Diese Luftaufnahme von 1956 zeigt, wie der Birkenkopf ausgesehen hat, als noch Kriegstrümmer auf den Berg gefahren wurden. Foto: /Sammlung Wibke Wieczorek

Gras ist über diesen Berg mit der traurigen Geschichte gewachsen. Am Gipfel des „Monte Scherbelino“ liegen aber noch heute Trümmerreste offen zur Mahnung. Vor 70 Jahren hat Stuttgart damit begonnen, den Birkenkopf aufzuschütten.

Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Zeit der Geschäftemacher. Die deutsche Wirtschaft steht kurz vor ihrem legendären Wunder. An Ideen mangelt es nicht, um Wachstum und Wohlstand zu schaffen.

Doch aus manchen Ideen ist nie etwas geworden – zum Glück! Anfang der 50er Jahre stößt der Vorschlag eines Gastronomen, auf dem Plateau des Trümmerbergs eine Gaststätte zu errichten, komplett auf Widerstand aus dem Rathaus. Alle Parteien des Gemeinderats sind sich einig, derartige Pläne zu verhindern, wie im „Amtsblatt“ von 1952 nachzulesen ist.

Erst ein Jahr nach diesem Artikel, also acht Jahre nach Kriegsende, ist die Stadt so weit, die zerstörten Fassaden, Säulen und Mauersteine hoch auf den Birkenkopf zu fahren. Von 1953 bis 1957 ist der Hügel am Rande des Stuttgarter Westens um 40 Meter gewachsen und noch markanter geworden.

Nun ist der Berg 511 Meter hoch

Mehr als 1,5 Millionen Kubikmeter Kriegsschutt wurden aufgetürmt, weshalb der nun 511 Meter hohe Berg zum Monte Scherbelino geworden ist. Diesen Namen tragen in vielen deutschen Städten die Trümmerberge ein wenig verniedlichend.

Wer die Serpentinen des Birkenkopfs durch viel Grün hinauf wandert, wie dies an schönen Sonnentagen wie an einem Volkswandertag geschieht, und wer nichts von der Geschichte weiß, hat zunächst keinen Schimmer davon, auf welchem Grund er sich bewegt. Nach der letzten Kurve sieht man die Reste einer vom Krieg zerstörten Stadt, wie sie über- und durcheinander offen zur Mahnung liegen. Steinerne Ornamente und Säulenfiguren lassen etwas von der einstigen Pracht erahnen.

Volker Lang erinnert sich an die Flakstellung auf dem Birkenkopf

Auf dem Birkenkopf befand sich während des Kriegs eine Flakstellung, an die sich Volker Lang, der Miterfinder von Äffle & Pferdle, erinnert. Als neunjähriger Junge schlich er sich 1944 auf einem „Indianerpfad“, wie er sagt, immer sonntags zu seinem Bruder Armin Lang zu dem Stützpunkt hoch, um Hefezopf oder Nudeln seiner Mutter zu bringen. Dies war für Zivilisten streng verboten. Der damals 15-jährige Bruder und seine Mitsoldaten gehörten zum Geschütz Bruno auf dem Birkenkopf, der ein leichter Hügel war, noch nicht so hoch wie heute mit den Trümmern. „Die jungen Soldaten sahen viel älter aus, als sie mit 15 oder 16 Jahren damals waren“, erinnert sich Volker Lang. Etliche kamen danach zur Wehrmacht. Nach dem Krieg nahm die Familie Lang zwei jüdische Mädchen in ihrer Wohnung auf,woraus sich eine Freundschaft entwickelte.

53 Luftangriffe haben die Alliierten auf Stuttgart geflogen. Nach dem Krieg waren 45 Prozent der Stadt zerstört, 67 Prozent der Wohngebäude unbewohnbar. Eine für den Aufbau gegründete Gesellschaft prüfte, welche Trümmerreste man zum Bauen neuer Häuser brauchen konnte und welche abtransportiert werden mussten. Als Standort für den Schutt wählte die Stadt den Birkenkopf. Hier befand sich während des Naziregimes eine Flakbatterie, deren Geschütze am Ende des Krieges gesprengt wurden. Dies führte zu erheblichen Zerstörungen der Natur. Eine Wiederaufforstung erschien zu teuer. Unterhalb des Birkenkopfs befanden sich Straßenbahngleise,die sich zum Abtransport des Schutts anboten.

2003 wird das Kreuz aus Holz durch ein Stahlkreuz ersetzt

Auf der Facebook-Seite unseres Stuttgart-Albums wird über die Aufschrift einer 1961 abgestempelten Postkarte diskutiert. „Hunderttausende von Lastwagen“, ist da zu lesen, seien auf das Mahnmal befördert worden. „Hunderttausend? Das klingt doch etwas übertrieben“, schreibt ein Kommentator. Worauf eine Userin entgegnet: „Wer weiß? Damals gab es noch nicht die Riesenlaster und wohl keine Müllmulden. Außerdem waren die Trümmer sperrig, da passte nicht viel auf eine Oberfläche.“

1953 errichtete der Pfarrer Hilmar Schieber von der Paul Gerhard Gemeinde mit seiner Jungschar das erste provisorische Holzkreuz auf dem Gipfel. 70 Jahre ist das nun her. Die erste Osterandacht hat 1953 stattgefunden und sich bis heute Jahr für Jahr wiederholt. 2003 ist das Kreuz aus Holz auf dem Gipfel durch ein Stahlkreuz ersetzt worden. Dieser ganz besondere Berg ist ein geistlicher Ort. Jeden Sonntag findet am Gipfel um 8 Uhr eine Andacht statt – bei jedem Wetter.

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