Oskar ­Schlemmer - die Staatsgalerie widmet dem Künstler nun eine Schau Foto: staatsgalerie

Die Karten für die Wiederaufführung von Oskar Schlemmers „Triadischem Ballett“ waren bereits nach wenigen Stunden ausverkauft. Das Interesse der Stuttgarter scheint riesig. Doch Schlemmers Spuren muss man in seiner Heimatstadt mit der Lupe suchen.

Stuttgart - Das Rückgebäude in der König-Karl-Straße 17 in Stuttgart-Bad Cannstatt könnte unscheinbarer kaum sein. Die gelben Backsteine der Fassade sind von aschgrauer Patina überzogen. Auf dem Hof gähnen Mülltonnen, und auf dem Balkon im ersten Stock hängt Wäsche zum Trocknen.

Und doch ist in dem Haus Großes entstanden. Nur eine Plakette am Vordergebäude erinnert daran: Laut dieser hat der Maler und Bühnenbildner Oskar Schlemmer um 1920 für rund zwei Jahre hier ein Atelier besessen und an den Figurinen für das „Triadische Ballett“ gearbeitet – eines seiner berühmtesten Werke. In der Tat feiert das Stück am 30. September 1922 am Kleinen Haus in Stuttgart seine Uraufführung, was den zeitlichen Zusammenhang glaubhaft macht.

Auf Schlemmers Spuren:

Damals war der 32-Jährige nach seinem freiwilligen Wehrdienst im Ersten Weltkrieg wieder in seine Heimatstadt Stuttgart zurückgekehrt. Vor dem Krieg hatte Schlemmer seine künstlerische Laufbahn bei der Intarsienwerkstatt Wölfel & Kiesling begonnen. Danach folgt ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste und eine Zeit als freier Maler in Berlin. Er wird 1912 Meisterschüler bei Adolf Hölzel, wenig später zieht er in den Krieg.

In dem unscheinbaren Gemäuer in Bad Cannstatt hat sich vermutlich auch schon der berühmte Bauhaus-Gründer Walter Gropius aufgehalten. In einem Brief an seine Frau Helena, genannt „Tut“, schreibt Oskar Schlemmer am 16. Mai 1921, Gropius habe ihn an diesem Tag überraschend in Stuttgart besucht. Und: Er habe dem großen Meister die Figurinen für das „Triadische Ballett“ gezeigt, wovon der sehr angetan gewesen sein soll. Gut möglich also, dass die beiden im Atelier in der König-Karl-Straße waren.

„Das kann etwas werden!"

Ein Jahr zuvor erst hatte Gropius den Stuttgarter ans Bauhaus nach Weimar berufen. In Stuttgart macht er ihm das Angebot, künftig dort Aktzeichnung zu unterrichten. Schlemmer willigt damals begeistert ein, wie seinen Zeilen zu entnehmen ist: „Das kann etwas werden, da freu ich mich!“

Nach der Uraufführung des „Triadischen Balletts“ in Stuttgart, zieht es Schlemmer wieder nach Weimar – das Cannstatter Atelier gibt er auf. Am Bauhaus unterrichtet er fortan Bühnenarbeit und 1928 das Unterrichtsfach „Der Mensch“. Überhaupt gelten die zwanziger Jahre als Schlemmers schöpferischste Periode. Allerdings hält er sich in dem Jahrzehnt nur selten in Stuttgart auf, sondern geht voll in seiner Aufgabe am Bauhaus auf und siedelt mit diesem auch 1925 von Weimar nach Dessau um.

Seine Blütezeit findet allerdings ein jähes Ende, als im darauffolgenden Jahrzehnt die Nazis die Macht in Deutschland ergreifen. Seine erste vollständige Retrospektive in Stuttgart wird 1933 noch vor der Eröffnung vom NS-Regime geschlossen. Kurz darauf wird ihm auch an der Kunstakademie in Breslau fristlos gekündigt. Schlemmer hält sich in den zwanziger Jahren nur selten in Stuttgart auf. Er zieht 1934 mit seiner Familie ins badische Eichberg nahe der Schweizer Grenze. Drei Jahre später siedelt die Familie in ein von ihm entworfenes Haus in Sehringen bei Badenweiler um, das noch heute dort steht.

Nazis machen Verkauf der Gemälde unmöglich

In seinen letzten Lebensjahren kehrt Schlemmer vorrübergehend noch mal in seine Geburtsstadt zurück. Da die Nazis den Verkauf seiner Gemälde unmöglich machen, arbeitet er 1938 und 1942 bei der Stuttgarter Malerfirma von Albrecht Kämmerer. Bei seinem letzten Einsatz erkrankt er allerdings schwer und stirbt 1943 während eines Kuraufenthalts in Baden-Baden. Seine letzte Ruhe findet er allerdings wieder in der Landeshauptstadt: Das laubüberdeckte Familiengrab liegt auf dem Stuttgarter Waldfriedhof.

Bühne frei für einen Weltstar

Die Ausstellung


Als Große Landesausstellung würdigt die Schau „Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt“ von 21. November an das facettenreiche Werk des Stuttgarter Bauhaus-Künstlers, das alle Varianten der Malerei ebenso wie Skulptur und Bühnenkunst umfasst. Seit rund 40 Jahren sind die Arbeiten Schlemmers, die in ihrer unvergleichlichen Bandbreite und gedanklichen Tiefe einmalig sind, nicht mehr so umfassend in Deutschland zu sehen gewesen.

Neben zahlreichen Gemälden, Skulpturen, grafischen Arbeiten und Originalkostümen vermitteln auch bisher unveröffentlichte Dokumente die künstlerische Vision Schlemmers.

Schlemmers „neue Welt“

Oskar Schlemmers Auffassung vom Menschen als „Maß aller Dinge“ war zu seiner Zeit am Bauhaus einzigartig. Dabei spricht er der Kunst die Kraft zu, die Erschaffung einer neuen Welt zu bewirken. Schlemmer (1888–1943), einer der bedeutendsten Künstler der Klassischen Moderne, der Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, schafft in seinen Werken eine geheimnisvolle Welt.

Seine Werke mit ihren stillen Figurenräumen wirken zunächst fremd und unnahbar. Als bekanntestes unbekanntes Meisterwerk des 20. Jahrhunderts gar gilt Schlemmers „Triadisches Ballett“. Dessen Originalkostüme sind in Stuttgart zu sehen, und eine Rekonstruktion der Aufführung macht noch einmal das Visionäre der auf die Bühne und auf die Wand ausgreifenden Raumkunst Schlemmers deutlich.

Schlemmers Weg

Wie hat sich Schlemmers Vision im Laufe seines Schaffens verändert? Die Ausstellung in der Staatsgalerie will herausarbeiten, wie Oskar Schlemmer während des Ersten Weltkriegs und kurz danach noch auf politische Reformen setzt, während er im Laufe der 1920er Jahre zunehmend spiritueller und idealistischer denkt.

Diese von den Experten „Ästhetisierung des Staates“ genannte Position rückt das Schaffen ins „Helle“. Schon in den ersten Monaten Hitler-Deutschlands aber fühlt der aus dem Lehramt entlassene und öffentlich verfemte Künstler eine „Rückkehr ins Dunkle“.

Rückkehr zu Stirling

Für Furore sorgt zur Eröffnung der Neuen Staatsgalerie die Präsentation der Figurinen von Schlemmers „Triadischem Ballett“. Auf Einzelsockeln scheinen die Figurinen durch einen der Haupträume von James Stirlings Architektur zu tanzen. Der Künstler Joseph Beuys und der damalige Staatsgaleriedirektor Peter Beye entwickeln diese Konzeption. 30 Jahre später kehrt das Werk Oskar Schlemmers nun triumphal in den Stirlingbau zurück. Die mehr als 200 Arbeiten sind im Erdgeschoss wie auch im Obergeschoss der Neuen Staatsgalerie zu sehen – und programmatisch fast grenzt die von Ina Conzen, stellvertretende Leiterin der Staatsgalerie, erarbeitete Schau an den Beuys-Raum des Museums an.

Zu sehen ist „Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt“ von 21. November an und bis zum 6. April 2015 (Di bis So 10 bis 18 Uhr, Do 10 bis 20 Uhr). Der Eintritt kostet 12 Euro (ermäßigt 10 Euro), Kinder und Jugendliche bis zum einschließlich 20. Lebensjahr zahlen keinen Eintritt. Mehr Informationen zur Schau finden Sie hier