Die Aufräumarbeiten gehen weiter: Geröllreste einer Schlammlawine, die am Samstag von einem Wasserrohrbruch in Kaltental ausgelöst wurde. Foto: Leif Piechowski

Nach dem Rohrbruch in Kaltental denkt Bürgermeister Föll an einen „Risikoabschlag“ beim Rückkauf von der EnBW. Stadt bietet 150 Millionen Euro für das Leitungsnetz, EnBW fordert 750 Millionen.

Stuttgart - Kleiner Riss, große Folgen. Mindestens eine Million Euro Schaden haben am Samstag in Kaltental ein Rohrbruch und dessen Auswirkungen angerichtet. 3000 Kubikmeter ausströmendes Wasser lösten eine Schlamm- und Gerölllawine aus, die über die Böblinger Straße ins Tal Richtung Heslach mäanderte.

 

So weit die Aufarbeitung des Unglücks. Doch nun, drei Tage nach den Ereignissen von Kaltental, bekommt die Sache eine politische Dimension. Es geht um weit mehr als die Schadenssumme, die nun der Versicherer des Energiekonzerns an die Betroffenen in Kaltental zahlen muss. Es geht um den Wert des Stuttgarter Wassernetzes.

Diese Frage stellt sich eigentlich schon, seitdem der Gemeinderat grundsätzlich beschlossen hat, das Wassernetz von der Energie Baden-Württemberg (EnBW) zurückzukaufen. 53 von 59 Stadträten beschlossen im Jahr 2010, dass die Kommune das 2002 über einen Aktienverkauf an die EnBW gegangene Wasserleitungsnetz spätestens von 2014 an wieder selbst betreibt.

EnBW: „Unsere Experten sagen, dass diese Häufigkeit noch im statistischen Mittelwert liegt“

Doch nun stellt sich die Preisfrage neu. Denn die Vorstellungen zwischen der Stadt und des Energieriesen liegen weit auseinander. Die EnBW taxiert den Preis nach dem Sachzeitwert und verlangt 750 Millionen Euro. Die Stadt kalkuliert dagegen nach dem Ertragswert. Mehr als 150 Millionen Euro will Bürgermeister Michael Föll nicht ausgeben. Wenn überhaupt. Denn der Erdrutsch in Kaltental hat ihn ins Grübeln gebracht. Dahinter steckt die Frage: Ist das Stuttgarter Wassernetz besonders störanfällig, weil es alt und marode ist? „Die Vorgänge in Kaltental haben meine Sorgen wachsen lassen“, so Föll. Bedenken hatte er schon vorher. „Wegen den letzten Vorfällen“, wie er sagt. Gemeint ist eine Serie von Wasserrohrbrüchen im Jahr 2012. Zuletzt platzte in Stuttgart monatlich ein Rohr. Teilweise mit gravierenden Auswirkungen auf den Verkehr oder die Gebäudesubstanz – wie das Beispiel des Rohrbruchs in der Wilhelmstraße (März 2012) zeigt, als 2,5 Millionen Liter Wasser austraten und Teile des Jugendamts fluteten. Der Schaden wurde damals auf 530.000 Euro beziffert.

Laut EnBW-Sprecherin Gabriele Fanta sei dies alles kein Hinweis auf eine erhöhte Störanfälligkeit des Wassernetzes: „Unsere Experten sagen, dass diese Häufigkeit noch im statistischen Mittelwert liegt.“ Weiter ließ die EnBW wissen: Seit der Übernahme der Stuttgarter Wasserversorgung im Jahr 2003 habe man jährlich etwa 20 Millionen Euro für die Instandhaltung investiert. Zudem seien seither 50 Millionen Euro in den Neubau von Leitungen und Anlagen investiert worden. Daher kämen auf einen Kilometer Wasserleitung statistisch nur 0,04 Schadenfälle.

Dennoch weiß bei der Stadt keiner ganz genau, wie gut das Netz tatsächlich ist. Auch der Leiter des Tiefbauamts, Wolfgang Schanz, muss in dieser Hinsicht den Darstellungen der EnBW mehr oder weniger blind vertrauen. „In unserem Kanalnetz kenne ich jeden Meter genau“, sagt er, „aber das Wassernetz kennt nur der Betreiber perfekt. Wir haben keine Unterlagen, die dies protokollieren.“ Weiter sagt er: „Ich lege viel Wert darauf, dass wir Bescheid wissen, auf was wir uns in Zukunft einlassen. Ich erwarte detaillierte Unterlagen vom Betreiber.“

Bislang sind die Fronten verhärtet

Unabhängig davon untersuchen derzeit von der Stadt beauftragte Gutachter das Netz. Auch ein Bericht der Gemeindeprüfungsanstalt soll am Ende des Monats fertig sein. „Allerdings läuft die Prüfung der Gutachter nur auf Basis von betriebswirtschaftlichen Strukturdaten ab“, sagt Föll, „aber wenn wir uns über einen Verkauf einigen sollten, wollen wir natürlich genau wissen, in welchem Zustand das Wassernetz ist.“

Mit der Einigung ist das so eine Sache. Denn bislang sind die Fronten verhärtet. Föll hofft daher auf eine positive rechtliche Klärung in diesem Fall. „Es geht erstens um die Beurteilung des allgemeinen Herausgabeanspruchs der Stadt und den Umfang dieses Anspruchs“, erklärt Föll zu einem geplanten Rechtsgutachten, „zweitens um die Art der Bewertung.“

Föll blickt einer „juristischen Auseinandersetzung optimistisch entgegen“

Im konkreten Fall heißt das: Ist das Wassernetz 750  Millionen oder nur 150 Millionen wert? Gilt der Sachzeitwert, den die EnBW ansetzt, oder der Ertragswert? Bisher entschieden Gerichte gegen den Preisansatz der Energiekonzerne. Auch wenn ein höchstrichterliches Urteil noch aussteht. Dennoch blickt Föll einer „juristischen Auseinandersetzung optimistisch entgegen“.

Allerdings schließt er eine Einigung am Verhandlungstisch nicht aus. „Wir müssen so etwas nicht zu Ende führen“, sagt er, „es muss keinen jahrelangen Rechtsstreit geben.“ In der EnBW-Konzernzentrale wollte man weder etwas über die Zahlen noch zu anderen Fakten des Wassernetz-Rückkaufs sagen. „Wir kommentieren Gespräche und Verhandlungen grundsätzlich nicht“, sagt Sprecherin Gabriele Fanta.

Damit gibt es auch keine Reaktion des Energieriesen auf den neusten Vorstoß von Michael Föll im Preispoker um das Wassernetz: „Angesichts der letzten Vorfälle müsste man sich jetzt über einen Risikoabschlag beim Preis unterhalten.“