Bus statt Bahn hieß es elf Wochen lang. In Waiblingen war die Drehscheibe für die Pendler aus dem Rems-Murr-Kreis. Foto: Gottfried Stoppel

Wegen der Bahn-Vollsperrung zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt mussten Pendler aus dem Rems-Murr-Kreis elf Wochen lang mit Bussen des Schienenersatzverkehrs, per Rad oder dem Auto zu ihrem Arbeitsplatz kommen. Wie groß war das befürchtete Chaos für sie?

Pendler haben den Termin lange ersehnt: In der Nacht auf Samstag, 29. Juli, endet die Vollsperrung der Bahn. Die S-Bahnen und Züge fahren nach elf Wochen wieder zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt. Viele Fahrgäste waren im Vorfeld überrascht worden vom Ausmaß der Einschränkungen. Und die Arbeiten für den digitalen Bahnknoten gehen weiter. Die Sperrung der Stammstrecke der S-Bahn in den Ferien zwischen Hauptbahnhof und Vaihingen steht an.

Für Claudia Daiber ist r das Radparken in Waiblingen ein zentraler Punkt

Claudia Daiber ist ein ÖPNV-Profi. Seit fast 20 Jahren pendelt die Erzieherin von ihrem Wohnort nahe Schwäbisch Gmünd zu ihrem Arbeitsplatz im Hort der Fellbacher Maicklerschule. Sie hat schon viel beim Pendeln ertragen müssen: übervolle Busse, verspätete Anschlüsse, ausgefallene Züge. Entsprechend skeptisch blickte sie auf die Vollsperrung. Doch die Phase habe sie persönlich viel störungsfreier erlebt, als befürchtet. „Es lief alles in allem recht gut“, sagt Daiber. „Das wichtigste war für mich, dass ich mein Rad sicher und einfach in Waiblingen parken kann.“ Da Daiber in den Stoßzeiten unterwegs ist, hat sie entschieden, zu radeln und auf den Ersatzbus zwischen Fellbach und Waiblingen zu verzichten. Da der Hort nahe an der Radstrecke liege, sei es teils schneller gegangen als vorher, als sie noch zu Fuß zum Bahnhof gegangen ist, um in die S-Bahn zu steigen. „Ich habe das Radeln für die Strecke neu entdeckt, anderen geht es vielleicht auch so“, sagt Daiber. Wenn das Radparken in Waiblingen kostenfrei oder günstig erhalten bliebe, sei das „ein super Signal auch in Zeiten des Klimawandels“. Das Parken müsse schnell und unkompliziert sein, um ruckzuck in die Bahn zu steigen, sagt Claudia Daiber. Daher begrüße sie, wenn die Stadt Waiblingen einfache Radparklösungen in Aussicht stelle. Die Züge seien meist pünktlich und nicht voll gewesen. Nur selten habe sie Verspätungen in Kauf nehmen müssen. Aber kürzlich sei es nervig gewesen: Der Mex nach Crailsheim um 18.32 fiel aus.

Anna Broer hat das Pendeln nach Tübingen „sehr, sehr viel Zeit“ gekostet

„Ich habe mich schon so sehr an die Vollsperrung gewöhnt, dass ich fast vergessen habe, wie es vorher lief“, sagt Anna Broer. Die Phase der Vollsperrung habe die Studentin „sehr, sehr viel Zeit“, wie sie sagt, und eine ordentliche Portion Nerven gekostet. Sie pendelt von Waiblingen nach Tübingen, wo sie Medienwissenschaft studiert. Vor der Vollsperrung nahm die 25-Jährige an zwei bis drei Tagen die S-Bahn bis Bad Cannstatt und stieg dort in den Regionalzug ein, der bis Tübingen rollt. „Von Waiblingen nach Cannstatt sind das normal zehn S-Bahn-Minuten.“

Durch die Vollsperrung sah das ganz anders aus. Sie stieg in der Waiblinger Dammstraße in einen der Expressbusse nach Bad Cannstatt ein, um von dort einen Zug nach Tübingen zu nehmen. Laut Plan sind das 25 Busminuten. „Aber man weiß ja nie, wie es im Kappelbergtunnel läuft, und so musste ich immer einen Puffer einplanen.“ Die Unplanbarkeit sei ein Faktor gewesen, der an den Nerven zehre. Zu dem SEV-Verkehr kam hinzu, dass der Zugverkehr nach Tübingen ausgedünnt beziehungsweise über Esslingen umgeleitet wurde. „Leider muss ich in den Stoßzeiten starten, um rechtzeitig um 10 Uhr in Tübingen zu sein“, sagt Broer, „genau dann, wenn sich teils richtige Menschentrauben in der Dammstraße bilden und man teils im Bus stehen musste. Dienstags und mittwochs war es manchmal sehr krass.“

Einmal abends gegen 18 Uhr habe sie eine Stunde mit dem Bus von Cannstatt nach Waiblingen gebraucht. Broer will aber auch Positives nennen. Der enge Takt der Busse sei gut gewesen, die Busfahrer sehr freundlich. Sie sei auch vereinzelt die Strecke, einfach etwa 60 Kilometer, mit dem Auto gefahren, obwohl sie mit Blick auf die Umwelt lieber in die Bahn steige. Mit dem Auto sei sie aber auch im Stau im Kappelbergtunnel gestanden. „Ich bin froh, wenn die Vollsperrung vorbei ist“, sagt Anna Broer. Aber eine Sorge klingt mit: „Hoffentlich klappt alles relativ gut, wenn ich im Herbst wieder zu den Vorlesungen pendeln muss.“ Für ihren Studentenjob in Echterdingen hat sie eine andere Version gewählt. „Da habe ich Homeoffice gemacht, das hätte mit dem Schienenersatzverkehr einfach zu lange gebraucht.“

Der Radweg an der König-Karls-Brücke war rappelvoll, so die Radroutiniers

Sabine und Norbert Anstett radeln morgens in Schmiden gemeinsam nach Stuttgart los, dann trennen sich ihre Wege in Bad Cannstatt. Norbert Anstett radelt weiter bis Vaihingen, seine Frau zu ihrem Büro nahe dem Bopser. Das Ingenieurs-Ehepaar hat auch während der Vollsperrung der Bahn auf das Fahrrad gesetzt. „Wir sind gut durchgekommen“, sagt Norbert Anstett. Allerdings habe sich die Vollsperrung auch auf ihren Weg zur Arbeit ausgewirkt. „Der Radweg an der König-Karls-Brücke war rappelvoll“, sagt Norbert Anstett. Auch der Radweg an den Sprudlern am Leuzebad vorbei sei ein Nadelöhr. Zu dem starken Radverkehr kämen an diesem neuralgischen Punkt die vielen Badegäste hinzu, darunter zahlreiche Familien mit Kindern, die das beliebte Bad ansteuern. „Dieser Abschnitt ist ein Kuddelmuddel, es gibt in Stuttgart viele Dinge, die einer Hauptradroute nicht würdig sind“, sagt der passionierte Radfahrer. Auch an der Stuttgarter Oper befinde sich so eine Engstelle, bei der Operngäste und Radfahrer aufeinandertreffen. „Da gibt es keine Markierung“, sagt er, „viele Opernbesucher erschrecken oder wundern sich zu recht, wenn sie von den Radfahrern umrundet werden.“

Zu wenig Rad-Abstellmöglichkeiten an der Stadtbahnhaltestelle bemängelt

Die beiden Schmidener haben oft eine Route über den Rosensteinpark gewählt, wo allerdings die provisorische Treppe am Ende der neuen Brücke überwunden werden muss. „Da hilft ein leichtes Rad, das man gut tragen kann“, sagt er. An einzelnen Tagen hätten sie auch die Stadtbahn ab der Esslinger Straße in Fellbach genommen. Doch die Abstellmöglichkeiten für Räder seien hier zu wenig und teils mit Brombeerranken zugewuchert. Da beide bei der Aktion Stadtradeln dabei waren, haben sie diesen Punkt auch auf der Online-Meldeplattform „RADar!“ gemeldet, auf der Kritikpunkte aufgenommen werden. Sabine Anstett hat auf ihrer Route in Cannstatt die Erfahrung gemacht, dass einige SEV-Busfahrer offenbar wenig Erfahrung mit Radfahrern haben: „Manche nehmen einen nicht als gleichwertigen Verkehrsteilnehmer wahr und waren allen Ernstes der Meinung, Radler hätten auf einer Straße nichts verloren. Allerdings gibt es leider auch viele Radfahrer, die sich über Regeln hinwegsetzen.“ Natürlich sei das Radeln im Sommer angenehmer als im Herbst oder Winter. „Insofern hatten wir den angenehmeren Zeitpunkt, als die Pendler im Raum Echterdingen, die von den Einschränkungen durch die Arbeiten am digitalen Knoten im Winter erwischt werden.“