Zum Jahreswechsel 2019/2020 wurde in Esslingen zuletzt im großen Stil geböllert. Die Altstadt war schon damals tabu. Foto:  

Zu Neujahr 2023 darf wieder geböllert werden. Doch das Silvesterfeuerwerk und die Knaller stoßen nicht überall auf Gegenliebe. Reaktionen aus dem Kreis Esslingen.

Das Böllerverbot ist aufgehoben. Silvester 2022 bringt eine Renaissance von Raketen, Heulern und Krachern. Die Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus.

Landkreis Esslingen Feuerwerke halten immer weniger Menschen für eine zündende Idee, erklärt Andrea Wangner, die Pressesprecherin des Landratsamtes. Die Gewerbeaufsicht der Kreisbehörde führe jedes Jahr stichprobenhafte Kontrollen zur fachgerechten Lagerung von explosionsgefährlichen Feuerwerkskörpern durch. Vorgegeben seien als Ziel mindestens zehn Überprüfungen pro Landkreis, die in diesem Jahr während des Verkaufszeitraums von diesem Donnerstag bis zum Samstag, 31. Dezember, erfolgten. Die Erfahrungen der letzten „regulären“ Vor-Corona-Aktion zum Jahreswechsel 2019/2020 habe gezeigt, dass der Trend zum Feuerwerk generell abnehme. Auch andere Stadt- und Landkreise, so Andrea Wangner, berichteten einhellig, dass die Lagermenge des zum Verkauf angebotenen Silvesterfeuerwerks rückläufig sei.

Stadt Esslingen Kracher und historische Gebäude passen nicht zusammen, meint die Stadt Esslingen. In der Innenstadt und auf der Burg gilt an Silvester und Neujahr ein sogenanntes Abbrennverbot für pyrotechnische Gegenstände. Untersagt ist die Knallerei auch in der Nähe von Kirchen, Krankenhäusern, Kinder- oder Altenheimen. Marcel Meier vom städtischen Pressereferat verweist zur Begründung auf den Brand- und Lärmschutz sowie die Feuergefahr: „Derzeit gibt es für das Silvesterfeuerwerk in Esslingen aber keine über die bundesweit geltenden Regelungen hinausgehenden Verbote.“

Rettungsdienste Das Böllerverbot der vergangenen beiden Jahre hatte aus Sicht des Rechts- und Ordnungsamt des Landkreises Vorteile. Konkrete Zahlen lägen zwar nicht vor, teilt Sprecherin Andrea Wangner mit. Aber ein Stimmungsbild könne sie liefern: „In den vergangenen beiden Jahren war das Einsatzaufkommen im Vergleich zu den Jahren zuvor merklich geringer.“ Es habe ganz klar weniger Unfälle mit Feuerwerkskörpern als in den vorangegangenen Jahren gegeben. Die Rettungsdienste rechneten in diesem Jahr wieder mit einem erhöhten Einsatzaufkommen.

Klinikum Esslingen Das Klinikum Esslingen stellt sich auf eine angespannte Situation zum Jahreswechsel ein. Wegen der momentan hohen Rate an Atemwegserkrankungen, so der Leitende Arzt der Notaufnahme, Stephan Thomas, gebe es weniger freie Betten. Man wäre daher froh, wenn diese Betten nicht durch Böllerunfälle oder alkoholbedingte Notfälle blockiert würden. Laut der Klinikumsprecherin Anja Dietze wurde zum Jahreswechsel 2021/2022 kein einziger Notfall aufgrund des Feuerwerks ins Klinikum eingeliefert. Es hätten aber vermehrt alkoholbedingte Fälle, vor allem wegen Stürzen im Alkoholrausch, versorgt werden müssen: „Ich vermute, dass sich das auch in diesem Jahr nicht ändert.“

Handelsverband Baden-Württemberg Nach Angaben des Handelsverbands musste die Branche durch das Böllerverbot der vergangenen beiden Jahre Umsatzeinbußen in Höhe von jeweils etwa 100 Millionen Euro verkraften. Das Geld fehle in der Gesamtbilanz. Einige Menschen hätten sich wegen des Verkaufsverbots in Deutschland im benachbarten Ausland mit Feuerwerkskörpern eingedeckt, die aber oft nicht CE-zertifiziert und daher gefährlich seien: „Deshalb begrüßen wir es, dass der Einzelhandel dieses Jahr wieder Silvesterfeuerwerk abgeben darf. Die Sicherheit beim Abbrennen von Feuerwerk steigt dadurch erheblich.“ Die meisten Geschäfte, die in den Vor-Corona-Jahren entsprechende Artikel angeboten hätten, nähmen die pyrotechnische Ware wieder in ihr Sortiment auf.

Feinstaub Esslingen Das Böllern schade Umwelt, Tier und Mensch, sagt Jörg Sanzenbacher von „Feinstaub-Esslingen, Initiative für gesunde Luft in Ballungsgebieten“: „Laut Umweltbundesamt blieben zum Neujahrstag 2021 die sonst üblichen Feinstaub-Spitzenwerte komplett aus“. Das durch die Pandemie bedingte Böller-Verkaufsverbot habe also schädliche Luftverschmutzungen messbar verhindert. 2023 sei das wahrscheinlich anders. Aufgrund der Energiekrise werde in mehreren Wohngebieten vermehrt mit Holz und Briketts geheizt, so Jörg Sanzenbacher. Dadurch seien die Feinstaubwerte vermutlich schon jetzt auf einem hohen Niveau: „Die Belastungen durch das Böllern treffen dann auf ein ohnehin schon hohes Feinstaub-Level.“ Austauscharme Wetterlagen wie Inversion, Windstille oder fehlender Regen könnten die Belastungen weiter verschärfen und die Luftqualität über Neujahr hinaus bestimmen, weil ein Verdünnungseffekt ausbleibe.

Polizei Einsatzanlässe an Silvester und Neujahr sind laut der Polizei Schlägereien, Streitigkeiten, Brände durch den unsachgemäßem Umgang mit Feuerwerk, Sachbeschädigungen oder Verstöße gegen das Waffengesetz durch ein unerlaubtes Führen von Schreckschusswaffen. Solche Vorkommnisse hat es trotz des Böllerverbots nach Angaben von Polizeisprecherin Andrea Kopp auch an Silvester 2020 und 2021 gegeben: „Die wenigsten Einsätze im Vergleich zu den vergangenen paar Jahren hatten wir mit 340 an Silvester 2020/2021.“ An Silvester 2021/2022 sei die Polizei in den Kreisen Reutlingen, Tübingen, Zollern-Alb und Esslingen 400 mal im Einsatz gewesen – genauso oft wie an Silvester 2018/2019. Auf diese Herausforderungen bereite sich die Polizei vor und sei in entsprechender Stärke vor Ort. Aber: „Je weniger abgefeuert wird oder je sorgfältiger und professioneller das vonstatten geht, desto weniger passiert.“ Ein besonders großes Risiko stellten illegale Böller und Raketen aus dem Internet oder dem Ausland dar.

Verband der Pyrotechnischen Industrie Der VPI war nicht Feuer und Flamme für das Böllerverbot. Die kurzfristigen, unverschuldeten Verkaufsverbote von Silvesterfeuerwerk hätten die Branche hart getroffen, teilt Geschäftsführer Klaus Gotzen mit: „Mehr als 90 Prozent unseres Jahresumsatzes werden an nur drei Tagen vor Silvester generiert.“ Durch den Wegfall dieser Gelder werde der Branche die existenzielle Basis entzogen. Von den früher gut 3000 Mitarbeitenden seien noch etwa knapp 2500 übrig. Insolvenzen hätten nur durch Coronahilfen und überzeugte Kapitalgeber vermieden werden können: „Es muss klar festgestellt werden, dass mit den Coronahilfen in keiner Weise ein Ausgleich der Verluste stattgefunden hat.“

Das Silvesterfeuerwerk 2022

Sicherheit
Die Stadt Filderstadt gibt Tipps für das Abbrennen von Feuerwerkskör-pern. Das sei erst ab Vollendung des 18. Lebensjahres erlaubt. Benutzt werden müssten Feuerwerkskörper der Kategorie Zwei, die Kennzeichnung sei auf der Verpackung ablesbar. In unmittelbarer Nähe von Fachwerkhäusern, Kirchen, Krankenhäusern, Kinder- oder Altenheimen ist das Abbrennen nicht erlaubt: „Bitte denken Sie auch daran, die „Reste“ des Feuerwerks von Gehwegen und Straßen rasch zu entsorgen.“

Umweltschutz
Von den jährlich entstehenden bundesweit rund 2050 Tonnen mit gesundheitsgefährdendem Feinstaub durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern würden mehr als Dreiviertel in der Silvesternacht generiert, teilt der NABU Baden-Württemberg mit. Böllern verursache zudem viel Müll. 43 000 Tonnen Pyrotechnik würden bundesweit vor der Pandemie gekauft. Die Reste blieben tagelang liegen, manches werde nie eingesammelt. Regenfälle spülten die teils giftigen Rückstände in die Kanalisation oder ungefiltert in Bäche, Flüsse oder ins Grundwasser. Das habe Folgen für Mensch und Natur.