Der Malteser Darko Selic (re.) holt Tobias Panek an der Körperbehindertenschule ab. Foto: Kern

Wolfgang Schuster macht die Schülerbeförderung zur Chefsache und fordert mehr Geld.

Stuttgart - Wolfgang Schuster macht die Schülerbeförderung zur Chefsache. In einem Brief an Ministerpräsident Stefan Mappus fordert Stuttgarts OB die Landesregierung auf, sich der Diskussion um die sinkende Qualität bei der Beförderung zu stellen. Es geht um die Frage, wie viel das Land bereit ist zu zahlen.

Seit Jahren geht bei der Schülerbeförderung alles seinen gewohnten Gang. Es herrscht Beförderungsroutine. Morgen für Morgen touren speziell gekennzeichnete Kleinbusse und Pkw durch die Stadt, mit denen in der Region Stuttgart rund 1600 Kinder mit Behinderung zu Hause abgeholt und zu städtischen und privaten Schulen in der Landeshauptstadt gebracht werden. Nachmittags dasselbe Prozedere in umgekehrter Richtung. Ein vertrautes Bild. Kaum jemand fiel auf, dass diese äußerliche Routine trog. Intern gibt es seit längerem massive Probleme bei der Beförderung behinderter Kinder, von denen zuständige Stellen wie das Schulverwaltungsamt durchaus wussten. Die Rede ist nicht von einzelnen Mängeln - ein verschmutztes Auto hier, fehlende Winterreifen dort - , sondern von einem Fehler im System. Blickt man etwas tiefer, wird klar: Die Schülerbeförderung ist chronisch unterfinanziert. Darunter leiden Kinder, Eltern, Fahrer und nicht zuletzt die Schulen.

Einen ersten Hinweis auf Qualitätsmängel gaben die Klagen einer Mutter, Monika Panek, deren Sohn die Körperbehindertenschule in Vaihingen besucht. Vor einigen Wochen machte sie unsere Zeitung darauf aufmerksam, dass der Malteser-Hilfsdienst die Radios aus seinen Fahrzeugen ausbauen ließ, um GEZ-Gebühren zu sparen. Eine kleine Beobachtung, der viele weitere Beobachtungen folgten, die schließlich in eine breite Qualitätsdiskussion mündeten. Es stellte sich heraus, dass bei der Beförderung vielfach gegeizt wird - an der Fahrzeugausstattung ebenso wie bei der Bezahlung von Mitarbeitern. Um bei Ausschreibungen konkurrenzfähige Angebote abgeben zu können, enthielt etwa das Rote Kreuz Minijobbern gesetzliche Leistungen vor - bezahlten Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Jüngstes Beispiel für rüdes Kostendrücken ist die Praxis des DRK-Verbandes Rems-Murr, der mit Billigung der DRK-Landestarifgemeinschaft geringfügig beschäftigte Fahrer als Ehrenamtliche führt.

Eine Antwort von Mappus steht aus

Bis vor einigen Jahren teilten sich Hilfsorganisationen das Beförderungsgeschäft; seit die Touren europaweit ausgeschrieben werden - aktuell stehen in Stuttgart 122 Touren zur Vergabe an -, streiten sie sich darum. Auch das krisengeschüttelte Taxigewerbe versucht, seinen Teil des mager bestreuten Kuchens abzubekommen. Viel zu verdienen gibt es nicht. Die Kostenerstattung durch die Stadt bemisst sich nach gefahrenen Kilometern, nicht nach dem teils hohen zeitlichen Aufwand - eine Reaktion auf Mittelkürzungen durch das Land. In den achtziger Jahren ging die Zuständigkeit auf die Kommunen über. Seit 1997 stagnieren die jährlichen Ausgleichsmittel bei 6,3 Millionen Euro, obwohl die Zahl der beförderten Kinder steigt. Stuttgart zahlt pro Jahr drei Millionen Euro drauf.

Mit welch harten Bandagen die Anbieter um das wenige Geld ringen, zeigten die Reaktionen auf unsere Veröffentlichungen. Nachdem wir über Mängel beim Malteser- Hilfsdienst berichtet hatten, schimpfte der Stuttgarter Taxiverband, Hilfsorganisationen ließen jedermann ans Steuer. Aus Sicherheitsgründen müsse man auf einen Personenbeförderungsschein bestehen. Bei weiteren Recherchen stellte sich heraus, dass Taxiunternehmen Familienmitglieder für Schülertouren einsetzen, die selbst keinen P-Schein besitzen.

Inzwischen hat die Qualitätsdebatte den Gemeinderat und die Rathausspitze erreicht. SPD und Grüne setzten die Schülerbeförderung auf die Tagesordnung; Verwaltungsausschuss und Schulbeirat werden demnächst darüber beraten. "Wir haben viel zu lange nicht hingeschaut", sagt die SPD-Stadträtin Marita Gröger selbstkritisch. Umso intensiver wird das Thema jetzt bearbeitet. Das zeigt auch ein Schreiben von Oberbürgermeister Wolfgang Schuster an Ministerpräsident Stefan Mappus von Mitte Mai. Darin fordert Schuster die Landesregierung auf, sich grundlegend mit der Schülerbeförderung zu beschäftigen - auch mit Blick auf veränderte Schülerströme durch die Einführung der Werkrealschule. "Aufgrund öffentlicher Diskussionen in der Landeshauptstadt sehe ich bei den Sondertransporten für behinderte Kinder ein weiteres Feld, das mit seinen möglichen finanziellen Auswirkungen dringend berücksichtigt werden muss", schreibt der OB. Die Schulen forderten umfängliche Leistungsverbesserungen - etwa die Begrenzung der Fahrzeit auf maximal eine Stunde pro Strecke. Bisher sind Fahrzeiten von eineinhalb Stunden keine Seltenheit. Im Interesse der behinderten Kinder seien viele der Forderungen sehr wohl nachvollziehbar, betont Schuster. Die jährlichen Mehrkosten beziffert er auf 1 bis 1,5 Millionen Euro. Geld, das die Landesregierung bereitstellen soll.

Wie geht es weiter? Eine Antwort von Mappus steht aus. Am heutigen Donnerstag tagt der Sozialausschuss des Landtags. Dort will die SPD bessere Qualitätsstandards durchsetzen. Auf Anfrage der SPD-Landtagsfraktion hatte das Sozialministerium jüngst erklärt, dies sei allein Sache der Stadt- und Landkreise. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Beim Thema Schülerbeförderung ist Bewegung drin.