Beim letzten Nachtflohmarktwurden vor allem Platten, Klamotten und Kunstartikel verkauft – zu Musik von DJs und kühlen Getränken. Foto: StN

Viele denken beim Stichwort Flohmarkt an verschrobene Krämerseelen und an Kunden, die in aller Ruhe kruschteln. Der moderne Sammlermarkt bietet aber neben Trödel auch Unterhaltung.

Viele denken beim Stichwort Flohmarkt an verschrobene Krämerseelen und an Kunden, die in aller Ruhe kruschteln. Der moderne Sammlermarkt bietet aber neben Trödel auch Unterhaltung.

Stuttgart - Eigentlich ist der Januar ja nicht der Monat, der witterungstechnisch zum Bummel auf dem Flohmarkt einlädt. Außer man bedient sich eines cleveren Kniffs und verlegt die Veranstaltung einfach nach innen – wie beim Nachtflohmarkt in den Wagenhallen geschehen. Dieser findet heute Abend von 19 Uhr bis 1 Uhr statt. Für hippe Einkaufsatmosphäre sorgen DJs, die das Geschehen mit Indie- und Rock’n’Roll-Sound bespielen. Aber ist das Konzept Flohmarkt überhaupt etwas für die jungen Leute, die sich in der Kulturstätte am Nordbahnhof heimisch fühlen?

„Und wie!“, sagt Stefan Mellmann von den Wagenhallen. Nachdem er vor drei Jahren mit dem Kunstkaufhaus das erste Shoppingerlebnis in die Veranstaltungsräume holte, folgte im September mit dem ersten Nachtflohmarkt das zweite. Die Resonanz: „Beim Kunstkaufhaus kommen etwa 3500, beim jungen Nachtflohmarkt 2500 Leute pro Tag.“ Während beim Kunstkaufhaus der Fokus auf neue Kunst- und Designprodukte gerichtet ist, gibt’s beim Nachtflohmarkt Gebrauchtes, oft aus der selben Sparte. „Vor allem Schallplatten, Kunst und Klamotten“, sagt Mellmann. Aber auch alte Instrumente und Vintage-Möbel zu erschwinglichen Preisen finden sich dort. „Letztes Jahr habe ich jemanden mit einem wuchtigen Kronleuchter für zehn Euro herauslaufen sehen.“, sagt Mellmann. Also sind auch Schnäppchenjäger richtig.

Exotische Namen für Flohmärkte

Märkte wie Nachtflohmarkt und Kunstkaufhaus sind nicht die einzigen in Stuttgart, bei denen die Grenzen von klassischem Flohmarkt, Designmesse und Kunstgalerie verschwimmen und die an angesagten Treffpunkten stattfinden. Auch allein das Stöbern reicht nicht mehr: „Schöne Menschen und Dinge gucken, dazu nette Mucke, lecker Grundlage für den Bauch, ein bis fünf Bierchen zum Vorglühen und dann ab auf die Piste“, beschreibt Flohmarktbesucherin Nina Bauer aus Stuttgart-Nord das Gefühl beim Nachtflohmarkt. Die Floh- und Kunstmärkte von heute hören auf exotische Namen wie Holy-Shit-Shopping, Dekumo oder Pop-Rocky-Pop-Up-Store – und es werden immer mehr. Zusammengenommen erreichen sie Besucherzahlen, die in Regionen der größten klassischen Stuttgarter Flohmärkte – Frühlingsflohmarkt und Herbstflohmarkt – kommen. Greifen die jungen, hippen Märkte dem klassischen Flohmarktmodell also die Kunden ab?

„Nein“, sagt Jörg Trüdinger, alter Flohmarkt-Hase und Sprecher der Händler vom Flohmarkt auf dem Karlsplatz. Auch er spürt einen Aufschwung, wenn es um die Nachfrage von Gebrauchtwaren geht. Er führt das auf das erstarkte Umweltbewusstsein der Bürger zurück: Wegwerfen ist nicht mehr sexy. Wobei er bemängelt, dass tatsächlich Händlernachwuchs fehlt, der das Angebot lebendig hält. „Jungen Menschen ist es wohl zu früh, um sechs Uhr morgens aufzubauen“, mutmaßt Trüdinger. Sein Publikum ist freilich etwas älter als das von Stefan Mellmann. „Und stärker auf Sammlerstücke und Antiquitäten ausgerichtet“, sagt Trüdinger, dem die Entwicklung der neuen Kunstmärkte keinesfalls entgangen ist.

Trotz Überschneidungen beim Angebot, vor allem was Klamotten und Platten angeht: Die Konkurrenz des Flohmarkts am Karlsplatz heißt Ebay. Die Onlineplattform hat ihn und viele andere Händler in den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende in eine tiefe Krise gestürzt. „Heute ist die Freude am Stöbern zum Glück zurückgekehrt“, sagt er. Auch, weil man das Angebot den Trends angepasst hat. „Als ich vor 34 Jahren mit Flohmärkten angefangen hab’, da gab es diese bemalten Jutebeutel.“ Trüdinger hält kurz inne. „Ach nein – die sind ja heute auch wieder da.“ Vielleicht sind die Vorlieben von alten und jungen Flohmarktbesuchern ja gar nicht so verschieden.