Niemand mag diese Frau anmeckern. Ob das an Ute Vogt liegt oder an der Feierabendhektik, bleibt offen. Foto: dpa

Sozialdemokraten sammeln auf der Straße Bürgerwünsche. Die sollen zum Teil des nächsten Wahlprogramms werden – nur mögen die Bürger keine Meinung haben.

S-Mitte - Hier wird auch der malzige Teil populärpolitischer Wahrheit nicht verschwiegen: „Das Bier sollte besser werden.“ So steht es auf einer der Karten, die an der roten Pinnwand hängen. Ob diese volksnahe Forderung ins Programm der SPD aufgenommen wird, bleibt abzuwarten. Aber „auch so was kann man aufschreiben“, sagt Claudia Eichert. Sie arbeitet für die SPD-Bundestagsabgeordnete Ute Vogt. Zum Beweis, dass hier wirklich nichts verschwiegen wird, steckt Eichert eine weitere Karte an die Wand. „Eine bessere Bildungsministerin für Baden-Württemberg“, wünscht sich der Schreiber. Jene Ministerin, Gabriele Warminski-Leitheußer, ist Sozialdemokratin.

Ute Vogt will wissen, was die Wähler von ihr wollen. Das ist der Sinn dieser Aktion. „Sagen Sie uns Ihre Meinung! Meckern kann schließlich jeder!“ Mit dieser Aufforderung tingelt die Abgeordnete durch ihren Wahlkreis. Etwas weniger forsch formuliert: Die SPD will das Volk mitregieren lassen, nicht nur hier, am Olgaeck, sondern in der gesamten Republik. Wer eine jener Karten ausfüllt, hat zumindest die Chance, dass die SPD seine Forderung übernimmt.

Speakers Corner mit SPD-Sonnenschirm

In der Praxis sieht das Mitregieren erstmal so aus: Manuel Krauß, Sozialdemokrat im Bezirksbeirat Mitte, trägt ein klappbares Rednerpult herbei und schiebt zwei Bretter in Schlitze. Eine Weile lang sieht das Ensemble tatsächlich ein wenig aus wie Speakers’ Corner, der legendäre Platz für Meckerer jeder Art im Londoner Hyde Park. Allerdings nur, bis Krauß das Pult mit einem SPD-Sonnenschirm behütet. Sozialdemokratisches Gedankengut scheint zu passen zur Umgebung an diesem Abend. Ein Bettler sitzt auf dem Boden und hofft auf ein paar Münzen. Zwei Halbstarke hocken auf einer Treppenstufe und quatschen beim Bier. Nachdem die Genossen beginnen, Fußgänger anzusprechen, suchen sie sich allesamt eine ruhigere Ecke.

Das aktuelle Problem des Durchschnittswählers im Stadtzentrum hat eher mit Bier zu tun – mit einem Bier zum Feierabend – als mit Bundespolitik. Es ist eine Frage in vier Wörtern: Wie komme ich heim? Eben hat ein Straßenbahnschaffner durchgesagt, dass wegen eines Oberleitungsschadens zwei Stadtbahnlinien nicht mehr fahren. Ein ähnliches Problem hat Vogt bis jetzt geplagt. Sie stand im Stau und beginnt mit einer halben Stunde Verspätung, Fußgängern die Karten unter die Nase zu halten, auf denen sie ihren Teil zum neuen „Regierungsprogramm“ beitragen können. So haben die Sozialdemokraten – recht optimistisch – schon mal ihre Forderungsliste für die Zeit nach der Bundestagswahl 2013 überschrieben.

„Keine Meinung? Na dann – auch gut“

Vogts aktuelles Problem ist, dass die meisten Innenstädter keine Lust aufs Mitregieren haben. Sie hasten wortkarg oder wortlos vorbei. „Keine Meinung?“, sagt Vogt. „Na dann, auch gut“. Wer sie nicht anmeckern will, ist womöglich mit ihrer Arbeit zufrieden. Womöglich ist dafür – wie immer – auch nur Vogts Mimik zu fröhlich. Eine Frau erkennt sie, nicht am Gesicht, „an der Stimme“. Ein Mann will sich erstmal umfassend informieren. Er hätte gern das aktuelle Parteiprogramm der SPD.

„In Sillenbuch lief es besser“, sagt Vogt. Dort hat sie „so jeder Zehnte erkannt“. Die Leute hatten mehr Zeit und Interesse, wenn es sich auch meist um ältere Klientel handelte – „diejenigen, die viel die dritten Fernsehprogramme gucken“, sagt Vogt. Gemessen an der Mehrzahl der Forderungen haben sich aber vorwiegend sozialdemokratische Stammwähler beteiligt: keine Leiharbeit, niedrigere Energiekosten, mehr Geld für Pflegekräfte, Mindestlöhne.

Dass zumindest an diesem Abend kaum ein Wunsch hinzukommt, mag auch einen schlichten Grund haben. Eine solche Aktion ist bisher einmalig in der Parteiengeschichte Deutschlands. „Das ist lustig“, sagt Vogt. „Die Leute sagen: Was wollt Ihr hier, es ist doch gar kein Wahlkampf“. Jedenfalls noch nicht.