Auf einer Infoversammlung vor ein paar Tagen waren in der brechend vollen Bürgerhalle viele Dorfbewohner außer sich vor Wut und Ärger. Foto: dpa/Silas Stein

Bei einer aufgeheizten Versammlung zum Thema Flüchtlingsaufnahme in Killer wird der Landrat des Zollernalbkreises von Bürgern ausgebuht. Die Stimmung im Dorf hat einen Tiefpunkt erreicht.

Killer will nicht mehr. Das 600-Seelen-Dorf auf der Schwäbischen Alb im Zollernalbkreis wehrt sich mit Händen und Füßen und lautstark gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge. Und ist damit vielleicht exemplarisch für die Stimmung vieler Menschen landauf und landab, denn die Zahl der Asylsuchenden steigt wieder. Die Kommunen rufen seit Monaten nach mehr Unterstützung bei der Aufnahme von Flüchtlingen.

15 Geflüchtete sind bereits seit einiger Zeit in der sogenannten Anschlussunterbringung in Killer, durch das die Bundesstraße 32 führt. Von Ortsschild zu Ortsschild sind es gerade mal 600 Meter. Entlang der Straße steht der frühere Gasthof Lamm. Dort könnten nach Auskunft des Kreises ab September bis zu 40 Geflüchtete unterkommen. Der Kreis rechnet damit, bis Ende des Jahres 200 bis 300 weitere Geflüchtete in der vorläufigen Unterbringung zugewiesen zu bekommen.

Dorfbewohner außer sich vor Wut und Ärger

Auf einer Infoversammlung vor ein paar Tagen waren in der brechend vollen Bürgerhalle viele Dorfbewohner außer sich vor Wut und Ärger. Laut Landrat Günther-Martin Pauli (CDU) war der Saal am Überkochen. „Die Atmosphäre war vergiftet.“ Er selbst sei ausgebuht worden, kaum zu Wort gekommen. Die Wut aber auch die Sorgen vieler Bürger sind in einem Video dokumentiert, das auf der Plattform Youtube hochgeladen wurde. Dessen Echtheit bestätigt Pauli. Der Urheber sei unbekannt. „So etwas habe ich noch nicht erlebt. Niemand darf ausgebuht, beleidigt, angeschrien oder bedroht werden.“

Neben vielen Wortmeldungen von Bürgern sagt Joachim Steyer von der AfD-Landtagsfraktion und Mitglied des Gemeinderats von Burladingen zu Pauli: „Das eigentliche Problem ist, dass man Unrecht zu Recht erklärt hat. Weil seit 2014 sind zehn Millionen Menschen hier eingewandert und es nimmt kein Ende“. Pauli wird von einer Teilnehmerin aufgefordert, zu bejahen oder zu verneinen, ob noch mehr Flüchtlinge nach Killer kommen. Die Menge skandiert „Ja oder Nein? Ja oder Nein? Ja oder Nein?“ Eine Einwohnerin meldet sich zu Wort und sagt, es sei ein Abend, bei dem sie sich ein bisschen schäme für ihre Ortschaft. Einzelne rufen ihr zu: „Hau ab“ und „Nimm’ du welche“.

Turbulente Bürgerversammlung

An der turbulenten Bürgerversammlung teilgenommen haben auch Monika und Haiko Scherer (beide 62). Sie wohnen seit rund 20 Jahren direkt gegenüber dem Gasthof. Beide sind gegen die Aufnahme weiterer Geflüchteter in Burladingen, einer Stadt, in der Wolfgang Grupp das Unternehmen Trigema führt und das bekannt wurde für seine Kultwerbefigur, dem Affen mit Brille und Hemd. Doch Schlagzeilen machte Burladingen auch wegen Harry Ebert, seit 1999 Bürgermeister von Burladingen. 2018 wurde sein Eintritt in die AfD bekannt. Schon davor gab es Zank zwischen dem Schultes und dem Gemeinderat.

Ebert bezeichnete einen Besuch des Gremiums in einer Flüchtlingsunterkunft als „Asylantenschau“ und die Gemeinderäte als „Landeier“. Nach einem Disziplinarverfahren sprach das Landratsamt des Zollernalbkreises einen Verweis gegen ihn aus. Mitte Juni 2020 schied Ebert aus. Bei der Landtagswahl 2021 erreichte die rechtspopulistische AfD in Burladingen 18,4 Prozent. Bei der Kommunalwahl 2019 erzielte die AfD in Burladingen mit 14,3 Prozent nach Pforzheim ihr zweitbestes Ergebnis im Land.

Keine gravierenden Vorkommnisse mit Flüchtlingen

Monika Scherer schildert ihre Bedenken: „Ich habe Angst, dass wir überfordert werden. Die Killemer wollen nicht mehr. Ganz in der Nähe ist ein Fußballspielplatz, da sind oft Kinder. Ich hätte Angst aus dem Bus auszusteigen.“ Dieser hält neben dem Gasthof Lamm. Auch sie empfand die Stimmung bei der Bürgerversammlung als aufgeladen. Bei der Handabstimmung, wer gegen die Aufnahme von weiteren Geflüchteten ist, seien so ziemlich alle Hände in der überfüllten Halle nach oben gegangen. „Jetzt bibbert jeder Killemer, wie es weitergeht.“

Laut Pauli gab es mit den bisherigen, wenigen Flüchtlingen in Killer keine gravierenden Vorkommnisse. „Kein Landrat kann eine Vollkaskoversprechung abgeben, dass nichts passiert.“ Die meisten Geflüchteten seien hochmotiviert. „Viele Menschen wollen sich engagieren, wollen arbeiten, Steuern zahlen, Teil der Gesellschaft werden. Aber man muss sich um die Menschen kümmern.“ Hunderte hielten sich an die Regeln. „Und dann gibt es ein paar Handvoll, die Dummheiten machen.“ Er merke, dass seit dem vergangenen Winter die Stimmung kippe.

Flyer: „Gegenhalten der Killemer Bürger“

In einem anonymen Flyer kurz vor der Infoveranstaltung sei vom „Gegenhalten der Killemer Bürger“ die Rede, erzählt Pauli. „Wir wollen sicher in unserem Dorf leben und uns noch auf die Straße trauen können! Wir wollen Sicherheit für unsere Kinder! Wir wollen unsere Immobilienpreise nicht fallen sehen, weil keiner mehr nach Killer möchte!“, tippte jemand auf ein DIN-A-4-Blatt und verteilte es im Dorf. Noch immer steckt Pauli die Versammlung in den Knochen: „Da war ich wirklich entsetzt. Solche Szenen kenne ich nur aus den neuen Bundesländern. Ich bin hier im Zollernalbkreis groß geworden. Ich hätte vor Kurzem noch gesagt: So was passiert bei uns nicht.“ Eine Entscheidung für oder gegen Killer sei noch nicht gefallen. Man suche auch an anderen Standorten.

Nach Angaben des Migrationsministeriums kamen im vergangenen Jahr rund 28 000 Asylsuchende nach Baden-Württemberg. Das waren deutlich mehr als in den Vorjahren. Im Jahr 2021 waren gut 15 500 Flüchtlinge nach Baden-Württemberg gekommen, im Jahr 2020 waren es rund 7500 gewesen. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 kamen laut Ministerium rund 14 220 nach Baden-Württemberg.