Die Bierzelte stehen, das Riesenrad dreht schon Proberunden, und in den Geschäften für Trachtenmode herrscht Hochbetrieb: Fürs Frühlingsfest muss ein neues Dirndl her.

Stuttgart - Eng auf Taille geschnürt das Mieder, weit schwingend der Rock, darüber eine Schürze und darunter weiß hervorblitzend der Spitzenunterrock: Kein Kleidungsstück bringt weibliche Vorzüge so zur Geltung wie ein Dirndl. Dass die Bluse unterm Mieder dem prallen Dekolleté genügend Freizügigkeit lassen muss, versteht sich.

Selbst die Aufzählung dieser Vorzüge hätte nichts gefruchtet, wenn Mütter vor einem Jahrzehnt gewagt hätten, ihren Teenie-Töchtern vorzuschlagen, statt der ewigen Jeans mal ein Dirndl anzuziehen. Spießig, altmodisch, hinterwäldlerisch und in dieser Stadt völlig deplatziert, das wären wahr-scheinlich noch die harmlosesten Argumente der entschiedenen Ablehnung gewesen. Und jetzt? Überflutet die Trachtenwelle von der Isar das Neckarufer am Wasen.

„Jetzt sind die Damen, vom jungen Mädchen bis zu den Müttern, mit einem Dirndl im Schrank nicht mehr zufrieden“, berichtet Carmen Peter, die Geschäftsführerin von Trachtenausstatter Krüger. Man könne doch zum Frühlingsfest unmöglich dasselbe Dirndl wie am Volksfest anziehen. Im Laden in der Calwer Straße drehen sich die Kundinnen ein bisschen selbstverliebt vorm Spiegel: Herzig schauen sie aus.

Prunk und Pracht statt sittliche Karo-Muster

Längst hat sich die Mode des Dirndls be-mächtigt. Wo früher ländlich-sittliche Karo-Muster oder dezente Streublümchen üblich waren, wird jetzt Prunk und Pracht entfaltet. Mit üppig blühendem Rosendessin, zu dem man sich auch verspielte Rosenkränzchen ins Haar stecken darf, mit ornamentalem Brokat, mit Seide, Spitze und Stickerei, mit Bordüren, Perlen und Pailletten.

Die Schürzen, die die Designerin Astrid Söll zu ihren Seidendirndln in Rosa und Hellblau entwirft, gleichen kostbaren Saris, so reich ist der Organza mit Glitzerndem bestickt. Hoch geschnittene Krägen geben den Miedern eine fast königliche Anmutung. Die ganze Flora der Bergblumen verteilt Lola Paltinger, die Lieblings-Dirndl-Designerin der Münchner, auf ihren Miedern und Schürzen aus rubinrotem Samt.

„Die sind eigentlich für ein Volksfest gar nicht geeignet, weil sich Bier- und Hendl-flecken nicht gut auf Samt und Organza machen“, meint Tina Laszlo vom Trachtenhaus Angermaier. Vielleicht doch lieber ein schlichteres Modell aus Baumwolle? Ohne so viel Bling-Bling und Chichi? Der Trend gehe wieder zum klassischen Dirndl, ist bei allen einschlägigen Anbietern zu hören.

Das Dirndl war einmal das Arbeitskleid der Stallmagd

Aber was ist schon klassisch? Denn das Dirndl war ursprünglich nichts anderes als das Arbeitskleid der Stallmagd, auf Bayerisch Dirn, daher Dirndl. Und ist erst im 19. Jahrhundert durch die Trachtenvereine im alpenländischen Raum zum Feiertagsgewand geadelt worden.

Vollends in den Olymp der Mode wurde das Trachtengewand für Sie und Ihn erhoben, als sich die Sommerfrischler aus der Stadt in den Bergen alpenländisch verkleideten. Weil doch Kaiser Franz Joseph in Bad Ischl auch in der „Kurzen“ auf die Jagd ging und der bayerische Prinzregent Luitpold seine Untertanen am liebsten in Tracht sah.

Als die Operette „Das Weiße Rössl“ (The White Horse) am Broadway lief, soll man sogar Dirndl auf der Fifth Avenue gesehen haben. Bis dahin ist der neue Hype unseres Wissens noch nicht wieder gedrungen, aber bei Trachten-Krüger gehören die amerikanischen Kunden zum Alltag.

Und verlassen, „how lovely!“, voll ausstaffiert den Laden. Vom rosa Dirndl mit Herzchenmuster für die Tochter bis zu winzigen Lederhosen für die Buben, vom Haferlschuh bis zum Hut, vom Petticoat bis zum Push-up-Bra für den gut eingeschenkten Balkon und dem verführerischen Strumpfband wird man von Kopf bis Fuß drunter und drüber eingekleidet.

Teure Outfits: nach oben fast keine Grenze

Die Grundausstattung mit Hemd, Hose und Schuhen beginnt für Ihn bei 200 Euro, bei den Damen ist, angefangen bei unter 100 Euro, der Lust am opulenten Auftritt nach oben fast keine Grenze gesetzt. Sie investieren sogar noch mehr, wie jene Kundin, die eine Verkäuferin aufklärte: Nicht der liebe Gott habe sie so gut fürs Dirndl-Dekolleté ausgestattet, „nein, das war sehr teuer“.

Lange ehe der Trachtenhype Stuttgart und den Wasen erreicht hat, wollte der frühere Verkehrsdirektor und Wasenchef Peer Uli Faerber, dass die Schwaben endlich auch eine eigene Tracht fürs Volksfest besitzen. Damals ist nichts draus geworden. Doch nun endlich ist dieser schmerzliche Mangel behoben: Es gibt eine Württemberg-Tracht. Im Partnerlook, geziert mit dem Wappen samt Löwe und Hirsch und dem aufgestickten (VfB-)Spruch: Furchtlos und treu.

Pate, verrät Reni Wiesmaier von Trachten-Hit, war seine Königliche Hoheit, Eberhard Herzog von Württemberg. Und die Wasen-Hausherren von in.Stuttgart wie Marcus Christen treten endlich standesgemäß auf.

Das Frühlingsfest ruft: Zeit zum Andirndln und Herausputzen.