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Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny hat der Opposition neues Leben eingehaucht. er behauptet, Russlands Premier Dimitri Medwedew sei zutiefst korrupt. Bilder von Videodrohnen sollen das belegen. Bei russischen Schülern kommt das an – und nicht nur dort.

Moskau - Kira Petrowna Gribanowskaja ist Schulrektorin – und eine ziemlich glühende Verfechterin der russischen Regierungspolitik. Viele ihrer Schüler scheinen die Ansichten der Rektorin nicht zu teilen. Die Diskussion, die Gribanowskaja mit einer Klasse führt, ist im Internet inzwischen millionenfach angehört worden, sie wurde von einem Schüler per Handy mitgeschnitten.

Es geht hitzig zu. Es geht um den Krieg in der Ukraine, um Opposition und um Patriotismus. Und es wird sehr schnell klar, dass hier Welten aufeinanderprallen. Eine junge Generation, die sich traut, das bestehende System und seine Vertreter zu kritisieren, trifft auf Menschen, die sich an ein Russland im Chaos erinnern und die augenblickliche Situation als wohltuend stabil begreifen. Das mit dem Grimme-Online-Award dekorierte Internetportal Dekoder.org hat die wortgewaltige Diskussion ins Deutsche übersetzt. Da sagt dann die Rektorin, dass sie große Defizite beim staatsbürgerlichen Bewusstsein des Nachwuchses sieht. Ein Schüler fragt keck zurück, ob denn nur Patriot sei, wer die Regierung unterstütze.

Die Polizei holt einen Schüler aus der Klasse ab

So wie im Oblast Brjansk, rund 400 Kilometer südwestlich von Moskau, wird im Russland dieser Tage an vielen Orten diskutiert. Anlass für das Streitgespräch in Brjansk war eine Aktion der Polizei. Die hatte den Schüler Maxim Lossew aus dem Klassenraum heraus abgeholt, um ihn zu befragen. Maxim hatte dazu aufgerufen, an einer Unterstützerdemonstration für den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny teilzunehmen. Für den Mann also, der gerade dabei ist, der russischen Opposition neues Leben einzuhauchen.

Bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr will Nawalny gegen Wladimir Putin antreten. Ob es tatsächlich dazu kommen wird, das kann heute niemand sagen. Der Amtsinhaber wird sich wehren. Im Februar hatte ein Gericht in Kirow Nawalny wegen Betruges zu fünf Jahren auf Bewährung verurteilt. Ein nahezu gleichlautendes Urteil aus dem Jahr 2013 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zuvor als unfair und politisch motiviert gerügt. Russland hatte angekündigt, die Rechtsprechung aus Straßburg nicht zu akzeptieren. Da bahnt sich ein gewaltiger Konflikt an, und das ist nicht der einzige. Je mehr Aufmerksamkeit Nawalny in Russland erfährt, desto stärker wird die Reaktion aus dem Kreml werden. Auch dort wird in diesen Tagen hitzig diskutiert.

Das Korruptionsvideo verbreitet sich rasend

Es hat zwar ein wenig gedauert, doch inzwischen ist Nawalny fast nicht mehr totzuschweigen. Seine Korruptionsrecherchen verbreiten sich schneller als Ministerpräsident Medwedew mit seinen neuen Turnschuhen laufen kann. Die Treter des Ex-Präsidenten sind von entscheidender Bedeutung, wenn es um die Vorwürfe geht, die Nawalny gegen Medwedew erhebt. Im Jahr 2014 hatten Hacker das Telefon Medwedews geknackt und die Bestellungen von grünen Turnschuhen und blauen Blümchenhemden nachgewiesen. Kleidungsstücke, die Medwedew kurz darauf bei Veranstaltungen in Sochi oder Vietnam trug. Das wäre weit entfernt von einem Skandal. Doch entscheidend ist die Adresse, an die sich Medwedew die Ware liefern ließ.

Baumwollhemd und Laufschuhe gingen an eine Firma, die ein ganzes Netz an Besitztümern und Unternehmen steuert. Laut Nawalny deuten Auszüge aus Firmenregistern darauf hin, dass Medwedew Immobilien im Gesamtwert von 1,1 Milliarden Euro besitze.

Versteckt als Eigentum von scheinbar gemeinnützigen Stiftungen, sollen diese Immobilien aus vermeintlichen Spenden einiger russischer Oligarchen finanziert worden sein. An der Spitze stehen Studienfreunde des Premiers, sagt Nawalny.

Juristische Prüfung ist kompliziert

Ob das stimmt, ist schwer zu sagen. Denis Primakow, Jurist von Transparency International Russland, sagt gegenüber der Berliner „Tageszeitung“, dass es nicht belegbar sei, dass die Immobilien tatsächlich Medwedjew gehörten. Die Korrektheit der Angaben müsse genau geprüft werden. Sicher ist jedoch, dass die Bilder, die Nawalny ins Internet gestellt hat, niemandem im Kreml und seiner Nähe gefallen dürften. Mit Drohnen hat die von Nawalny gegründete Stiftung für Korruptionsbekämpfung zahlreiche Luxusliegenschaften überflogen, Weinberge und Jachten im In- und Ausland. Mehr als zwölf Millionen Mal ist das rund 50-minütige Video bereits im Internet angesehen worden. Über den Daumen gepeilt hat so jeder zehnte Russe nicht nur den Luxus gesehen, sondern auch die in das Video hineingeschnittenen Reden Medwedews, in denen er der Korruption den Kampf ansagt.