Das Hochzeitsfoto vor dem Standesamt in Stuttgart-Möhringen entstand wenige Wochen nach Sophie Ohnmachts Diagnose. Unter ihrem Kleid versteckt sich ihr älterer Sohn. Foto: privat

Im vergangenen Sommer – kurz nach der Geburt ihres zweiten Sohnes – bekommt Sophie Ohnmacht die Diagnose ALS. Die Krankheit führt binnen weniger Jahre zum Tod. Doch die junge Frau kämpft.

Es ist so verdammt schnell gegangen. Im Januar 2023 bringt Sophie Ohnmacht ihren zweiten Sohn zur Welt. Alles ist perfekt. Zusammen mit ihrem Partner, den sie einst bei einer Veranstaltung der Uni Stuttgart für Erstsemestler kennengelernt hat, lebt sie in der kleinen Dachgeschosswohnung in Möhringen. Das Paar hat viele Freunde, ist bestens vernetzt, der große Sohn geht gerne in seine Kita.

Aber die Zeit des vollkommenen Glücks hält nicht an. Nur wenige Wochen später merkt Sophie Ohnmacht, dass sie ihre rechte Hand nicht mehr richtig bewegen kann. Es fällt ihr schwer, eine Tür aufzuschließen oder mit einer Schere umzugehen. „Ich bin von irgendwelchen Verspannungen ausgegangen“, erinnert sich Sophie Ohnmacht. Doch die Einschränkungen bleiben, schließlich geht sie zum Hausarzt, der sie an einen Neurologen überweist. Der tippt auf eine Entzündung oder einen eingeklemmten Nerv.

Im Internet findet sie erste Informationen über ALS

Irgendwann im Mai googelt sie dann. „Eine ganz blöde Idee“, sagt Sophie Ohnmacht und lacht ein wenig. Sie stößt auf die Krankheit ALS. Die Abkürzung steht für Amyotrophe Lateralsklerose. Bei der Krankheit bilden sich die motorischen Nervenzellen zurück. Eine Lähmung der Muskeln und schließlich eine völlige Bewegungsunfähigkeit sind die Folgen. ALS ist nicht heilbar, die Betroffenen sterben meist nur wenige Jahre nach der Diagnose.

In diesem Moment bekommt die junge Frau Angst. Sie ist gerade einmal Mitte 30. Sie spricht die Krankheit bei ihrem Arzt an, der vermittelt ihr Experten. Am vierten Geburtstag ihres älteren Sohnes bekommt sie einen Krampf im Bein. „Nicht schlimm, aber er war da“, meint sie. Daraufhin wird sie im Krankenhaus durchgecheckt. Eine Nervenwasseruntersuchung bringt schließlich die traurige Gewissheit: Sie hat ALS. Der Chefarzt des Katharinenhospitals sagt es ihr am Telefon. Ein Schock.

Einschränkungen hat Sophie Ohnmacht zu diesem Zeitpunkt nur in der rechten Hand. „Ich habe schnell auf links umgelernt: essen, anziehen, das Baby wickeln“, sagt die junge Frau. Doch ihr Zustand verschlechtert sich rapide. Mittlerweile kann sie sich so gut wie nicht mehr bewegen und nicht mehr allein essen. Während sie ihre Geschichte erzählt, sitzt sie in einem blauen Sessel, die Füße nach oben gelegt. Der rechte Arm ruht auf einem lilafarbenen Kissen. Mit den Fingern der linken Hand übt sie bei der Begrüßung noch ganz leichten Druck auf die Hand der Besucherin aus. Wenn sie gehalten und unterstützt wird, kann sie ein paar wenige Schritte laufen. Das Sprechen und Schlucken bereitet noch keine Probleme. Doch hinter ihr steht ein Apparat, der ihr das Abhusten erleichtern soll. Damit sich kein Schleim in der Lunge sammelt, sie selbst kann nicht mehr genug Kraft dafür aufbringen.

In manchen Momenten kommen ihr die Tränen

Sophie Ohnmacht wirkt gefasst, während sie von ihrer Krankheit berichtet. Doch in manchen Momenten kommen ihr die Tränen. Es sind nur ein paar wenige. Ihr Mann, der die ganze Zeit neben ihr sitzt, tupft sie vorsichtig ab.

Wenige Wochen nach der Diagnose heiraten die beiden. Bis dahin hatten sie das immer wieder verschoben. Doch wenn die Lebenszeit von einem Tag auf den anderen knapp wird, muss man die Prioritäten anders setzen. „Eigentlich wollten wir nur eine ganz kleine Feier machen“, erinnert sich Sophie Ohnmacht. Doch dann organisiert die Freundin ein rauschendes Fest mit 80 Gästen. Ihr Kleid sucht sich Sophie Ohnmacht einen Tag vor der Hochzeit aus, als sie mit ihrer Familie aus Mallorca zurückkommt. Den Urlaub haben sie sich noch gegönnt, ebenso wie die Flitterwochen im Allgäu. Ihren Traum, einmal nach Südafrika zu reisen, wird sie sich aber nicht mehr erfüllen können.

Sophie Ohnmacht kann die Dachgeschosswohnung nur noch verlassen, wenn ihr Mann sie in den Rollstuhl hievt, der dann mit einer Treppenraupe nach unten gebracht werden muss. Der bereits beantragte Elektrorollstuhl wird dafür aber definitiv zu schwer sein. Darum ist die Familie auf der Suche nach einer barrierearmen Wohnung im Erdgeschoss in Möhringen-Ost. „Wir fühlen uns sehr wohl hier und wollen unsere Kinder in dieser schweren Situation nicht aus ihrer gewohnten Umgebung reißen“, erklärt Sophie Ohnmacht. Der Kleine ist mittlerweile 14 Monate alt, er kennt seine Mutter nur mit der Krankheit. Der Große wird bald fünf. Er reagiert unterschiedlich. „Es beschäftigt ihn, oft will er helfen, doch manchmal scheint er die Situation auch kaum wahrzunehmen“, sagt Sophie Ohnmacht. Ihre Söhne geben ihr Kraft: „Wenn man zwei kleine Kinder hat, kommt man nicht auf den Gedanken, aufzugeben“, sagt sie und ergänzt: „Wir wollen das Beste aus der Situation zu machen.“ Denn alles geht so verdammt schnell.

Seltene Erkrankung

Krankheit
ALS ist eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems, die zu Muskelschwäche und in der Regel binnen zwei bis fünf Jahren zum Tod führt. Die Betroffenen sterben meist an Ateminsuffizienz. In Deutschland leben 6000 bis 8000 Menschen mit ALS. Die Erkrankung wird jährlich bei etwa 2000 Patientinnen und Patienten neu diagnostiziert. Die meisten von ihnen sind zwischen 50 und 70 Jahre alt.

Wohnungssuche
Die Familie Ohnmacht ist auf der Suche nach einer barrierearmen Wohnung in Möhringen-Ost. Wer helfen möchte, meldet sich per E-Mail an SophieOhnmacht@gmx.de.