Einkommensarmut trifft laut der Schuldner-Studie überproportional Frauen. Auch Altersarmut ist immer öfter ein Problem: Immer mehr Rentner sind verschuldet. Foto: dpa

Bei jedem zehnten Erwachsenen in Deutschland sind die Ausgaben dauerhaft höher als die Einnahmen. Anders sieht die Entwicklung in Baden-Württemberg und speziell in der Region Stuttgart aus.

Frankfurt - Trotz des langjährigen Aufschwungs versinken immer mehr Verbraucher im Schuldensumpf. Seit Herbst 2017 ist die Zahl der überschuldeten Bundesbürger um 19 000 auf 6,93 Millionen gestiegen, wie aus dem neuen „Schuldenatlas“ der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hervorgeht. Das heißt: Bei jedem zehnten Erwachsenen sind die Ausgaben dauerhaft höher als die Einnahmen. In Baden-Württemberg liegt die Quote mit acht Prozent niedriger, aber auch hier nimmt die Zahl der Betroffenen stetig zu. In der Region Stuttgart ist dagegen eine positive Entwicklung zu beobachten.

Der bundesweite Anstieg dürfte sich nach Einschätzung von Creditreform in den nächsten Jahren beschleunigen, da sich die Konjunkturaussichten in den vergangenen Monaten eingetrübt haben. Für eine Zunahme der Überschuldung sprächen auch die steigenden Miet- und Heizkosten, so die Experten: In den Großstädten müssten viele Mieter inzwischen „mehr als die Hälfte ihres Haushaltseinkommens für das Wohnen“ ausgeben.

Mehr als 2000 Beratungsfälle in Stuttgart

In Stuttgart ging die Zahl der Überschuldungsfälle allerdings trotz steigender Mieten um 1600 zurück. Offenbar sei es vielen privaten Verbrauchern angesichts der guten Arbeitsmarkt- und Einkommenssituation gelungen, der Schuldenfalle zu entkommen, erklärte Fabian Strahler vom Stuttgarter Creditreform-Büro auf Anfrage. Gleichwohl lägen die Zahlen noch immer höher als vor zehn Jahren. Eine ausführliche Analyse zur regionalen Entwicklung wird Creditreform Stuttgart demnächst vorlegen.

Die Zentrale Schuldnerberatung Stuttgart verzeichnet Jahr um Jahr mehr als 2000 Beratungsfälle. Der Bedarf sei noch größer, „aber wir sind voll ausgelastet“, sagte der Leiter der Beratungsstelle, Reiner Saleth, unserer Zeitung. Selbst in einer boomenden Region wie Stuttgart gebe es Menschen, die wegen einer schlechten Ausbildung oder gesundheitlicher Probleme keinen Job fänden – oder nur einen sehr schlecht bezahlten.

Immer mehr Rentner nehmen Minijobs an

Im wachsenden Niedriglohnsektor sieht auch Creditreform eine Ursache für die Ausweitung des Schuldenproblems. Die Experten verweisen darauf, dass die „atypische Beschäftigung“ auch 2017 weiter zugenommen habe. Trotz allgemeiner Wohlstandsvermehrung habe „die Zahl einkommensschwacher respektive armutsgefährdeter Menschen in Deutschland weiter merklich zugenommen“.

Prekäre Beschäftigung und Einkommensarmut träfen überproportional häufig Frauen, heißt es in der Analyse weiter. Zwar stellen Männer unter den überschuldeten Bürgern die Mehrheit, die Zahl der betroffenen Frauen steigt aber. Tatsächlich geht die Zunahme der Überschuldungsfälle insgesamt 2018 allein auf 21 000 neu in der Statistik erfasste Frauen zurück. Hingegen gelang es 2000 Männern, sich aus der Schuldenfalle zu befreien.

Ein starker Anstieg ist auch unter Rentnern zu beobachten: „Rund 263 000 Menschen ab 70 Jahren müssen in Deutschland in diesem Jahr als überschuldet eingestuft werden“, schreibt Creditreform. Gegenüber dem Vorjahr sei ihre Zahl um satte 35 Prozent gestiegen. Dies passe zum Befund der Bundesanstalt für Arbeit, dass immer mehr Rentner Minijobs annähmen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Arbeitslosigkeit, Krankheit, Sucht und Unfall sind Gründe für Überschuldung

Neben prekärer Beschäftigung und Arbeitslosigkeit zählen Krankheit, Sucht, Unfall sowie Trennung oder Scheidung zu den wichtigsten Auslösern von Überschuldung. Das geht aus einer jährlichen Erhebung des Statistischen Bundesamts bei den Schuldnerberatungsstellen hervor.

Die Experten von Creditreform weisen allerdings darauf hin, dass eine andere Ursache seit Jahren an Bedeutung gewinnt: die „unwirtschaftliche Haushaltsführung“. Offenbar hätten „Kaufzurückhaltung und Ausgabenvorsicht vieler Verbraucher angesichts der boomenden Konjunktur, steigender Löhne und hoher Arbeitsplatzsicherheit gelitten“, kommentieren die Bonitätswächter. „Da spielt auch die Niedrigzinspolitik eine große Rolle“, sagte Michael Bretz von Creditreform unserer Zeitung.

Mit Sorge beobachtet Bretz auch die Entwicklung auf dem Immobilienmarkt. Noch erleichterten die niedrigen Zinsen Hauskäufern zwar die Finanzierung. Wenn nach Ablauf der Zinsbindung für ihren Immobilienkredit in zehn oder 15 Jahren höhere Zinsen griffen, könnte sich aber zeigen, dass sich einige Hauskäufer bei der Kalkulation verschätzt hätten.