„Es gibt kein Milieu mehr“, beklagt „Oskar“ Müller. der Chef der Uhu-Bar im Leonhardsviertel, „das Gerede davon ist nur noch Nostalgie.“ Foto: Andreas Engelhard

Kaum eine Spirituose hat so ein schlechtes Image wie der Korn. Dennoch sagen Barchefs ein Revival des Schnapses voraus – sogar als Wodka-Alternative für Cocktails. In der Uhu-Bar wurde ein womöglich neues Szenegetränk gefeiert.

Stuttgart - „Woanders is auch Scheiße“, steht auf einem Bild, das – keiner weiß, wie lange schon – an der roten Wand der Uhu-Bar im Leonhardsviertel hängt. Peter Müller, zu dem alle Oskar sagen, ist der Chef der kleinen Raucherkneipe im Erdgeschoss eines Laufhauses. In aller Regel hockt Oskar bis morgens um 4 Uhr auf seinem roten Lieblingssofa ganz rechts. Sein Stammplatz befindet sich direkt neben dem Bareingang.

In diesem Haus mischen sich Welten. Unterm Puff feiert die Party-Szene, in dieser Nacht die Weltpremiere des Südkorn. Der Wirt Christian List (Roter Hirsch, Heuss am Killesberg, VfB-Restaurant 1893) und der Marketingfachmann Dirk Pohl bringen einen in Fellbach gebrannten, zweifach destillierten Premium-Weizenkornbrand mit Getreide aus dem wilden Süden heraus.

„Es gibt kein Milieu mehr“, sagt der Chef der Uhu-Bar

„Fruchtig“ und „brotig“ sei er, ist zu hören, mild genug, um als Mixgetränk seine Dienste zu tun. Oskar rührt nichts davon an. Der Rotlicht-Veteran trinkt zum Bier allenfalls mal Wodka. Seine Bar ist ein öffentliches Wohnzimmer mit den Fotos eines bewegten Lebens an den Wänden.

Was um ihm herum in der Altstadt geschieht, gefällt dem gebürtigen Leipziger nicht. „Es gibt kein Milieu mehr“, schimpft er, „das Gerede davon ist nur noch Nostalgie.“ Im Leonhardsviertel breite sich der Drogenhandel immer stärker aus, und die Ordnungsmacht lasse sich viel zu selten blicken, „Wenn die Polizei kommt, pfeift einer“, sagt er, „und alle Dealer sind weg.“

Ein Experte von Doppelmoral

Unentwegt trampelt es auf der Treppe an Oskar vorbei. Es ist 23 Uhr, und es geht zu wie im Taubenschlag. Wer die Kurve zu ihm nicht kriegt, landet oben bei den „girls, girls, girls“. Nicht jeden lässt Oskar, der bereits in Frankfurt und Hamburg eine Altstadt-Größe war, in seine Uhu-Bar rein. Zu den vielen jungen Freiern, die an ihm vorbei nach oben laufen, sagt er: „Als wir jung waren, hat keiner bezahlt - die Mädels kamen zu uns von allein.“ Auch wenn Hochbetrieb herrscht, bedeute dies nicht, dass die Damen oben reich werden. „Viele Jungs kommen nur zum Gucken“, weiß Oskar. Nachmittags kämen die „Bürohengste“. Das seien „meist die, die Prostitution öffentlich ablehnen“. Müller, einer der Letzten seines Fachs, ist Experte von Doppelmoral.

Den Wirt kennen viele in der Stadt. Er ist beliebt bei Künstlern, Kreativen und Promis. Seinen 100. Geburtstag, sagt er, werde er in der Schleyerhalle feiern. Wasenwirt Hans-Peter Grandl habe den Termin schon für ihn fest gebucht. Aber es dauert noch 19 Jahre. Erst einmal wird Oskar 81 Jahre alt.

„Korn hat das Zeug zum Szenegetränk“

Zunächst soll der einstige Pennerschnaps zum Hypegetränk nach der Ginwelle werden. „Uns reizt es, ein Produkt am Markt neu zu positionieren, das sich aus Imagegründen bei anspruchsvollen Bar-Mixgetränken zunächst eher schwertut“, sagt Südkorn-Chef Dirk Pohl.

Was sagen die Barchefs der Stadt? „ Korn hat auf jeden Fall das Zeug zum Szenegetränk“, ist Steffen Witz von der Fou Fou Bar sicher, „dabei kommt es darauf an, ob sich genügend Influencer begeistern lassen.“

Eric Bergmann von der Bar Jigger & Spoon sagt: „Mittlerweile gibt es vor allem im Norden großartige Kornhersteller, die auf hoher Qualität brennen.“ In Süddeutschland müsse allerdings „noch Missionierungsarbeit“ geleistet werden.

Oliver Joos von der California Bounge erinnert an das Revival des Wulle-Biers vor einigen Jahren. „Die Jungen freuten sich über ein neues Produkt, und die Älteren wurden sentimental“, sagt er. Jetzt freut er sich auf die Bestellung „Zwei Korn und zwei Wulle“, gern auch als Herrengedeck.

„Immer wenn ich traurig bin, trink ich einen Korn“

„Im Norden wird der Wodka längst an den Bars durch Korn ersetzt“,weiß Domenico Trapasso von der Spielbank-Bar The New Grace. Mit feinsten regionalen Zutaten werde der Kornbrand nun auch im Süden „servierfähig in noblen Kreisen“.

Wie sang Heinz Erhardt einst? „Immer wenn ich traurig bin, trink ich einen Korn.“ Er tat’s immer wieder von vorn. Traurig sind die neuen Korn-Jünger nicht, auch der Oskar nicht, selbst wenn er vieles in seinem Viertel nicht mehr versteht oder gar nicht verstehen will.

„Woanders is auch Scheiße“, ist in seiner Bar zu lesen. Also bleibt Oskar beim Uhu. Nur einmal geht’s fort – zu seinem 100. Geburtstag in die Schleyerhalle.