Der Staatenbund Brics um Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika nimmt fünf neue Mitglieder auf. Die islamischen Länder erhoffen sich durch den Beitritt mehr Einfluss.
Mehr Handel, mehr Geld, mehr Einfluss: Vier Nahost-Länder treten zu Beginn des neuen Jahres der Staatengruppe Brics bei. Der Verbund großer Schwellenländer, der bisher aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika bestand, baut damit seine geopolitische Rolle aus. Mit dem Beitritt von Ägypten, dem Iran, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), die zusammen mit Äthiopien von Januar an zu den neuen Mitgliedern zählen, wird Brics zum weltpolitischen Koloss – jedenfalls auf dem Papier: In den elf Staaten lebt fast die Hälfte der Weltbevölkerung, sie verfügen über mehr als 40 Prozent der weltweiten Ölproduktion und erzielen ein Drittel der Weltwirtschaftsleistung. Brics will damit zur Weltmacht und Konkurrenz für die westlichen G7-Mitglieder werden, zu denen Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA gehören; zudem ist die Europäische Union bei allen Treffen vertreten.
Die Politiker der verschiedenen Länder machen auch keinen Hehl daraus, dass sie ihre Organisation als Sprecherin einer neuen Weltordnung sehen. Der chinesische Präsident Xi Jinping sagte bei der formellen Einladung für die neuen Mitglieder im Sommer, die Staatengemeinschaft sei „eine Kraft für Frieden und Entwicklung in der Welt“. Auch Argentinien wurde eingeladen, verzichtete nach dem Machtwechsel in Buenos Aires allerdings auf den Beitritt.
Nicht alle alle Nahost-Staaten haben die gleichen Interessen, doch bei alten und neuen Brics-Mitgliedern gibt es viele Gemeinsamkeiten. China und Indien gehören zu den größten Öl- und Gasverbrauchern der Welt – Saudi-Arabien, der Iran und die VAE zu den größten Produzenten. Besonders für China und Indien habe die Sicherheit der Energieversorgung oberste Priorität, sagte die Nahost-Expertin Nebahat Tanriverdi unserer Zeitung. Saudis, Emiratis, Iraner und Russen arbeiteten schon bisher in der Gruppe Opec-Plus der wichtigsten Ölstaaten zusammen. Auch auf dem Markt für Seltene Erden wächst die Macht des Staatenbündnisses.
Hinter der Erweiterung steckt vor allem Misstrauen gegenüber dem Westen. Die Brics-Führungsnationen China und Russland liegen mit der westlichen Führungsmacht USA über Kreuz, dasselbe gilt für den Neuzugang Iran. Der Beitritt könnte es Teheran erleichtern, Partnerländer zu Investitionen in der Islamischen Republik zu ermuntern und damit westliche Sanktionen zu umgehen.
Die Brics-Länder sprechen zudem darüber, den US-Dollar als Leitwährung abzulösen und stattdessen in lokalen Währungen zu handeln. Bisher sei das vor allem Symbolik, urteilte die Washingtoner Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) in einer Analyse. Die Entwicklung zeige aber das Streben einiger Länder, dem US-bestimmten Finanzsystem und dem Dollar zu entkommen.
Im Nahen Osten werden China und Russland mit der Brics-Erweiterung ihren Einfluss ausbauen können. Immerhin haben sie wichtige Partner des Westens in der Region – Ägypten, Saudi-Arabien und die VAE – für ihren Staatenbund gewinnen können. Für den Iran bedeutet die Mitgliedschaft das Ende seiner regionalen Isolation; bereits im Frühjahr hatten Iraner und Saudis ihre langjährige Feindschaft beendet und einen Neuanfang ihrer Beziehungen vereinbart – China vermittelte zwischen beiden Parteien.
Die Ausdehnung des Einflusses der Brics-Staaten auf den Nahen Osten sei ein „Wendepunkt“ für die Region, sagt die Nahost-Expertin Tanriverdi. Sie verweist auf die chinesische Vermittlung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien: „China hat ganz offensichtlich damit begonnen, als Ergänzung seines wirtschaftlichen Einflusses in der Region seine diplomatische Rolle auszubauen.“
Heißt das, die USA und Europa haben im Nahen Osten bald nichts mehr zu melden? Nein, sagt Tanriverdi. Nach Einschätzung der Nahost-Expertin geht es für die westlichen Partner unter den neuen Brics-Mitgliedern vor allem darum, „ihre Beziehungen zwischen dem Westen und den Brics-Nationen auszubalancieren“. Ägypter, Emiratis und Saudis werden versuchen, wirtschaftlich und politisch das Beste für sich selbst herauszuholen, „ohne sich voll und ganz für eine Seite zu entscheiden“.
Dieses Sowohl-als-auch wird in der Sicherheitspolitik deutlich. Russland und China mögen in dem Staatenbund führend sein – als Militärmächte im Nahen Osten sind sie im Vergleich mit den USA jedoch unbedeutend und werden es auf absehbare Zeit auch bleiben. Amerikanische Soldaten, Schiffe, Kampfflugzeuge und Raketen haben den Auftrag, die Schifffahrt im Persischen Golf und im Roten Meer zu sichern – derzeit fangen sie mit westlichen Verbündeten wie Großbritannien und Frankreich die Kampfdrohnen der jemenitischen Huthi-Rebellen ab, die Frachter angreifen. Die USA rüsten arabische Armeen aus. Kurz vor dem Beitritt von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten zu Brics bewilligte Washington neue Rüstungslieferungen an die beiden Länder im Volumen von fast 700 Millionen Dollar (635 Millionen Euro).
Das Misstrauen dem neuen Brics-Partner Iran gegenüber ist ein wichtiges Motiv für Saudis und Emiratis, sich nicht ganz vom Westen loszusagen. Trotz der Verbesserung der Beziehungen im Frühjahr gibt es viele ungelöste Probleme: Die Araber haben den Iran im Verdacht, nach Atomwaffen zu streben; Ägypten und die VAE unterhalten diplomatische Beziehungen zu Israel, das vom Iran als Todfeind betrachtet wird. Auch zwischen den antiwestlichen Brics-Staaten Iran und Russland gibt es Reibereien, weil sie sich auf dem Ölmarkt einen Preiskampf liefern.
Die Nahost-Staaten bringen also Einzelinteressen mit in die neue Brics-Ära, die teilweise nur schwer unter einen Hut zu bringen sind. „Die Mitgliedschaft der Staaten in Nahost und Nordafrika bei Brics bedeutet nicht das Ende ihrer unterschiedlichen politischen Positionen“, bilanziert auch die Nahost-Expertin Nebahat Tanriverdi. Im kommenden Jahr wird der Staatenbund beweisen müssen, ob er das ausbalancieren kann.