Die kooperationsunwilligen EU-Anwärter Serbien und Kosovo verbauen sich selbst ihre Zukunft, kommentiert Thomas Roser.
Truppenmobilisierungen und Propaganda-Botschaften, die verschreckte Zeitzeugen an die Kosovo-Rhetorik von Serbiens einstigem Kriegstreiber Slobodan Milosevic erinnern: Die beunruhigenden Nachrichten aus Europas vergessenem Hinterhof mehren sich. Doch trotz Waffengerassels und erster in Stellung gebrachter Haubitzen an der Grenze zwischen Serbien und dem Kosovo: Mit einer Neuauflage des Kosovo-Kriegs von 1999 ist kaum zu rechnen. Damals war die Lage eine andere. Obwohl Belgrad kräftig in die Aufrüstung seiner Armee investierte, verfügt diese längst nicht über die einstige Kampfkraft von Jugoslawiens JNA. Ohnehin dürfte der vom Ukraine-Krieg gebeutelte Westen einen weiteren Waffengang in Europa nicht zulassen.
Ein Gewaltausbruch würde den Gang junger Fachkräfte in die Emigration nachhaltig beschleunigen – und die Auslandsinvestitionen in die ausgeblutete Region rasch versiegen lassen. Das ist den Entscheidungsträgern in Belgrad genauso bewusst wie ihren kosovarischen Kontrahenten in Pristina.
Das offene Eingeständnis, die Ex-Provinz schon 1999 endgültig verloren zu haben, kann sich in Serbien zwar noch immer kein Würdenträger erlauben. Doch statt mit ständigen, oft aus innenpolitischen Gründen geschürten Dauerspannungen die Lebensbedingungen der Landsleute in der Ex-Provinz weiter zu verschlechtern, wäre Belgrad gut beraten, auch ohne explizite Anerkennung einen Modus Vivendi mit Pristina zu suchen: Nicht nur die Kosovo-Serben, sondern auch Serbiens Exportwirtschaft würde am meisten von einem spannungsfreien Nachbarschaftsalltag profitieren.
Mit dem Verweis auf die schlechten Erfahrungen mit der Republika Srpska in Bosniens Staatslabyrinth verweigert Pristina der serbischen Minderheit hartnäckig die bereits 2013 zugesagte Schaffung eines Verbands der serbischen Kommunen. Doch im Gegensatz zu Bosnien machen die Serben nur einen kleinen Bruchteil von Kosovos Bevölkerung aus. In Kooperation mit dem Westen könnte Pristina problemlos einen Minderheitenrat mit klar begrenzten Zuständigkeiten schaffen.
Die Wege aus den selbst gewählten Sackgassen sind klar. Doch leider verbauen sich die Nachbarn mit hartnäckigen Selbstblockaden ihre Zukunft. Dabei ist es der Mangel an Perspektiven, der junge Kosovo-Albaner und Kosovo-Serben gleichermaßen die Emigrationskoffer packen lässt. 23 Jahre nach dem Ende des Kosovo-Kriegs gibt es für die einstigen Kontrahenten nur zwei Alternativen. Entweder sie treten sturköpfig weitere 20 Jahre auf Europas Abstellgleis auf der Stelle. Oder sie springen über den eigenen Schatten – und finden mit einem pragmatischen Kurs der Verständigung doch noch den Anschluss an Europa – und die Zukunft.