Was für ein Panorama! Die Zacke aus dem Jahr 1976. Foto: Weber

Eine Aussichtsplattform, die fahren kann: Seit 1884 klettert die Zahnradbahn auf Filderhöhen hinauf, seit 1902 elektrisch betrieben. Jetzt haben die SSB neue Triebwagen bestellt. Die Zacke weckt Kindheitserinnerungen.

Stuttgart - Wollten die Eltern von Thomas Mack sonntags etwas Ruhe haben, drückten sie dem Filius 30 Pfennig in die Hand. So viel kostete Ende der 1950er eine Fahrt mit der quietschenden und ratternden Zahnradbahn vom Marienplatz nach Degerloch und zurück. Das Glück des Jungen war vollkommen, wenn er ganz vorn neben dem Fahrer verweilen und staunen konnte.

Damals gab es diesen Logenplatz für Kinder noch, in einer Nische links neben dem Führerstand. Dem kleinen Thomas hatte es weniger die grandiose Aussicht angetan, die bei der Talfahrt dem Fahrgast vorführt, wie idyllisch der Stuttgarter Kessel in grüne Hügel eingebettet ist. Was ihn voller Ehrfurcht faszinierte, war die Macht des damals noch stehenden Fahrers, der das hölzerne Schaltrad und die Kurbel bediente und es stets schaffte, am steilen Hang die wuchtige, gelbe Bahn mit lautem Knirschen zu stoppen, sobald er an einer der zahlreichen Haltestellen angekommen war.

2021 sollen die neuen Fahrzeuge ausgeliefert werden

In den ersten Jahren kam die Bahn dampfend auf die Filderhöhen hoch, seit 1902 ist das Gefährt elektrisiert. Jetzt ist die Zeit reif für die nächste Zacke-Generation. Es wird die vierte Generation mit elektrisch betriebenen Wagen. Die SSB AG hat beim Schweizer Hersteller Stadler für acht Millionen Euro drei Fahrzeuge bestellt, die 2021 ihre 36 Jahre alten Vorgänger vom Typ ZT 4 ersetzen sollen. Optisch erinnern sie an die Stadtbahn, ihre Technik mit zwei angetriebenen Zahnrädern unterscheidet sich aber stark davon. Im Facebook-Forum des Stuttgart-Albums schreibt Klaus Karl Fahrbach. „Das ist der Unterschied zwischen San Francisco und Stuttgart. Dort ist der Cable Car eine Touristenattraktion, bei uns wird die alte Zacke eingemottet.“

Zacke oder Zacketse? Viele der älteren Stuttgarter mögen die Kurzform des Wortes für die Kletterbahn nicht, die seit 1884 auf dem direkten Weg vom Stadtkern zu Filderhöhen Steigungen von bis zu 17,8 Prozent überwindet – auf einer Länge von 2,2 Kilometern. Man sage ja auch Hocketse und nicht Hocke, wird argumentiert. Bis heute ist nicht geklärt, wer den einst gängigen Namen Zacketse gestrichen hat. Der Legende nach soll es 1984 SSB-Sprecher Peter Brodbeck, ein gebürtiger Berliner, gewesen sein. Beim 100-Jahr-Jubiläum der Bahn habe er in der Festzeitschrift den kürzeren Namen Zacke eingeführt, weil auswärtige Gäste angeblich „Zacketse“ nicht aussprechen könnten. Brodbeck selbst widersprach später. Err habe 1984 das Wort „Zacke“ drucken lassen, da es damals bereits von den Einheimischen öfter benutzt worden sei als „Zacketse“.

„Hinauf zu Sonne und Licht – mit der Zahnradbahn“

Würden in unseren Tagen ein Radfahrer und ein Autofahrer am Marienplatz zu einem Wettrennen bis zum Degerlocher Albplatz aufbrechen – es würde immer der Radfahrer gewinnen. Denn er kann seinen Drahtesel auf dem Vorstellwagen der Zacke festzurren. In elf Minuten ist die Bahn der Linie 10 oben angekommen, obwohl sie sich nur langsam, ja würdevoll mit maximal Tempo 30 vorwärtsbewegt. Sie muss keine Umwege wählen wie der Autofahrer, der sich durch den Stadtverkehr mit roten Ampeln plagt. Der gemütlich zuckelnde Gipfelstürmer nimmt die steile Abkürzung.

„Hinauf zu Sonne und Licht – mit der Zahnradbahn!“ – so warben in den 1930ern die Stuttgarter Straßenbahnen für die Panoramafahrt. Auf der Hälfte der Strecke, der sogenannten Ausweiche, treffen sich Berg- und Talbahn bei der Wielandshöhe. Nur hier gibt es zwei Spuren. Schon vor acht Jahrzehnten konnte man sich an dieser Stelle im Lokal stärken. Der Halbliterkrug mit Dinkelacker-Märzen kostete 38 Pfennig.

Die Zacke ist heute noch mehr als nur eine Bahn zur Beförderung im Berufsverkehr. Wer die Aussicht genießt, wird die topografischen Reize der Kesselstadt lieben. Manche sagen, Stuttgart besitze die Bahn mit Deutschlands schönster Aussicht.

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