Drei Tänzerinnen stellen in Katja-Erdmann-Rajskis Heinrich-von-Kleist-Bearbeitung „Penthe“ die Amazonenkönigin Penthesilea dar Foto: Maor Waisburd

Ins Kampfgetümmel der großen Gefühle stürzt sich die Stuttgarter Choreografin Katja Erdmann-Rajski in ihrem neuen Tanzstück. „Penthe. Küsse und Bisse“ heißt es flott, Kleists tragischem Stoff will es auch komische Seiten abgewinnen. Premiere ist am Dienstag im Theaterhaus.

Stuttgart - Frau Erdmann-Rajski, wie laufen die Vorbereitungen für Ihr neues Stück, das Kleists Drama über die Amazonenkönigin Penthesilea zum Ausgangspunkt hat?

Die sind leider herausfordernder als geplant. Der Schauspieler, der Penthesilea wie ein Sensationsreporter bis ins Kampfgetümmel verfolgen und entsprechend darüber berichten sollte, ist leider erkrankt. Als auch noch sein Ersatzmann krank ausgefallen ist, habe ich alle Schauspieler kontaktiert, die ich kenne. Aber alle sind entweder im Urlaub oder völlig erschöpft von der letzten Saison. Deshalb musste ich die Reporterfigur streichen und ihren Text einsprechen lassen.
Ihre Tänzer sind aber fit?
Ja. Und zum Glück ist eine junge Tänzerin darunter, die eine große Begabung auch fürs Sprechen hat. Denn ich wollte unbedingt die komplizierte Kunstsprache Kleists und ihren schwierigen Satzbau mit alltäglichem, heutigem Reden konfrontieren. Diese Begegnung ist ein Konzept des Stücks.
Greifen Sie das auch im Tanz auf?
Der Tanz beschäftigt sich vor allem mit den verschiedenen Aspekten in der Beziehung zwischen Penthesilea und Achill, es geht um Begehren und um eine Lust, die tödlich ist. Ich versuche zu zeigen, wie nah ein Kuss an die Grenze bringen kann, an der Lust in Gewalt, in Selbstverletzung umschlagen kann. Ein Tänzer ist dabei, der den Achill verkörpert, der aber auch auf die Seite der Amazonen schlüpft, beide sind sich in ihrem Rasen und Wahnsinn sehr ähnlich. Den ernsten großen Gefühlen des Dramas gewinnen wir aber auch komische Seiten ab.
„Penthe. Küsse und Bisse“ nennen Sie das Resultat, ist das nicht zu flapsig?
Nein, wir wollten diesen tragikomischen Ansatz. Auch das Plakat zum Stück, das einen Silikonbusen an der Wäscheleine zeigt, spielt damit. Den Spitznamen Penthe hatte die Amazonenkönigin übrigens von Beginn der Proben an weg; der Name Penthesileas ist ja nicht gerade leicht auszusprechen...
Das ganze Stück gilt als schwer spielbar. Können Sie das nachvollziehen?
Das stimmt. Vielleicht hat das krankheitsbedingte Ausfallen unserer beiden Schauspieler damit zu tun, dass sie sich mit Kleists komplizierter Sprache so gequält haben.
Was hat Sie an dem schwierigen Stück gereizt?
Kleists Figur der Penthesilea hat etwas sehr Aktuelles; sie denkt über verschiedene Aspekte des Weiblichen nach. Sie ist zum Beispiel eine Frau, die gegen die Gesellschaft, in der sie lebt, aufbegehrt. Das ist etwas, was ich heute vermisse, wenn ich etwa meine Studentinnen sehe, die alle zu schnell kleinbeigeben. Zudem ist Penthesilea eine Frau, die eine ganze Truppe anführt und als Tätigkeit nichts anderes kennt, als in den Krieg zu ziehen und zu kämpfen.
Eine Führungspersönlichkeit, wie man sie heute oft sucht?
Sie hat männliche Qualitäten, aber die interessantere Frage ist, was an Weiblichem in ihr steckt, wie geht Penthesilea mit Gefühlen um? Und da ist noch ein Thema, das einen als Frau beschäftigt, wenn man etwas älter ist - und zwar die Frage der abgeschnittenen Brust. Wie sieht eine derart versehrte Frau aus? Die Amazonen müssen ein Ritual eingeführt haben, bei dem jungen Mädchen eine Brust entfernt wird; das ist befremdlich, bringt einen aber zum Nachdenken über die Rituale anderer Kulturen.
Musikalisch haben Sie Kleist seinen Zeitgenossen Mozart an die Seite gestellt . . .
Das ist vielleicht das größte Wagnis dieses Abends. Kleist wie Mozart wird ja nachgesagt, dass ihre Kunst formsprengend ist. Für mich ist in Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“ die ganze Geschichte der Penthesilea enthalten: das Männerverachtende, die Liebesgeschichte, Trennung, Wiedersehen, das Gemeinsam-in-den-Tod-Wollen. Gemischt mit Schlagern, die die romantische Liebe besingen, gibt das eine ganz witzige Verbindung.
Gibt’s dann auch ein Happy End?
Sagen wir’s so: Penthesilea, die bei mir in drei Tänzerinnen verkörpert ist, fällt nicht um, ich lasse sie am Schluss einfach so stehen. „Nun ist’s gut“, sagt sie bei Kleist. Wir mischen noch ein wenig Komödie in die Tragödie rein. Aber am Ende geht es um das Scheitern der Liebe, und das lasse ich offen so stehen.

Premiere an diesem Dienstag um 20 Uhr im Theaterhaus; Tickets: 07 11 / 40 20 7 20.