Alina Schick und ihre ungewöhnliche Pflanzenwelt. Foto: Leif Piechowski

Ihre Pflanzen lässt sie rotieren und in ungewohnte Richtungen sprießen. Die Stuttgarter Biologin Alina Schick will mit Grüngewächsen, die scheinbar die Schwerkraft ignorieren, in eine Marktlücke stoßen. Erste Kunden hat sie mit ihrer neuen Geschäftsidee schon an der Angel.

Stuttgart - Wo immer Alina Schick mit ihren Produkten oder Fotos davon hinkommt, sorgt sie beim Publikum für einen Moment des Innehaltens. Jeder, der die wie an der Schnur gezogen waagerecht in die Horizontale wachsenden Pflanzen betrachtet, fragt sich: Wie funktioniert das?

Die Biologin wird nicht müde, die vermeintliche Sinnestäuschung als Produkt wissenschaftlichen Forschens zu erklären. Die Pflanzen, ja sogar Bäume von Alina Schick wachsen deswegen nicht nach oben, wie es normal wäre, weil bei ihnen die Schwerkraftwahrnehmung durch eine Dauerrotation manipuliert ist. „Wenn sich eine Pflanze unaufhörlich dreht, weiß sie buchstäblich nicht mehr, wo oben und unten ist“, sagt Schick.

In Bonn hat sie Gravitations-Botanik studiert und sich dabei intensiv mit dem Einfluss der Schwerkraft auf Pflanzen beschäftigt. Schon vor 150 Jahren stellte der berühmte Botaniker Julius Sachs einen Blumentopf auf ein Uhrwerk und ließ ihn um die eigene Achse drehen. Die Statolithen, kleine Stärkekörner in den Pflanzenzellen und für die Richtung des Wachstums maßgeblich, gerieten aus der Bahn. An diesem alten Grundprinzip orientierte sich Alina Schick, als sie 2009 begann, eigene Versuche zu starten. „Dabei kam mir der Gedanke, es auch mal mit Bäumen zu versuchen“, sagt die Biologin und Agrarwissenschaftlerin.

Nicht nur für die Optik hilfreich

Seit den ersten Aktionen mit in einer Waschmaschinentrommel quer eingebauten Baum- und Pflanzentöpfen hat Schick in Kooperation mit dem Institut für Kulturpflanzenwissenschaften der Universität Hohenheim viele Erfahrungen gesammelt, Verfahren und die Ermittlung von geeigneten Pflanzentypen weiterentwickelt. Dass es bei einer hübschen biologischen Erkenntnis nicht bleiben sollte, entspricht dem Naturell von Alina Schick. „Ich habe schon immer gern Projekte entwickelt und mich für die Umsetzung in der Realität interessiert.“ Nach ihrer Vorstellung können waagerecht wachsende Pflanzen vor allem bei der Fassadenbegrünung eine wichtige Rolle spielen. Nicht nur optisch, sondern auch fürs Klima, in dicht besiedelten Städten zudem im Kampf gegen Hitzestau.

Visioverdis, so heißt die von Alina Schick und ihren beiden Mitarbeitern Anatol Eyl und Arne Augustini gegründete Firma. Ihr erstes Hightech-Produkt, das als Langzeitversorgungssystem die technische und botanische Lösung darstellen soll, trägt den Namen Graviplant. Schick hat das System zum Patent angemeldet.

Nicht nur sie selbst, auch andere glauben daran. Über Exist, ein Förderprogramm der Bundesregierung für Existenzgründer aus dem Hochschulbereich, hat Visioverdis eine erste finanzielle Unterstützung erhalten. Und kürzlich wurde ihr Ding als „beste Geschäftsidee“ beim Ideenwettbewerb Push! der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart (WRS) ausgezeichnet. Die WRS will junge Menschen bekräftigen, eine Idee voranzutreiben, in der sie eine große Chance sehen. Und der Gewinner 2015 sei auch deshalb bemerkenswert, weil er „zeigt, wie Forschung wirtschaftlich werden kann, ist die Idee doch direkt einem wissenschaftlichen Projekt entsprungen“, so Andreas Kuckertz von der Jury.

Wissenschaftlerin und Geschäftsfrau

Alina Schick weiß, dass so etwas natürlich die Aufmerksamkeit für ihr Produkt steigert. Sie selbst hat in den vergangenen Wochen und Monaten diverse Messen und Veranstaltungen besucht. „Das war für mich die Möglichkeit zu schauen, wie wir da reinpassen könnten“, sagt sie über Projekte wie den Berliner Kongress Zukunftsstadt des Fraunhofer-Instituts.

Jetzt präsentiert Visioverdis mit Unterstützung einer Unternehmensberatung einen fertigen Geschäftsplan und will ab sofort mit dem fertig designten Marktprototypen in Form eines Liguster-Baumes auf Kundenwerbung gehen. Einen ersten Interessenten, dessen Gebäude begrünt werden soll, hat Alina Schick schon an der Hand.

Es sind spannende Zeiten, in denen sich die 39-Jährige von der Wissenschaftlerin immer mehr zur Geschäftsfrau zu verändern scheint. „Nein“, wehrt sie ab, nach wie vor wäre auch die Biologin und Forscherin in ihr gefragt, wenn es um die weitere Geschäftsfeldentwicklung geht. Die Kombination aus beiden Bereichen ist für Schick interessant. Gleichwohl steht die Vermarktung ihrer Idee in den nächsten Monaten im Vordergrund. Alina Schick ist davor nicht bange. „Wir haben viel Inspiration und neue Ideen, wollen uns nicht nur als Fassadenbegrüner verstanden wissen. Visioverdis gestaltet und produziert technische Produkte und Verfahren, um Pflanzen in neue menschliche Lebensräume zu integrieren.“ Da das Feld „noch nicht so abgegrast ist“, sieht Alina Schick „viel Markt auf uns zukommen“.