Hans Wilhelm Bayer alias Thaddäus Troll 1974 bei einem Auftritt im Stuttgarter Fernsehturm Foto: Kaufmann

Am kommenden Dienstag, dem 18. März, wäre Hans Bayer alias Thaddäus Troll 100 Jahre alt geworden. Eine Annäherung an den schwäbischen Dichter, Denker und Schalk.

Stuttgart - Einen Menschen beschreiben, den man persönlich nie erlebt hat, oder sich zumindest ihm gedanklich nähern – wie kann das gehen?

Die biografischen Daten zusammentragen, das ist das eine: Thaddäus Troll, geboren am 18. März 1914 als Hans Wilhelm Bayer in Bad Cannstatt, „wo Schwaben am schwäbischsten, das heißt am kritischsten ist“, wie die „FAZ“ einmal bemerkte. Abitur am Johannes-Kepler-Gymnasium, Volontär bei der „Cannstatter Zeitung“, danach Studium der Germanistik, Kunstgeschichte, vergleichenden Literaturwissenschaft sowie der Theater- und Zeitungswissenschaft in Tübingen, München, Halle und Leipzig, wo er promovierte. Dann die Wehrmacht; 1941 landete er an der Ostfront und wurde Kriegsberichterstatter.

Den Zweiten Weltkrieg überstand er äußerlich unverletzt. 1945 entwickelte er mit dem Kabarettisten und Schauspieler Werner Finck in Stuttgart die erste deutsche satirische Nachkriegszeitschrift „Das Wespennest“. Im selben Jahr heiratete er die Journalistin Elfriede Berger. Aus der kurzen Ehe ging eine gemeinsame Tochter hervor. Aus seiner zweiten Ehe, ebenfalls mit einer Journalistin, Susanne Ulrici, entstammten zwei weitere Töchter.

Troll – ein unermüdlicher Schaffer. Von 1947 bis 1951 berichtete er von Stuttgart aus für den „Spiegel“. Parallel dazu begann er seine Schriftsteller-Karriere. Anfangs in Schriftdeutsch. Er produzierte Berge bedruckten Papiers: Essays, Feuilletons, Reisebücher, Romane, Bühnenbearbeitungen.

Kein Mann fürs stille Kämmerlein. Davon zeugen seine vielen Funktionen: Vorsitzender des baden-württembergischen Schriftstellerverbandes, Mitglied im Rundfunkrat und im ARD-Programmbeirats, P.E.N.-Vizepräsident . . . Dazu kommen die inoffiziellen Ämter: die Mitgliedschaft beim legendären (Stamm-)„Tisch der Dreizehn“ im Stuttgarter Lokal Kiste oder seine Rolle als Gastgeber in seinem Zweitwohnsitz Hinterrohrbach (Rems-Murr-Kreis), wohin er gerne Gäste einlud und sie bekochte.

Am 5. Juli 1980 schließt die Biografie mit dem Freitod in seiner Gablenberger Wohnung nach schweren Depressionen. Zwischen Geburt und Tod liegen 66 Jahre, in denen die großen Katastrophen des Jahrhunderts spielten, aber auch die großen Aufbruchsphasen. Auf seinem Grabstein auf dem Cannstatter Steigfriedhof steht der Name, unter dem er bekannt geworden ist: Thaddäus Troll. Um die Namenswahl ranken sich mehrere Geschichten, an denen er selbst mitschrieb. Eine lautet, er hätte sich in Anlehnung an den Elfen Puck (übersetzt „Droll“) aus Shakespeares „Sommernachtstraum“ so genannt. Zu „Thaddäus“ inspirierten ihn angeblich seine Kontakte nach Polen.

Wie aber kommt man nun dem Menschen Thaddäus Troll nahe? Dem Mann, der einen Nachruf auf sich verfasste, welcher mit den Worten beginnt: „Perfekt war er nie . . . eher imperfekt.“? Der den Schwaben Selbstbewusstsein einflößte. Der sie – wie auch sich selbst – zugleich mit ihren Merkwürdigkeiten konfrontierte? Mit ihren Widersprüchen („Mein Grimm gegen den Pietismus hat seinen Grund darin, dass ich den Pietisten in mir spüre“) oder ihrem rastlosen Wuhlen und Wuseln („Ich halte keinen Mittagsschlaf, sondern lege mich lediglich zum Nachdenken hin“).

Eine Annäherung kann über das Betrachten gelingen: Da ist die große Troll-Ausstellung im Cannstatter Stadtmuseum, die den Bilderbogen seines Lebens zeigt, dazu Erinnerungsstücke wie Trolls Schreibmaschine „Erika“ oder seine in bester schwäbischer Manier gestopfte Strickjacke. Da ist das Geburtstagsporträt: An diesem Sonntag (16. März) strahlt der Südwestrundfunk um 20.15 Uhr eine sehenswerte, 45-minütige Troll-Dokumentation von David Spaeth aus (Regisseur Frieder Scheiffele). Titel: „Thaddäus Troll – heiter bis schwäbisch“.

Vor allem aber lernt man Troll durch das Lesen kennen. Rund 70 Bücher stammen aus seiner Feder. Das erfolgreichste – „Deutschland deine Schwaben“ (600 000 Exemplare) – erschien 1967. Für viele Einheimische war es eine Art Erweckungserlebnis. Obwohl er auch Klischees bediente, galt Troll jetzt als Schwaben-Kenner schlechthin. Diesen Ruf festigte er durch sein Theaterstück „Der Entaklemmer“, eine schwäbische Variante von Molières „Der Geizige“ (ab 3. Juli wieder im Stuttgarter Theater der Altstadt zu sehen), sein freches Aufklärungsbuch „Wo kommet denn dia kloine Kender her?“ und den Gedichtband „O Heimatland“.

Troll beherrschte die Mundart. Er mochte sie und entwickelte sie weiter, indem er nicht rückwärtsgewandt schwiemelte, sondern zeitgemäß schwäbelte. Fast übersieht man dabei: Troll hatte auch auf Hochdeutsch etwas zu sagen. Zu seinem umfangreichen Werk gehört eine Serie über das Stuttgart des Jahres 1945, die er 1970 für die Stuttgarter Nachrichten schrieb.

Empfohlen sei die Annäherung an Troll auch über die Biografie „Thaddäus Troll – eine schwäbische Seele“ (Silberburg-Verlag). In dem reich illustrierten Band zeichnet der Journalist Jörg Bischoff dessen Leben plastisch nach. Beleuchtet werden auch dunkle Seiten – wie sein frühes Geschreibsel für Goebbels Propaganda-Apparat. Später urteilte Troll über sich selbst: „Ich flüchte vor dem Gedanken, dass ich damals feige war. Wenn ein paar tausend meines Schlags 1933 aufgestanden wären, dann wäre der Nationalsozialismus nicht gekommen.“ Es ist Trolls tiefe Wunde. „Im humoristischen Schreiben suchte er einen Ausweg aus dem Trauma seiner Vergangenheit“, schreibt Bischoff. Ob er ihn je fand?

Trolls Publikum, das mit der Zeit immer größer wurde, erlebte ihn in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren als heiteren und kritischen, liberalen Geist, der in seiner Heimat verwurzelt war und gleichzeitig Distanz zu ihr wahrte: „Stuttgart hat alles Große hinausgetrieben, ob es das Bauhaus war, ob es Hegel, ob es Schiller war“, sagte er über seine Stadt. Claus Peymann, der frühere Schauspieldirektor und gebürtige Bremer, nannte Troll einen „Dolmetscher“, der ihm den Weg „in das andere Schwaben“ gezeigt habe. Gemeint war das Nichtverhockte, das Rebellische.

In jedem Fall war er ein politischer Kopf. Troll stand der SPD nahe und warb für die Wahl Gustav Heinemanns zum Bundespräsidenten und Willy Brandts zum Bundeskanzler. 1974, im damaligen Stuttgarter Oberbürgermeisterwahlkampf machte er Reklame für den SPD-Kandidaten Peter Conradi. Sein Ratschlag, Schwäbisch zu sprechen, „ging bei einem Preußen natürlich voll in die Hose“, erinnert sich der mit Troll eng befreundete Autor Gerhard Raff. „Später hat er dann den Wahlsieger Manfred Rommel verehrt. Seiner Liberalität wegen.“

Der Schwabe, so weit ist die Annäherung an Troll nun fortgeschritten, würde sagen: „So isch’s no au wieder.“