Spielerische Hilfe: Sozialer Tag in einer betreuten Wohngruppe der Jugendhilfe Foto: Agentur mehrwert

Etwas Gutes tun und selbst davon profilieren – das findet in der Wirtschaft immer mehr Anklang. Viele Unternehmen sehen es gerne, wenn sich Mitarbeiter sozial einbringen. Sie fördern dieses Engagement sogar gezielt – etwa in Form von sozialen Tagen.

Stuttgart - Monika Deeg hat sich das nicht vorstellen können: „Dass es mitten in Deutschland so etwas gibt, mitten in Stuttgart.“ Die 33-jährige Floristin des Hotels Steigenberger Graf Zeppelin hat einen Tag lang bei der Tafel in Cannstatt mitgearbeitet. Lebensmittel sortiert. Ist Menschen begegnet, für die Zucker etwas Besonderes ist. Am Ende des Arbeitstages dachte sie: „Mann, geht’s uns gut!“ Sie möchte dieses Erlebnis nicht missen, „total positiv“ habe sie den Dienst empfunden. „Das müsste eigentlich jeder mal machen.“

Tatsächlich machen immer mehr Menschen diese Erfahrung. Denn die aus den USA stammende Idee, für einen Tag den Arbeitsplatz zu wechseln, findet auch hier zunehmend Verbreitung. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber die Tendenz ist eindeutig. Die Hotelgruppe Steigenberger etwa, die deutschlandweit 6100 Mitarbeiter beschäftigt, hat dieses Jahr erstmals soziale Tage angeboten. Spiridon Sarantopoulos, Direktor des Steigenberger Graf Zeppelin in Stuttgart, hält das für zeitgemäß: „Soziales Engagement ist wichtig.“ Die Mitarbeiter machten auf diese Weise wertvolle Erfahrungen – davon profitiere auch das Unternehmen.

Folglich liest sich das Angebot bei Steigenberger auch wie ein Stellengesuch: „Sie lieben es, Menschen zum Strahlen zu bringen und Wünsche wahr werden zu lassen? Jetzt laden wir Sie ein, die Wünsche Ihrer Gäste einen Tag lang Ihren Kollegen zu überlassen und an anderer Stelle Gutes zu tun. Ein bezahlter sozialer Tag. Für Sie und die Gesellschaft. Für was und mit wem und wann Sie sich sozial engagieren möchten, überlassen wir Ihnen.“

Das Projekt soll fortgeführt werden

Monika Deeg, die Floristin, fühlte sich davon angesprochen. Ebenso weitere elf Kollegen aus der 120 Mitarbeiter zählenden Steigenberger-Belegschaft, die in diesem Jahr für die Schwäbische Tafel und das Seniorenhaus am Sommerrain tätig wurden. Weitere 30 Mitarbeiter haben Interesse angemeldet. Ein guter Start, findet Sarantopoulos. Das Projekt soll fortgeführt werden, und zwar in eigener Regie.

Für soziale Aktivitäten von Unternehmen gibt es aber auch professionelle Vermittler. Den Malteser Hilfsdienst zum Beispiel oder die Stuttgarter Agentur „mehrwert“, die vor 15 Jahren beim Diakonischen Werk ihren Anfang nahm. Die gemeinnützige GmbH hat sich darauf spezialisiert, Firmen und soziale Stellen zusammenzubringen. „Wir kooperieren mit rund 800 Einrichtungen“, sagt Geschäftsführerin Gabriele Bartsch. „Obdachlosenbetreuung, Hospizarbeit, Altenpflege, Frauenhäuser – der gesamte soziale Markt.“ Zu den Kunden von „mehrwert“ zählen rund 40 Firmen – Mittelständler, Finanzdienstleister, Automobilzulieferer.

Die Schwerpunkte liegen in Stuttgart und Mannheim, „mehrwert“ ist jedoch auch außerhalb Baden-Württembergs tätig. Für den Finanzdienstleister Commerz Real organisierte die Stuttgarter Agentur im Mai einen sozialen Großeinsatz: 420 Mitarbeiter des Unternehmens halfen einen Tag lang mit, eine Schule zu renovieren. Keine Alibi-Veranstaltung, sondern echte Hilfe. „Es muss immer einen realen Bedarf geben“, sagt Kathrin Vogelbacher, die bei „mehrwert“ das Soziale-Tage-Programm betreut.

Billig ist das nicht. Für einen sozialen Tag außerhalb der Firma bekommt der Mitarbeiter sein reguläres Gehalt weiter bezahlt. Die Unternehmen sehen das als Investition in die soziale Kompetenz und den Teamgeist ihrer Mitarbeiter. „Manche Firmen sagen sich: Lieber ein sozialer Tag als ein Betriebsausflug oder eine Betriebsfeier“, berichtet Vogelbacher. Anpacken im Wohnheim statt Adrenalin im Hochseilgarten – das hat was.

Dazu kommt, dass soziales Engagement heute vielfach zur Unternehmenskultur gehört. Firmen definieren sich bewusst als Teil des Gemeinwesens – der Fachbegriff dafür lautet Corporate Citizenship. Besonders ausgeprägt ist das bei Daimler Financial Services. „Soziale Verantwortung wird bei uns großgeschrieben“, sagt Sprecher Harald Bertsch. Man sieht sich als Vorreiter – auch innerhalb des Konzerns. Vor zehn Jahren startete der Finanzdienstleister mit Standorten in Stuttgart, Saarbrücken und Berlin sogenannte Days of caring – Tage des Kümmerns. Mitarbeiter des Unternehmens packten jeweils einen Tag lang mit an – etwa in den Jugendzentren in Neugereut oder im Hallschlag. Im nächsten Schritt habe man die Belegschaft ermuntert, selbst Ideen einzubringen, berichtet Bertsch. Neuerdings kommt die Flüchtlingshilfe hinzu.

Die Identifikation mit dem Unternehmen spielt dabei eine große Rolle

„Wichtig ist es, den Mitarbeitern einen Perspektivenwechsel zu ermöglichen und ihnen die Augen für schwierige soziale Verhältnisse zu öffnen“, sagt der Sprecher. Das findet ein starkes Echo. Mehr als zehn Prozent der rund 1500 Mitarbeiter hätten sich in diesem Jahr beteiligt. Jedes Jahr würden es mehr. Die Identifikation mit dem Unternehmen spielt dabei eine große Rolle. „Für die Generation Y (die Jahrgänge zwischen 1977 und 1998, Anm. d. Red.) ist das ein wesentlicher Faktor“, sagt Bertsch. Die Jungen legten Wert auf Substanz. Auch für Ältere gewinne dies an Bedeutung. Arbeitgeber, die einen sozialen und damit auch emotionalen Mehrwert anbieten, sind attraktiver. Das weiß man auch bei der Deutschen Börse, bei der Deutschen Bank oder bei Kärcher, wo soziale Tage zum Standard gehören. Für Hoteldirektor Sarantopoulos stellt sich ebenfalls die Frage: „Wie bleiben wir für junge Fachkräfte attraktiv? Es geht nicht mehr nur um die Besoldung. Die Mitarbeiter suchen auch nach einem tieferen Sinn.“

Und das über den einzelnen Tag hinaus. Das Technologieunternehmen Trumpf in Ditzingen bietet seinen Mitarbeitern einen mehrtägigen „Sichtwechsel“ an. Trumpf ist seit Jahren eng mit dem Behindertenzentrum Stuttgart (bhz) verbunden. Dort „können die Mitarbeiter in einer Werkstatt, in einem Lebensmittelgeschäft für sozial Benachteiligte oder im Förder- und Betreuungsbereich einer Tagesstätte mitarbeiten“, schreibt Gerd Duffke, zuständig für Personalentwicklung, im Trumpf-Mitarbeitermagazin. „Alternativ besteht die Möglichkeit, fünf Tage in einer Schule für Kinder und Jugendliche mit körperlichem und geistigem Handicap zu verbringen.“

Für seine 20-jährige Partnerschaft mit dem bhz erhielt Trumpf 2015 den Deutschen CSR-Preis in der Kategorie „Vorbildliche Kooperation eines Unternehmens mit NGOs“, (CSR steht für Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung, NGOs sind Nichtregierungsorganisationen). Mittlerweile ist die Mitarbeit in der Behinderteneinrichtung auch Bestandteil des Trumpf-Ausbildungsplans.

Hervorgegangen ist das Angebot aus dem „Blickwechsel“-Programm, das „mehrwert“ für Führungskräfte entwickelt hat. Der Grundgedanke ist derselbe wie bei den Social Days: Führungskräfte sollen andere Seiten des Lebens kennenlernen – eine ganze Woche lang. Es geht um emotionale Kompetenz. „Die gewonnenen Erkenntnisse sind sehr wertvoll, denn sie lassen sich auf viele andere Lebenslagen übertragen“, stellt Mathias Kammüller, Trumpf-Geschäftsführer und Vorsitzender des Stifterverbunds zur Förderung Sozialen Lernens, fest. Auch bei den Einrichtungen selbst kommen solche Begegnungen gut an. Gerhard Gogel, Leiter des Johannes-Falk-Hauses in Stuttgart, das junge Menschen in Notlagen betreut, schrieb an „mehrwert“: „Wir bedanken uns bei allen Sozionauten, die uns in unserer Anderwelt besucht haben.“