Der Druck auf den Wohnungsmarkt in Stuttgart nimmt zu. Neue Wohnungen sind in der Stadt jedoch selten. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Infolge der starken Nachfrage nach Wohnungen sprechen sich 53 Prozent der Stuttgarter für das Ausweisen von Baugebieten im Stadtgebiet aus. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu Rathaus und Gemeinderat.

Stuttgart - Stuttgart soll wachsen. Was für eine wirtschaftlich erfolgreiche Großstadt eigentlich normal scheint, ist für die Landeshauptstadt aufgrund der Kessellage und der begrenzten Freiflächen bei weitem nicht selbstverständlich. Nun hat eine repräsentative Umfrage ergeben, dass eine Mehrheit der Bürger den Zuzug neuer Einwohner für positiv hält. Zudem spricht sich die Mehrheit der Bürger für das Ausweisen von Baugebieten im Stadtgebiet aus. Im Gegensatz dazu gilt in Stuttgart jedoch der Vorrang der Innenentwicklung. Dadurch sind zusätzliche Baugebiete auf politischen Wunsch hin nicht vorgesehen.

Die Ergebnisse der neuen Studie könnten der Debatte um die Wohnbaupolitik in Stuttgart neuen Schwung geben. Nach einer repräsentativen Umfrage von TNS-Infratest im Auftrag der Wüstenrot-und-Württembergische-Gruppe halten 58 Prozent den Zuzug neuer Einwohner nach Stuttgart und dessen näheres Umfeld für positiv und sehen darin einen Vorteil für die Stadt.

„Die Politik kennt das Problem des mangels an bezahlbarem Wohnraum“, analysiert Bernd Hertweck, der Vorstandsvorsitzende der Wüstenrot Bausparkassen AG. „Trotzdem gibt es von Seiten der Politik keine Initiative, die dagegen wirksam vorgeht“, fügt Hertweck hinzu. Angesprochen auf den reinen Fokus auf Innenentwicklung in Stuttgart, sagt der Vorstandsvorsitzende: „Man beharrt auf einer ideologischen Überzeugung, obwohl die Mehrheit und die Realität etwas anderes fordern.“

Je älter die Menschen, desto weniger halten sie neue Einwohner für gut

Zudem zeigt die Umfrage, wie verschiedene Gruppen die Frage nach der Entwicklung Stuttgarts recht unterschiedlich beantworten. Unter den 18- bis 39-Jährigen liegt die positive Haltung in Sachen stärkeres Wachstum der Stadt bei 65 Prozent – bei den über 65-Jährigen liegt die Zustimmung hingegen lediglich bei 47 Prozent. Auch steigt die Zustimmung zum Wachstum Stuttgarts mit dem finanziellen Status. Bei Befragten mit einem Haushaltseinkommen von mehr als 2500 Euro beispielsweise liegt die positive Haltung gegenüber zusätzlichen Einwohnern bei 65 Prozent.

Einig sind sich die Menschen in Bezug auf die Folgen für den Stuttgarter Immobilienmarkt. Glatte 100 Prozent glauben, der Zuzug neuer Einwohner werde negative Folgen für den Wohnungsmarkt haben – steigende Immobilienpreise, Engpässe bei der Wohnungsversorgung und eine noch größere Knappheit speziell bei günstigen Wohnungen werden am häufigsten als negative Folgen genannt. Dessen ungeachtet glauben lediglich 19 Prozent der Stuttgarter, dass die Region durch diese negativen Folgererscheinungen an Attraktivität verlieren wird. Zudem glauben der Umfrage zufolge 72 Prozent der Stuttgarter, dass Zuzug die Altersstruktur der Landeshauptstadt positiv beeinflussen wird. Auf die Frage, welche Maßnahmen besonders geeignet seien, um neuen Wohnraum zu schaffen, antworten 85 Prozent, dass bestehende Gebäude als Wohnraum umgenutzt werden könnten. 76 Prozent sprechen sich für das Ausweisen von Bauland im Stadtrandbereich und im Umland aus. Für das Ausweisen von Bauland im Stadtgebiet selbst spricht sich ebenfalls die Mehrheit der Stuttgarter (53 Prozent) aus. Damit steht die Meinung der Bevölkerung im Widerspruch zur Haltung von Rathaus und Gemeinderat. Denn die Lokalpolitik ist sich im Grunde einig, dass, unter anderem mit Rücksicht auf das Klima, lediglich die Innenentwicklung verfolgt werden soll, was dem Verzicht auf zusätzliche Baugebiete und Bauland auf bislang unversiegelter Fläche gleichkommt. Der Schutz von Grünflächen genießt allerdings auch der aktuellen Umfrage zufolge einen hohen Stellenwert: Lediglich 18 Prozent befürworten die Umwandlung von städtischen Grünflächen in Bauland.

Auf Anfrage will die Stadtverwaltung die aktuelle Meinungsumfrage nicht kommentieren. Zum Thema Wohnungsbau und Einwohnerentwicklung erklärt Sven Matis, der Sprecher der Stadt, allgemein: „Ja, Stuttgarts Bevölkerung wächst.“ Der Anstieg halte seit 2009 an. „Seitdem ist die Bevölkerung um über 40 000 Menschen angewachsen“, so Matis. Vor allem aus dem Ausland kämen Menschen nach Stuttgart. „Flüchtlinge, die in der Stadt Schutz suchen, sind hier nicht mitgerechnet“, fügt Matis hinzu.

Zum Thema Wohnungsbau erklärt der Pressesprecher: „Die Mehrheit des Gemeinderats hat die klare Haltung, dass keine neuen Wohngebiete auf der grünen Wiese ausgewiesen werden sollen.“ Mit Verweis auf die jüngsten Beschlüsse des Bündnisses für Wohnen fügt der Sprecher hinzu: Stuttgart könne im Gegensatz zu München oder Hamburg nicht in der Fläche wachsen. „Stuttgart ist dem Ziel der Innenentwicklung verpflichtet, Wachstum erfolgt nach ,Stuttgarter Maß’. Dieser Vorrang erfordert den sorgsamen und schonenden Umgang mit der Ressource Boden.“