Die Staatsgalerie Stuttgart ist ein wichtiger Baustein des Kulturquartiers Stuttgart Foto: dpa

Stuttgart ist Deutschlands Kulturmetropole Nr. 1. Ein Erfolg, der Weichenstellungen in Sachen Opernsanierung und Kulturquartier provoziert, meint „Stuttgarter Nachrichten“-Autor Nikolai B. Forstbauer.

Stuttgart - „Stuttgart erneut Kulturhauptstadt Nr. 1“. Das klingt gut. Und die Fakten begründen den Spitzenplatz aufs Schönste: Stuttgart bietet in nahezu allen Bereichen nicht nur die meisten Sitzplätze, sondern verbucht pro Kopf die meisten verkauften Tickets für Oper, Schauspiel, Ballett, klassische Konzerte, aber auch Musicals und Kino. Die Nachfrage stimmt – und sie wächst sogar.

Bundesweit höchster Anteil der Kreativwirtschaft

Auch in der Kreativwirtschaft, sprich in Bereichen wie (Animations-)Film und Ausstellungsgestaltung. Die Konsequenz: In Stuttgart sind der Anteil der Beschäftigten (7,6 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten) sowie die Umsätze in der Kulturwirtschaft je Einwohner im bundesweiten Vergleich am höchsten.

Zu vierten Mal an der Spitze

Zum vierten Mal nach 2012, 2014 und 2016 haben das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut und die Privatbank Berenberg die 30 größten deutschen Städte auf die Bedeutung des Kulturlebens untersucht. Zum vierten Mal steht Stuttgart an der Spitze. In der Landeshauptstadt selbst nimmt man die Spitzenstellung vor allem wohlwollend zur Kenntnis. Dabei geht es um viel. Wirtschaft und Kultur bilden – verbunden durch Qualität und Innovationskraft – Stuttgarts starkes Doppel. Und nicht anders als zentrale Wirtschaftsbereiche steht die Kultur vor der Herausforderung, neue Wege gehen zu müssen.

Kulturquartier muss eine Marke werden

Insbesondere die Vermittlung kultureller Angebote wird immer wichtiger. Dazu gehören aber nicht nur die stark ausgeweiteten Begleitprogramme zu Ausstellungen, Theater, Oper und Ballett, sondern auch die Sichtbarkeit der kulturellen Angebote im Stadtbild. Eben hier aber hapert es gewaltig. Statt etwa die Verdichtung hochkarätiger Kultureinrichtungen im Zentrum der Landeshauptstadt – von der Staatsgalerie über die Landesbibliothek, das Landesmuseum, das Kunstmuseum, die für Festivals wichtige Kinostrecke in der Bolzstraße, das Kunstgebäude und das Staatstheater-Areal mit Opernhaus und Schauspielhaus stolz als Kulturquartier zu präsentieren und entsprechend zu positionieren, wird um jeden öffentlichen Einzelhinweis gerungen. Ein Unding.

Kultur ist Standortfaktor, kein lieblicher Zusatz

Nicht weniger fragwürdig ist das Verständnis der Werber von und für Stadt und Land. Nur zu gerne wird das Kulturangebot als lieblicher Zusatz verstanden. Dabei geht es um harte Standortfaktoren für die Metropolregion Stuttgart mit ihren 2,8 Millionen Einwohnern. Die Innovationskraft der Start-Ups im Bereich Animation etwa spiegelt den Stand digitaler Qualitäten in der Metropolregion Stuttgart. Und wenn die bundesweit höchsten Bibliotheks-Investitionen durch die weitaus größte Nachfrage belohnt wird, geht es hier nicht um die Freude am schönen Buch, sondern um die Bestätigung der Bibliothek als öffentliche Drehscheibe des lebenslangen Lernens.

Opensanierung: Ausweichbühne dringend gesucht

Und so schön es ist, dass Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn punktgenau zum Kultur-Spitzenplatz die sanierten Wagenhallen präsentieren kann – das „Jahrhundertprojekt“ (Ministerpräsident Winfried Kretschmann) der Generalsanierung des Opernhauses und Erweiterung des Staatstheater-Areals rückt trotz Kabinettsbeschluss in weite Ferne. Aus Kostengründen lehnt die Stadt das ehemalige Paketpostamt als Ausweichbühne ab. Jetzt braucht es einen neuen Suchlauf, um einen Standort für ein mehrjähriges Gastspiel von Oper und Ballett mit bis zu 1400 Sitzplätzen und Raum für 1400 Staatstheater-Mitarbeiter zu finden.

Internationale Bauaustellung als Chance

Zum Vergleich: Eine Studie zur Zukunftsfähigkeit der deutschen Großstädte von 2017 sieht Stuttgart bundesweit auf Platz neun. 2015 war es noch Platz fünf. Schon dies sollte Herausforderung genug sein, aus dem Spitzenplatz als Kulturmetropole auch Konsequenzen zu ziehen. Die nächste Chance von Wirtschaft und Kultur gemeinsam zu punkten? Bietet der Anlauf zur Internationalen Bauausstellung in der Region Stuttgart 2027.