Wenn Integration gelingen soll, muss die Fremde vor allem für die Kinder zur neuen Heimat werden. Foto: dpa

Anglizismen und Bürokraten-Deutsch, Mode-Floskeln und aussterbende Begriffe – in unserer Sprach-Glosse hören wir genau hin. Wie die Menschen so reden, was sie sagen, wie sie’s meinen.

Stuttgart - Integration ist entlehnt aus dem Lateinischen. Das Verb „integrare“ bedeutet im Deutschen wiederherstellen, erneuern, ergänzen. Integration ist ein Sammelbegriff für zahllose Bereiche des Wissens und Zusammenlebens: Soziologie, Pädagogik, Ökonomie, Politik, Mathematik und Technik. Entscheidend ist immer das Zusammenführen von Modulen, Informationen, Stammfunktionen, Betrieben – und Menschen.

Integrare, integralis, Integrität

In der aktuellen politischen Diskussion ist Integration zum Zauberwort avanciert, das alle Probleme lösen soll. Von „integrare“ wird das Wort integer abgeleitet – unberührt, unversehrt, unbefangen. Und „integralis“, ein spätlateinischer Begriff, der so viel meint wie unversehrt, nicht geteilt. Der Begriff „Integrität“ – Makellosigkeit, Vollständigkeit – taucht um 1800 auf. Eine zerbrochene Schale wird repariert, die Scherben werden geklebt. Aber sie ist nie mehr so, wie sie einmal war. Die Spuren des nachträglichen Zusammenfügens bleiben für immer sichtbar.

Ungewissheit und Wagnis

Integration soll wiederherstellen, was zerbrochen, geborsten, entzweit ist. Sie soll Individuen und Gruppen zu einer neuen Einheit verbinden, ohne dass das Alte, das vergangen und verloren ist, zur Erblast für die Zukunft wird. Das Vergangene – die Schrecken von Krieg, Verfolgung und Flucht – ist eine Hypothek, die Integration erschwert und oft unmöglich macht. Ob und wie sie gelingt, hängt wesentlich davon ab, wie groß die Bereitschaft der Gesellschaft ist, sich zu erneuern und durch die zu Integrierenden zu einer anderen Gemeinschaft zu werden. Integration bedeutet Ungewissheit und Wagnis. Der Weg dorthin ist steinig, das Ergebnis offen, die Gefahr des Scheiterns groß. Und doch ist sie alternativlos.