Großer Andrang: Für viele Zuwanderer ist die Anerkennung eines Berufsabschlusses Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der Bürokratie-Dschungel in Deutschland birgt für viele Einwanderer Schwierigkeiten. „Vivir y trabajar“ hilft rund 80 Spaniern bei der Orientierung auf dem Arbeitsmarkt und im Alltag.

Stuttgart - Wohin muss man, um den Studien- und Berufsabschluss anerkennen zu lassen? Was sollte man im Laufe eines Bewerbungsverfahrens beachten? Und wie funktioniert das mit der Sozial- und Rentenversicherung? Antworten auf diese Fragen haben rund 80 spanische Einwanderer am Dienstag während der Informationsveranstaltung „Vivir y trabajar en Stuttgart“ (Leben und Arbeiten in Stuttgart) in der Stuttgarter Agentur für Arbeit erhalten.

„Wir haben in gemeinsamen Gesprächen mit der spanischen Botschaft und dem Welcome Center festgestellt, dass viele Spanier zwar hier in die Region gekommen sind, aber noch nicht den Weg zu den Behörden gefunden haben. Oder aber sie suchen einen Weg, wie sie ihre in Spanien erworbenen beruflichen Kenntnisse hier optimal einsetzen können“, sagte die Vorsitzende der Fachkräfteallianz Region Stuttgart, Petra Cravaack. So sei die Idee entstanden, über die spanische Community in der Landeshauptstadt solch eine Veranstaltung anzubieten: „Das Echo der Anwesenden zeigt, dass wir den Nerv voll getroffen haben.“

Einer von ihnen war Jordi Garcia (35). Der studierte Informatiker kam 2012 nach Deutschland, nachdem er im Rahmen der sogenannten Nikolaus-Aktion ein Unternehmen von seinen Qualitäten überzeugt hatte. In einem spektakulären Schritt hatten die Arbeitsagentur, das Wirtschaftsministerium des Landes und die regionale Wirtschaftsförderung dem Fachkräftemangel in der Region entgegengewirkt und knapp 100 Akademiker aus Spanien einfliegen lassen. Etwa 25 von ihnen erhielten bei den teilnehmenden Firmen auch Arbeitsverträge. Garcia zog mit seiner Familie nach Erdmannhausen. Dort arbeitet er seither bei einem Mittelständler als Elektronikentwickler. Deutsch spricht er längst fehlerfrei.

Bei „Vivir y trabajar en Stuttgart“ informierte er sich vor allem über das Anerkennungsprozedere. Der Grund dafür ist nicht etwa er selbst, seine Frau arbeitete vor der Geburt der drei gemeinsamen Kinder in Spanien als Lehrerin und würde ihren Beruf auch gerne wieder in Deutschland ausüben. Das sei ihm wichtig – nur dann könne auch sie auf Dauer ein erfülltes Leben in der Region führen. „Ich kann noch nicht sagen, wie lange wir hier bleiben – vielleicht zwei Jahre, vielleicht zehn Jahre. Oder vielleicht bleiben wir auch für immer.“

In der Heimat ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor angespannt. Vor allem für junge Erwachsene. Die Zahlen sind zuletzt zwar ein wenig zurückgegangen, aber nach Angaben des Statistischen Amts der Europäischen Union (Eurostat) liegt die Arbeitslosenquote bei Heranwachsenden bis 24 Jahren in Spanien bei 49,6 Prozent (Stand April 2015). Das bedeutet: Jeder Zweite ist ohne Job. Und es gibt nicht viele Anzeichen, dass sich die Lage bald verbessert. Es sind nicht wenige, die sich für einen Job in Deutschland entscheiden. „Die Spanier sind in den vergangenen Monaten nach den Italienern die größte Gruppe der Zuwanderer gewesen“, sagte Verena Andrei, Leiterin des Welcome Centers der Stadt Stuttgart und der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart (WRS). „Und die Spanier, die zu uns kommen, sind alle qualifiziert.“

Den Unternehmen in der Region kann das nur recht sein. Der Fachkräftemonitor der Industrie- und Handelskammern (IHK) in Baden-Württemberg zeigt: es fehlen derzeit 81 000 Fachkräfte im Südwesten, davon allein rund 32 000 in der Region Stuttgart. In den nächsten zwei bis drei Jahren ist der Bedarf noch überschaubar, aber von 2020 an – sobald die geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen – wird die Fachkräfte-Nachfrage nach Einschätzung der IHK rasant ansteigen. So mangelt es von heute bis 2030 durchschnittlich an 207 000 Fachkräften pro Jahr. Und es sind nicht nur Akademiker, die von Firmen gesucht werden, auch nicht-akademisch Qualifizierte sind rar.

Deshalb haben sich die Fachkräfteallianz Region Stuttgart, die Abteilung für Arbeit und Soziales der Botschaft von Spanien, die Agentur für Arbeit und die regionale Wirtschaftsförderung zum Ziel gesetzt, den Zuwanderern zu helfen, wann immer es geht. Trotzdem sei die Infoveranstaltung in dieser Art eine einmalige Sache gewesen, erklärte Fachkräfteallianz-Chefin Cravaack: „Es wird aber weitere, kleinere Folgeveranstaltungen geben – zum Beispiel zu Themen wie Rentenversicherung.“