Viele Senioren wollen Auto fahren, fühlen sich im hektischen Straßenverkehr aber unsicher. Foto: dpa

Diskutieren Sie mit - 93 Prozent der älteren Verkehrsteilnehmer wollen ein Leben lang Auto fahren. Aber sind sie im Alter nicht ein Sicherheitsrisiko? Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und der Landesseniorenrat plädieren für freiwillige Fahrsicherheitstrainings.

Stuttgart - Viele ältere Menschen stellen selbst fest: Ich höre schlechter als früher, meine Augen stellen sich langsamer von hell auf dunkel oder von nah auf fern um. Und ich kann mich schlechter drehen, der Blick nach hinten über die Schulter fällt schwer. Doch sie schweigen, setzen sich weiter regelmäßig hinters Steuer.

Lange Zeit, so der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann am Montag auf der Messe „Die besten Jahre“, seien die Älteren „statistisch nicht aufgefallen“. Denn sie hätten viel Erfahrung am Steuer und seien vorsichtig unterwegs. Doch inzwischen wisse man: Vor allem ab 75 Jahren seien Senioren öfter für Unfälle verantwortlich als der Durchschnitt und auch stärker gefährdet. So waren 2014 von insgesamt 145 im Straßenverkehr getöteten Senioren in Baden-Württemberg 100 mindestens 75 Jahre alt. 71 Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle, an denen Seniorenbeteiligt waren, wurden auch von ihnen selbst verschuldet.

Trotzdem hat der Verkehrsminister „das klare Leitbild, dass Ältere so lange wie möglich mobil bleiben – und dafür ist in vielen Bereichen das Auto wichtig“, sagte Hermann am Montag. Voraussetzung dafür sei aber, dass sie ihre Fahrtüchtigkeit regelmäßig mit Tests etwa bei Fahrschulen überprüfen ließen. Dort sollen sie sich auch neue Verkehrsregeln aneignen. Dies solle aber freiwillig und aus Einsicht passieren „und ohne die Angst, den Führerschein zu verlieren“, so Hermann.

21 Maßnahmen für mehr Mobilität

Unterstützung erhält er von Roland Sing, dem Vorsitzenden des Landesseniorenrats. Dessen Klientel sind 2,7 Millionen Bürger im Land im so genannten dritten Lebensabschnitt zwischen 60 und 85 Jahren. Die noch Älteren sind die Hochbetagten. Sing verweist darauf, dass viele Ältere, die keine Internet- und Tablet-Erfahrung haben, auch Beratung brauchen, wie ihr Fahrzeug funktioniert, speziell die neuen Assistenzsysteme, die über Bildschirm bedient werden.

Sing hat selbst ein Fahrsicherheitstraining absolviert und dadurch, wie er sagt, einen schweren Unfall verhindern können. Damals habe er auf der Autobahn die Schlagbremsung einsetzen können, die er dort gelernt hatte und von der er vorher noch nicht einmal gehört hatte. „Und ich habe festgestellt, was Autos alles können“, sagt Sing. So habe sich mit seiner Schlagbremsung auch die Warnblinkanlage automatisch eingeschaltet.

Mit seinen eigenen Erfahrungen will Sing möglichst viele Senioren ermutigen, ebenfalls solche Test und Trainings zu absolvieren. Dies soll über die neue Kampagne „länger mobil“ geschehen, die Ministerium und Seniorenrat jetzt gemeinsam starten. Sing gab lediglich zu bedenken, dass sich einige ältre Menschen mit geringer Rente einen solchen Kurs für 50 Euro vielleicht gar nicht leisten können.

Um möglichst viele Menschen mit der Kampagne bekannt zu machen, werden auch Radiospots und Zeitungsanzeigen geschaltet: „Dass soll die Debatte anregen“, sagt Hermann. Das Land gibt für das Projekt insgesamt 250 000 Euro aus. Die Kampagne basiert auf der Arbeit der Projektgruppe Mobil im Alter, die aus Vertretern des Verkehrs-, Innen- und Sozialministeriums sowie Verbänden besteht. Sie hat 21 Maßnahmen zur Verbesserung der Mobilität ältere Personen erarbeitet.

Ärzte sollen Überzeugungsarbeit leisten

Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Forsa wären 82 Prozent der befragten Senioren bereit, auf ihren Führerschein zu verzichten, wenn sie nicht mehr sicher fahren könnten. In der Praxis spricht jedoch nur jeder zehnte ältere Autofahrer seinen Arzt auf das Thema Gesundheit am Steuer an . Die Kampagne „länger mobil“ baut deshalb auch darauf, dass Angehörige von alten Menschen und Ärzte Überzeugungsarbeit leisten. Minister Hermann weiss, dass es beim Verzicht auf das Auto für Ältere nicht nur um die Mobilität geht, sondern auch um die Angst, dass nun die letzten Jahre anstehen. „Selbstständigkeit ist ein zentraler Wert grüner Politik“, sagte er. Ziel der Senioren müsse sein, „das Autofahren lange zu schaffen, aber rechtzeitig aufzuhören“.

Die Messe „Die besten Jahre“ findet noch an diesem Dienstag auf dem Gelände der Messe Stuttgart von 10 bis 18 Uhr statt. Weitere Infos und Kontaktadressen zur Mobilität im Alter:

www.längermobil.de