Alexis Tsipras könnte von Parlamentsneuwahlen am meisten profitieren. Foto: dpa

Die Abgeordneten in Athen treten heute zum dritten und letzten Mal zusammen, um einen neuen Staatspräsidenten zu wählen. Scheitern sie erneut, steht einer schon bereit: Alexis Tsipras.

Heraklion - Der Saal ist an diesem kalten Samstag im Dezember in Heraklion auf Kreta brechend voll, als der Hauptredner ans Pult tritt. Alle wollen ihn sehen, ihn hören, ihn bejubeln. Nur: Sieht so Europas Schreckgespenst aus? Ein Enfant terrible auf Griechisch? Alexis Tsipras (40), Bubi-Gesicht, pechschwarzes Haar, Koteletten, Anzug, hellblaues Hemd – wie immer ohne Schlips. Er wirkt optisch eher wie ein Rockstar als wie ein Politiker. Doch dann fängt er an zu reden, redet sich in Rage. „Wir werden die Musik spielen, und die Märkte werden dann nach unserem Tempo tanzen.“ Brandender Applaus. Tsipras genießt – und tut das, was er am liebsten tut: Er grinst. Größenwahn pur?

Seine politische Karriere startete er in der stalinistisch-orthodoxen KP Griechenlands. Der symbolkräftige Name der Studentengruppe, in der er sich als knallharter Funktionär die ersten Sporen verdiente: Engelados (Erdbeben). Der studierte Ingenieur und eingefleischte Globalisierungsgegner führt nun das Bündnis der radikalen Linken, kurz Syriza.

An dem Griechen scheiden sich die Geister. Kritiker monieren seine Sturheit, seinen Mangel an Selbstkritik, seine Geilheit auf Öffentlichkeit. Bewunderer preisen seine Volksnähe, er rede einfach Tacheles. Andere sagen, er sei schlicht ein Populist. Beliebt ist er bei den krisengeplagten Griechen allemal. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2012 vereinte Syriza, bis dahin eine Kleinstpartei einiger versprengter Salon-Bolschewisten, unter seiner Ägide mit 17 Prozent fast viermal mehr Stimmen als noch 2009. Im Juni 2012 holte er sogar 27 Prozent. Seither ist Tsipras in Athen Oppositionsführer.

Tsipras will mehr. Bei der Europawahl im Mai gewann Syriza erstmals einen Urnengang, in diesen Tagen greift Tsipras nach den Sternen. Am heutigen Montag stellt sich der frühere EU-Kommissar Stavros Dimas zum dritten Mal zur Wahl für das Präsidentenamt – nachdem er bereits in zwei Anläufen durchgefallen war. Scheitert die Wahl im Athener Parlament erneut, käme es unweigerlich zu Parlamentsneuwahlen. Der haushohe Favorit, so zeigen viele Umfragen: Alexis Tsipras.

Kurz vor der entscheidenden Runde der Präsidentenwahl hat Regierungschef Antonis Samaras zur Einigkeit aufgerufen. Die Abgeordneten müssten alles tun, um eine vorgezogene Parlamentswahl und damit eine unsichere Lage für das Land zu verhindern, sagte er im staatlichen Fernsehen.

Was würde Tsipras tun, sollte er den Polit-Olymp erklimmen? Er sagt: Die Griechen hätten alle Grund, sich auf ein „gutes neues Jahr zu freuen“. Experten hegen da Zweifel: Das chronisch klamme Griechenland sei noch längst nicht über den Berg, warnen sie. Seit dem Frühjahr 2010 hängt Hellas am Tropf der öffentlichen Gläubiger-Troika aus EU, EZB und IWF. Rund 240 Milliarden Euro hat die Troika schon an Athen überwiesen. Im Gegenzug sollen die Griechen Spar- und Reformauflagen erfüllen. Den Sparkurs werde er in Athen kurzerhand beenden, tönt Tsipras. Die Staatsausgaben würden wieder kräftig erhöht, um die nach einer tiefen Rezession nur zaghaft wieder Fahrt aufnehmende Wirtschaft „anzukurbeln“ und „die humanitäre Krise“ zu Füßen der Akropolis „zu bekämpfen“. Kostenpunkt: fulminante zwölf Milliarden Euro. Wer soll das bezahlen? Das Geld sei da, dafür werde er auch die EU-Fördertöpfe anzapfen, so Tsipras.

Ist Tsipras der Heilsbringer für Hellas oder ein politischer Scharlatan mit Engelsgesicht? In den langen Fluren der Athener Ministerien ist jedenfalls immer öfter zu hören: „Alexis kommt.“