Grelle Reklame von Amüsierbetrieben und Bordellen soll im Leonhardsviertel in den Hintergrund gedrängt, das urbane Leben jenseits der Bordelle gestärkt werden Foto: Lichtgut/Horst Rudel

Der Straßenstrich in Stuttgarts Altstadt soll weg, Armutsprostitution bekämpft werden. Für diesen Plan gibt es im Gemeinderat großen Rückhalt – und Hoffnung, dass der Gesetzgeber mithilft. Mit einer Werbekampagne will sich die Stadt an die Freier wenden.

Stuttgart - Kurz vor 11 Uhr hat es OB Fritz Kuhn (Grüne) am Dienstag eilig. Er verlässt den Gemeinderatsausschuss für Umwelt und Technik und eilt zu einem Termin mit Werbespezialisten. Da geht es um Ideen für eine Kampagne, mit der die Stadt an Freier appellieren will, ihre Lust nicht an minderjährigen Dirnen abzureagieren. Oder an Frauen, die aus Armutsregionen in Osteuropa stammen und von Verwandten gezwungen werden, sich in Stuttgart zu verkaufen. Darüber hatte der Ausschuss vor Kuhns Abgang mehr als zwei Stunden debattiert.

Der OB und Stuttgarts Polizeichef Franz Lutz präsentierten die konzertierte Aktion, die den Prostituierten das Leben etwas erleichtern soll – und die „im Leonhardsviertel ein nicht durch Prostitution dominiertes urbanes Leben ermöglichen“ soll.

Einer im Ausschuss lobte zwar auch das Konzept, sprang aber trotzdem nicht auf den Zug auf. AfD-Stadtrat Eberhard Brett redete verstärkten Kontrollen im Viertel das Wort, hielt aber nichts davon, dass die Stadt im Leonhardsviertel Häuser aufkauft und der Zuhälterei entzieht. Damit dränge man die Prostitution in andere Viertel ab, sagte Brett. Man solle das Leonhardsviertel als Rotlichtviertel belassen, ähnlich wie in Hamburg die Reeperbahn.

Jürgen Zeeb (Freie Wähler) warnte ebenfalls, wenn man die Prostitution verdränge, könne sie in andere Gebiete übergreifen und die 17 Polizeibeamten überfordern, die in Stuttgart gegen illegale Prostitution vorgehen. Doch mit ihren Kernanliegen fand Kuhns Truppe großen Rückhalt. Unverständnis herrschte am ehesten darüber, dass das Vorgehen gegen Prostitution in früheren Hotels im Leonhards- und im Bohnenviertel so schleppend sei.

Für ein komplettes Verbot von Prostitution ließ an diesem Tag nur Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) eine Vorliebe erkennen. Ihr Chef sagte, man wolle die Prostitution zurückdrängen, zwar nicht verstecken, aber Stuttgarts ältestes Viertel zurückerobern fürs urbane Leben. Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle (Grüne) formulierte, in dem Viertel müsse es wieder mehr Wohnnutzung geben. „Der Straßenstrich ist nicht akzeptabel – es geht auch ohne.“

Ein Stück weit scheint der Straßenstrich schon zurückgedrängt zu sein. Polizeichef Lutz berichtete, nach zuvor rund 90 Prostituierten beobachte man bei Ortsterminen jetzt noch rund 70 Frauen auf der Straße.

Der Preis dieses Zurückdrängens, wandten zwei Stadträtinnen ein, könnte hoch sein. Natürlich müsse man Minderjährige vor Prostitution bewahren, sagte Laura Halding-Hoppenheit (SÖS), aber dann könnten die meist osteuropäischen Mädchen in Häuser gesperrt und versklavt werden von den Zuhältern, die oftmals Familienmitglieder seien. Und auch Judith Vonwinkel (SPD) warnte in der Hinsicht vor mehr Misshandlungen. Lutz hielt Zahlen dagegen. In Stuttgart gebe es mit 1200 Frauen dreimal so viel Wohnungsprostitution wie Straßenprostitution (insgesamt etwa 400 Frauen). Dennoch sei die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Gewaltdelikts zu werden, bei der Wohnungsprostitution deutlich geringer.

Lutz hofft, dass der Bund Prostitution vor dem 21. Geburtstag verbietet. Das würde in Stuttgart helfen, denn jede siebte bis achte Prostituierte sei hier im Alter zwischen 18 und 21 Jahren. Minderjährige Dirnen, solche unter 18 Jahren, habe man 2014 nicht entdeckt. 2013 habe es einen Fall gegeben. Um den Bund zu günstigeren Rahmenbedingungen zu veranlassen, erwägen die Stadträte jetzt eine Resolution zu versenden. Die Verwaltung befürwortete im Städtetag die Heraufsetzung des Mindestalters.

Dagegen lehne man Zwangsuntersuchungen von Prostituierten bei Amtsärzten ab, sagte Kuhn. Man habe gute und nützliche Beratungsangebote. Der OB will die Armutsprostitution künftig auch offensiv ansprechen, wenn ihn Konsuln aus einschlägigen osteuropäischen Staaten besuchen: „Es kann ja nicht angehen, dass aus Armutsgebieten von EU-Mitgliedsstaaten Eltern ihre Töchter hierher schicken, um sich zu prostituieren.“

Allergisch reagierte er, als die SPD meinte, das Konzept ziele auf eine städtebauliche Aufwertung, aber nicht darauf, die Lage der Prostituierten zu verbessern. Dagegen, meinte Kuhn, spreche schon die geplante Freierkampagne. Er lasse das Konzept „nicht runtermachen“. Tatsache sei: „Wir sind jetzt in der Offensive. Gegen illegale Betriebe gehen wir mit allen rechtsstaatlichen Mitteln vor.“ Die Aktivitäten dürften aber nicht so verstanden werden, dass Stuttgart die Hochburg der Armutsprostitution in Deutschland wäre. Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) warf speziell der SPD vor, sie leiste dem Missverständnis Vorschub und tue so, als wäre die Stadt tatenlos.