Franz Lutz geht nach neun Jahren als Chef der Stuttgarter Polizei in den Ruhestand. Was hat seine Ära ausgemacht?
Man kann nicht sagen, dass er sich Stuttgart ausgesucht hätte. Obwohl gebürtiger Stuttgarter, ist Polizeipräsident Franz Lutz im Herzen ein Reutlinger. Als Chef der Reutlinger Polizei sollte er vor neun Jahren das von ihm neu geformte Polizeipräsidium mit den Landkreisen Reutlingen, Esslingen und Tübingen übernehmen – doch dann kam es anders. Der tödlich verunglückte Präsident Thomas Züfle, der den Kampf um Stuttgart 21 befriedete, musste ersetzt werden. Lutz übernahm das Amt in der Landeshauptstadt, pendelte täglich dorthin, wo man „kaum zum Luftholen kommt“ – und blieb länger, als er hätte bleiben müssen.
Nun aber, unmittelbar nach seinem 65. Geburtstag, ist Schluss. Am heutigen Dienstag wird er im Rathaus in den Ruhestand verabschiedet. Sein Nachfolger wird der bisherige Vizepräsident, der 53-jährige Markus Eisenbraun. Was hat die Ära Franz Lutz ausgemacht? Er selbst sagt nichts dazu.
Von Flüchtlingswelle bis Coronaproteste
Der Mann aus Reutlingen, dessen erster Einsatzort das Revier Degerloch war, ist kein Mann für die Kameras und Mikrofone, er will sich nicht zur Schau stellen. Lutz ist einer, der nach innen wirkt – ein Organisierer, ein absoluter Zahlenmensch, ein akribischer Analysierer und Pläneschmieder. Das ist wohl nicht das Schlechteste in Zeiten, die seit seinem Amtsantritt im Herbst 2013 weiterhin unruhig geblieben sind. Der damalige Innenminister Reinhold Gall hatte von ihm, nach dem Höhepunkt der S-21-Proteste, einen „kommunikativen und transparenten Führungsstil“ erwartet, der Polizei und Protestbürger versöhnen sollte. Dann kamen aber noch ganz andere Herausforderungen: Flüchtlingswelle aus Syrien, islamistische Terrorgefahr, die Folgen der sexuellen Übergriffe in Köln, Corona-Querdenker-Proteste, die Krawallnacht 2020.
Glasscherben auf dem Kleinen Schlossplatz
Der Kleine Schlossplatz ist Lutz, fast prophetisch, schon vor neun Jahren ein Dorn im Auge gewesen: „Auf den Treppen laufen Sie nur noch über Glasscherben“, klagte er – und sprach sich in einem Gespräch mit unserer Zeitung vehement für ein zeitlich und örtlich begrenztes Alkoholverboten an Brennpunkten aus. Und für Verstärkung von außen für eine Stadt, die „an einem einzigen Wochenende mehr Einsätze hat als Reutlingen in einem halben Jahr“. Was hat er erreicht, was nicht? Solchen Fragen weicht Lutz aus.
Dem scheidenden Polizeipräsidenten wird nachgesagt, dass es bei ihm keinen Entscheidungsstau gibt. Ein solcher Menschenschlag ist gefragt, wenn etwas passiert wie in der Vorweihnachtszeit 2016, als ein islamistischer Terrorist mit einem Lkw in den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz raste. Zwölf Tote und 67 Verletzte.
Der Schlossplatz als Trutzburg
Wie verwundbar ist der Stuttgarter Weihnachtsmarkt – und was kann man sofort tun? Am Morgen nach dem Berliner Anschlag gibt es im Polizeipräsidium Krisenkonferenzen. Es ist 9.20 Uhr, als Lutz zum Telefon greift und den Oberbürgermeister darüber informiert, was zu tun ist. Schon am Nachmittag werden entlang der Königstraße, an der Planie und der Eberhardstraße Abwehrriegel aus Beton aufgebaut. Betonklötze, wie sie bis dato allenfalls an Autobahnbaustellen installiert wurden.
Der Schlossplatz als Trutzburg. Wo es brennt, kann Lutz aufs Tempo drücken. Gleichzeitig ist er nach außen die Ruhe selbst: „Angst, hektische Forderungen oder Kopflosigkeit waren noch nie gute Ratgeber“, sagte er an jenem Tag. Eine Weihnachtsbotschaft. Wie dann im Sommer in der Krawallnacht. Lutz weilte am 20. Juni 2020 im Allgäu im Urlaub, als Randalierer Geschäfte plünderten und Polizisten angriffen. Als er nachts zum 2.30 Uhr davon erfuhr, machte er sich auf den Rückweg.
In den Tagen danach wurden Schwachstellen analysiert, Einsatztaktiken angepasst. Ein Wochenende später war Lutz zufrieden: „So lange mein Einsatzleiter hier Interviews gibt“, sagte er mit Blick auf den nächtlichen Eckensee, „ist alles gut.“ Dieser Einsatzleiter gilt heute übrigens als Favorit auf die Polizeivizepräsidentenstelle.
Auch der Polizeisprecher geht in Ruhestand
Mit den Medien will Lutz möglichst wenig zu tun haben. Dafür hat er seine Pressesprecher, lässt er wissen. Nun geht aber auch der Chefkommunikator. Stefan Keilbach hat seit 1995 insgesamt fünf Polizeipräsidenten erlebt – und ihnen eine Stimme als Polizeisprecher gegeben. Seit 2006 als Leiter der Pressestelle. Der 60-jährige Cannstatter, über 43 Jahre auf Stuttgarter Terrain im Einsatz, lässt Stuttgart ebenfalls hinter sich - mit dem Beweis, dass Kompetenz für höhere Aufgaben nicht nur von Farben der Sterne auf den Schulterklappen abhängig ist.
Schließlich gilt der Dienstrang Erster Polizeihauptkommissar als Sprachrohr und Kommunikator der Polizei heute als Anachronismus. Längst haben die ranghöchsten Kommissare selbst Positionen wie Revierführer der jungen Generation der Polizeiräte überlassen müssen. Der Generationenwechsel in der Stuttgarter Polizei schreitet voran – der Abschied der Aushängeschilder Lutz und Keilbach im vierten Stock des Polizeipräsidiums ist ein untrügliches Zeichen.