Das ist mal ein schöner Dienst an der Allgemeinheit: Die Stadt Stuttgart lädt zum Tischgespräch. Alte und Junge, Arme und Reiche, Schwaben und Flüchtlinge sollen miteinander essen. Und dabei über ihr Leben reden, was ihnen an Stuttgart gefällt, was sie nervt und was sich ändern sollte.
Stuttgart - Der dicke Mönch liebte das Essen. Und das Reden. Für ihn gehörte beides zusammen. Martin Luther versammelte Familie, Freunde, Theologen und Studenten an seiner Tafel, man aß und trank gemeinsam, plauderte und räsonierte über Gott und die Welt. Am meisten redete natürlich das Alphatier am Tisch. Weil einige Bewunderer mitschrieben, sind uns seine Tischreden erhalten geblieben – und so manches Bonmot wie „Gleich und gleich gesellt sich gern“ oder „Für die Toten Wein, für die Lebenden Wasser: Das ist eine Vorschrift für Fische“.
Auch Plutarch hat über Tischreden nachgedacht und festgestellt: Wein würde vorzüglich „der Zunge ihren Zaum abnehmen und uns völlige Freiheit der Rede verschaffen“. Also, Macher von Salz & Suppe bringt Wein auf den Tisch oder doch zumindest Trollinger. Damit die Tischgenossen frei von der Leber weg reden.
Denn das ist das Ziel dieses Projekts, das als eines von 16 ausgewählten Konzepten unterstützt wird von der Nationalen Stadtentwicklungspolitik, einer Initiative von Bund, Ländern und Kommunen, die das Zusammenleben in den Städten erforschen und verbessern will. Ausgedacht haben sich Salz & Suppe Ulrich Dilger und Birgit Kastner vom Stadtplanungsamt. Sie beschäftigen sich mit sozialer Stadtplanung, also damit, wie eine Stadt sein soll, damit die Menschen sich wohlfühlen, wie man öffentliche Räume gestaltet, dass sich Menschen dort treffen. Sie werden auch gefragt, wenn es darum geht, wo man eine Kita oder ein Flüchtlingsheim bauen könne.
Wie bekommt man die sozial gemischte Stadt hin?
„Letztlich geht es darum, dass man eine sozial gemischte Stadt hinbekommt“, sagt Kastner, „wo die Menschen sich treffen und begegnen können.“ Also keine Banlieues, Vorstädte voller Migranten wie in Frankreich, entstehen lassen, die Menschen sollen nicht in Ghettos leben – weder für Arme noch für Reiche. So lautet das Ideal. Doch natürlich finden sich Menschen gleicher Bildung und gleicher Herkunft zusammen. „Wenn wir Menschen ansprechen, sprechen wir meist bestimmte Gruppen an“, sagt Kastner, „also Frauen, Eltern, Jugendliche, Behinderte, Migranten, Flüchtlinge.“ Aber man tue sich schwer, die Interessen zusammenzubringen oder überhaupt einen Dialog in Gang zu bringen.
Das wollen sie mit Salz & Suppe erreichen. „Das ist ein Experiment“, sagt Birgit Kastner, „wir wollen 54 verschiedene Menschen zusammenbringen und möchten, dass sie ihre Wahrnehmung der Stadt schildern, ihre Probleme und Wünsche.“ Und zwar von möglichst unterschiedlichen Menschen. Denn es sind vor allem die gut ausgebildeten und besser verdienenden Bürger, die sich beteiligen und einbringen in die Geschicke der Stadt. Die anderen stehen vor dem Tafelladen, sitzen an der Kasse und sind beschäftigt, über die Runden zu kommen. Doch wie bringt man Leute zusammen, die sich fast nie begegnen? Und sorgt dafür, dass sie sich wohlfühlen und miteinander reden?
Beim Essen schwätzt es sich am besten
Nun, wie schon Martin Luther wusste, schwätzt es sich am besten beim Essen. Also sollen sich die Diskutanten beim Kochen treffen und reden. Moderatoren sollen dafür sorgen, dass es dabei nicht nur um die Qualität des Weins und der Spätzle geht, sondern auch um teure Mieten, fehlende Wohnungen, Zuwanderung und ihre Vorzüge und Nachteile und natürlich die eigenen Erfahrungen und Erlebnisse in der Stadt.
Die unterscheiden sich natürlich, je nachdem wo ich wohne, ob ich Kinder habe oder keine, ob ich alt bin oder jung, wie viel Geld ich habe, wie ich mich bewege oder wie eingeschränkt ich bin. Dilger: „Wir brauchen eine gute Mischung, wenn unser Ansatz funktionieren soll.“ Bewerben kann sich jeder Stuttgarter. Die 54 Erwählten treffen sich am 12. Mai im Treffpunkt Rotebühlplatz zur Auftaktveranstaltung. Dann werden sie in neun Gruppen aufgeteilt, je nach Wohnort. „Wir haben versucht, die Stadt so aufzuteilen, dass an einen Tisch nicht nur die Halbhöhe sitzt und am anderen die Innenstadt.“
80 Prozent der Bewerber sind Frauen
Im Juni werden sich die einzelnen Tafelrunden dann erstmals zum Kochen und Plaudern in den jeweiligen Stadtteilzentren oder Bürgerhäusern treffen. Dann machen sie auch aus, bei wem sie sich an den nächsten drei Terminen treffen. Nicht jeder muss also einladen. Dilger: „Es kann gut sein, dass einer sagt, meine Wohnung ist zu klein, oder sich schlichtweg seiner Armut schämt.“ Die Hemmschwelle soll niedrig sein, deshalb werden die Lebensmittel bezahlt. Die Gespräche werden notiert, die Ergebnisse und Erkenntnisse in einem Buch beschrieben und 2017 im Gemeinderat diskutiert. Sie sollen als Grundlage für die Arbeit der Stadtplaner dienen.
150 Bewerber haben sie bisher, 80 Prozent sind Frauen. „Die kochen und reden offenbar lieber als Männer“, sagt Dilger. Herren werden also gebraucht. Wer mitmachen möchte, kann sich unter www.salz-suppe.de bewerben. Das Team wird dann die 54 Tischredner auswählen, die ganz nach den Worten Martin Luthers ans Werk gehen dürfen: „ Iss, was gar ist, trink, was klar ist, red, was wahr ist.“