterspielen hilft ihm auch dabei: Es sind nicht nur die zwei Stunden Probe in der Woche, die ihn ablenken. Die Männertruppe geht auch gemeinsam zum Bowling, ins Eiscafé und ins Theater. Nicht zuletzt erfordert auch das Auswendiglernen der Texte Konzentration und Zeit.

Erster Auftritt nach der Sommerpause

Zum ersten Mal traut sich die Gruppe in diesem Jahr an ein langes Stück. „Bisher haben wir eher kurze Stücke von Brecht oder Tschechow einstudiert“, sagt der Regisseur und Theaterpädagoge Vladislav Grakovskiy. Seit drei Jahren unterstützt er die Theaterarbeit der Caritas, seit zwei Jahren arbeitet er mit der Gruppe im Carlo-Steeb-Haus. „Es ist eine Herausforderung“, sagt Grakovsky. Bei den Männern, mit denen er hier arbeite, versage schon mal das Gedächtnis, und alles dauere ein bisschen länger. „Aber alle sind mit Leidenschaft und Begeisterung dabei“, so der Regisseur. Immer wieder sei er überrascht von der Energie, die das Theaterspielen freisetze und auch von den verborgenen Talenten, die er entdecke.

„Die Entwicklung der Spieler ist jedes Mal aufs Neue beachtlich“, sagt Johannes Kucher von der Caritas. Häufig sei es kaum zu glauben, wie sehr sich die Spieler von der ersten Leseprobe bis zum Auftritt steigerten. Das gebe Selbstbewusstsein und mache Spaß: Das Carlo-Steeb-Haus wolle seinen Bewohnern nicht nur eine Grundversorgung, sondern eine Heimat bieten, sagt Kucher.

Inhaltlich wagt sich die Theatergruppe erstmals an eine Thematik, die für einige Mitspieler ein sensibles Thema sei: „Es geht um Menschen, die trinken und darunter leiden“, sagt der Grakovskiy. „Die große Ernüchterung“ heißt das Stück, das aus verschiedenen Szenen aus Film und Theater zusammengestellt ist, neben Goethe wird auch eine Szene des russischen Schriftstellers Wassili Schukschin einstudiert sowie Szenen aus „Der Trinker“ und „Clockwork Orange“.

Noch wird am Stück gefeilt, Texte werden noch ausgetauscht, es fließen auch von den Spielern selbst geschriebene Passagen ein. Nach den Sommerferien möchte die Gruppe erstmals damit auftreten.

Carlo-Steeb-Haus

Einrichtung: Das Carlo-Steeb-Haus in Bad Cannstatt wurde 1980 als Großeinrichtung für wohnungslose Männer gegründet und zählt zu den größten Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe in Baden-Württemberg.

Gebäude: In den sechs Bewohnerstockwerken des Hauses an der Gnesener Straße befinden sich 140 Einzelzimmer, die größtenteils mit einer Kleinküche ausgestattet und voll möbliert sind. Dazu kommen gemeinschaftlich genutzte Räume wie ein Speisesaal, eine Kegelbahn, Gruppen- und Besprechungszimmer.