Humorvoll und jung sind die meisten Menschen, die in Russland derzeit auf die Straße gehen. Foto: dpa

Zum ersten Mal seit Jahren ist in Russland wieder etwas von der Opposition zu sehen. Viele junge Russen gehen auf die Straße. Im Westen werden die Gegner Putins oft überschätzt. Doch dieses Mal könnte dem Präsidenten Gefahr drohen, kommentiert Christian Gottschalk.

Moskau - Ein Aufenthalt im Gefängnis muss für die eigene Karriere nicht hinderlich sein. Das gilt zumindest dann, wenn man sich als Revolutionär versucht. Fidel Castro ist 1953 zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, keine sechs Jahre später fegte er seinen Peiniger Batista aus Kuba hinweg. Die 15 Tage Haft, die der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny nun angetreten hat, muten da vergleichsweise harmlos an. Was aber danach folgen wird, ist ebenso spannend wie unklar.

Alexej Nawalny möchte gerne russischer Präsident werden. Nur hat Wladimir Putin bisher nicht zu erkennen gegeben, dass er gewillt ist, dieses Amt aufzugeben. Ob Nawalny bei den Wahlen im nächsten Jahr antreten darf, ist ungewiss. Schon vor den Dumawahlen 2016 ist Vorbestraften das Recht entzogen worden, sich für die Wahl aufstellen zu lassen. Und neben der soeben verhängten Kurzzeitstrafe sind gegen Nawalny noch andere Gerichtsverfahren im Gange. Bei denen drohen längere Haftstrafen – trotz internationaler Kritik. Was bleibt, ist die Macht der Straße – diese ist aber völlig unvorhersehbar.

Viele von Putins ehemaligen Gegnern sind in der Versenkung verschwunden

Zwar hat Nawalny etwas geschafft, was in den vergangenen Jahren niemandem mehr so recht gelungen ist. Er hat viele Menschen dazu gebracht, ihrem Unmut öffentlich Ausdruck zu verleihen. Doch niemand weiß, ob das der Beginn einer wachsenden Bewegung ist. Im Westen trifft die Politik des russischen Präsidenten auf Ablehnung. Es gibt daher einen Hang, die Gegner Putins auf einen Schild zu heben und zu überhöhen. Auch dem Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow und noch mehr dem ehemaligen Yukos-Chef Michail Chodorkowski wurde zeitweise zugetraut, dem Mann im Kreml gefährlich zu werden. Beide sind von der Bildfläche weitgehend verschwunden. Der Kremlgegner Boris Nemzow wurde ermordet. Die Macht von Wladimir Putin ist noch stabiler geworden.

Und noch etwas dient zur Einordnung: Verglichen mit den Aufmärschen gegen Donald Trump war die Zahl der russischen Demonstranten bei den jüngsten Protesten verschwindend gering. Verglichen mit den Zustimmungsraten für den US-Präsidenten sind die Werte von Wladimir Putin überragend hoch. In den russischen Weiten hat Putin seine treuen Anhänger, und die sind nicht so leicht davon zu überzeugen, dass im fernen Moskau ein Wechsel an der Spitze notwendig ist. Einen Wechsel in Putins Strategie der harten Hand wird es auch nicht geben. Nach Tagen des Schweigens hat der Präsident nun das harte Durchgreifen gerechtfertigt und klargemacht, dass seine Gegner auch künftig nicht auf Milde hoffen dürfen. Sind die Proteste daher bloß ein Sturm im Wasserglas?

Nawalny hat ein populäres Thema aufgegriffen

Keineswegs. Das liegt zum einen an denen, die da auf die Straße gegangen sind. Viele junge Menschen waren das, viele von ihnen noch keine 18 Jahre alt. Wenn Umfragen die Beliebtheit Putins ermitteln, wird diese Gruppe gar nicht gefragt. Zumindest perspektivisch kann sich da eine Konstellation ergeben, die dem Mann im Kreml gefährlich werden könnte. Zum anderen hat Nawalny ein populäres Thema aufgegriffen, um gegen die Machthaber vorzugehen: den Kampf gegen die Korruption. Zwar glaubt kaum ein Russe, dass Premier Medwedew tatsächlich nur die ausgewiesenen 120 000 Euro Jahresgehalt kassiert. Der bombastische Luxus, den Nawalny dem Ministerpräsidenten zuordnet, ist dann aber doch einige Nummern zu groß.

Dass die von Nawalny gegründete Stiftung zur Korruptionsbekämpfung nicht nur die rechte Hand des Präsidenten überprüft, sondern auch Putin selbst, ist gewiss. Ob das aber reicht, um Nawalnys Prophezeiung „Eines Tages werden hier andere vor Gericht stehen“ wahr werden zu lassen, ist zweifelhaft. Das klingt schon sehr nach Fidel Castro. „La historia me absolvera“, hieß dessen Schlussplädoyer: Die Geschichte wird mich freisprechen.