Der Wohn- und Arbeitsort an der Hasenbergsteige 65 von Otto Herbert Hajek (1927–2005) – ein einzigartiger Standort über der Stadt, das farbigste Haus Stuttgarts, Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Nach der Berichterstattung über das Hajek-Haus setzt sich Roland Ostertag in diesem Gastbeitrag für die Rettung des Anwesens ein – und fordert eine Lösung in einem größeren Zusammenhang.

Stuttgart - Beim Weg auf den Hasenberg wird der Spaziergänger überrascht von der Hasenbergsteige 65, dem Haus des Bildhauers O. H. Hajek. Er bleibt unwillkürlich vor dem farbigen Haus, dem ihm nicht bekannten, unangekündigten, fantastischen Anblick stehen. Es bietet sich ihm ein völlig unstuttgarterischer Ort, eine einmalige Atmosphäre, das Panorama des Hauses mit einem Skulpturenpark davor, ein Garten, erinnernd an das Paradies, an John Miltons Paradise Lost, eine Märchenlandschaft. Der Park geht bis zur Höhe, bis zur Ruine des im 19. Jahrhundert errichteten, 1944 demolierten Hasenbergturms, geht dann in den Hasenbergwald über. Im unteren Parkteil wetteifert die Vertikalität der hohen Bäume mit der Vertikalität der Metallskulpturen des Bildhauers Hajek. Durch seine Intimität entsteht ein öffentlich-halböffentlicher zwischen innen und außen vermittelnder, faszinierender Raum.

Wir sind auf einer der höchsten Höhen Stuttgarts, der Ruine des Hasenbergturms. Anlass, an mein Plädoyer seit Jahren zu erinnern, den unvollständigen Reigen von Stuttgart prägenden, unterschiedlichen Türmen, dem Kriegsberg-, dem Neuen Killesberg-, dem Bismarck-, dem Fernmelde-, dem Fernsehturm auf den Höhen um Stuttgart mit einem neuen Hasenbergturm zu schließen. Eine stimmungsvolle, poetische Melodie der Silhouetten würde entstehen.

Stuttgart war in den 20er-Jahren ein offener Ort

Das Hajek-Haus ist durch jahrelanges Nichtbewohnen, Nichtpflege und kulturbarbarische Zerstörungen in einem verheerendem Zustand: eingeschlagene Fenster, bröckelnde Fassaden, das Grundstück verkommen, der Garten Brache. Die Befürchtung besteht, dass der Besitzer das Haus weiter verkommen lässt, um es wegen Unzumutbarkeit abzureißen, um das Areal gewinnbringend maximal bebauen zu können. Das darf nicht geschehen. Dass das Anwesen Hajeks nicht durch Abriss zerstört wird, ist Anlass für einen Vorschlag, der das Problem in größerem Zusammenhang sieht und einer Lösung zuführt.

Stuttgart war einmal, vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in den 20er Jahren ein lebendiger, offener Ort. Viele national und international bekannte Persönlichkeiten, Wissenschaftler, Künstler und Architekten entschieden sich für Stuttgart als ihren Lebens-und Arbeitsort:

– Alfred Lörcher, Bildhauer, Wohnhaus Ameisenbergstraße 82

– Bernhard Pankok, Architekt und Maler, Wohnhaus Rosenfeld zerstört

– Hermann Finsterlin, Maler, Visionär, Träumer, Haus Rohreckstraße zerstört

– Adolf Hölzel, Maler, Wohn- und Arbeitshaus Degerloch, Ahornstraße 32

– Willi Baumeister, Maler, Wohnhaus und Bücherei Gerokstraße 39

– Ida Kerkovius, Malerin, Ateliers in Degerloch und auf dem Frauenkopf

Frei Otto, Architekt, Institut für leichte Flächentragwerke, Stuttgart

– Wilhelm Wagenfeld, Maler, Produkt-, Industriedesigner, Werkstatt in der Nähe des Bubenbads, Wohnort Breitlingstraße 35.

Die Orte dieser und anderer Künstler, ihre Häuser und Gärten bestehen häufig noch, sind jedoch meist vergessen, vernachlässigt, verkommen. Immer wieder taucht die Frage auf: Warum wurden in dieser Stadt nicht einmalige Persönlichkeiten wie die genannten in das kulturelle Leben, das Gedächtnis der Stadt eingebunden, ihre Spuren und Orte geschützt und gepflegt?

Nur an ein Museen zu denken, das ist zu kurz gegriffen

Ich bin der Überzeugung, noch ist es nicht zu spät. Die Debatte um das Hajek-Haus muss willkommener Anstoß sein, an Stuttgarts ruhmreiche Geschichte anzuknüpfen und sie fortzusetzen. Die Welt, die Gedanken, Ideen, die Vorgehensweise und Methoden der genannten und anderer Personen könnten beispielhaft Ausgangspunkt dieser Absicht sein. Ihre Revitalisierung, ihre Neuinterpretation könnte zu einem prägenden Thema der gesamten Stadt werden – durch den Erhalt und die Pflege ihrer Spuren und die Einbeziehung und Nutzung ihrer Arbeits- und Wohnorte.

Bei den Überlegungen nach Vorschlägen für die Nutzung von Orten dieser und anderer Personen wird immer nur das Museum an erster Stelle genannt. Ich bin der Meinung, das ist zu kurz gegriffen. Museum ist rückwärtsgewandt, museal. Im Jahr 2016 muss der Vorschlag die ganze Stadt betreffen, er muss ihr Image, ihr Bild, ihre Zukunft prägen, es muss eine neue Dimension der Stadt entstehen. Stuttgart und das schwäbische Geistesleben hatten im 19. Jahrhundert weltweiten Ruf: „Der Schiller und der Hegel, der Uhland und der Hauff, das ist bei uns die Regel, das fällt uns gar nicht auf.“ Der Ruhm auf dem Gebiet der bildenden Künste, der Musik und Architektur war sehr bescheiden. Erst durch die aufgeführten Personen wiesen die bildenden Künste zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine ziemliche Dichte auf. Stuttgart hatte in den 1920er Jahren wieder einen offenen, zukunftsorientierten Ruf. Es war ein Ort vieler national und international bekannter Künstler und Wissenschaftler, deren Wohn-und Arbeitsorte, deren Häuser und Hinterlassenschaften teilweise noch existieren. Doch sie werden laufend zerstört, anstatt sie zu sichern. Von Stuttgart, dieser ungeliebten Stadt, fast vergessen, nahmen diese Menschen Abschied. Solche Menschen sterben aus, unsere Stadt wird ärmer. Damit ging dieses positive Image der 20er Jahre bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel der Architekt Frei Otto, verloren.

Es müssten endlich ernsthaft Gespräch geführt werden

Es geht in erster Linie also darum, aus Stuttgart wieder einen lebendigen, offenen, attraktiven Ort zu machen, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Damit wieder interessante Künstler und Menschen in dieser Stadt leben und arbeiten wollen. Es geht nicht darum, die materielle und geistige Hinterlassenschaft der aufgeführten und anderer Personen passiv, nur museal aufzunehmen, sondern beispielhaft um deren Themen, Geist, Denken und Gedanken sich zu bemühen, neu zu interpretieren, daraus neue Ideen und Perspektiven zu entwickeln. Da gilt es noch viel zu entdecken.

Die Orte und Ideen gilt es zu revitalisieren und sicht- und erlebbar zu machen. Daraus könnten ein Netzwerk öffentlicher Orte der Begegnung, aktive, lebendige Treffpunkte entstehen, mit Angeboten von Gesprächen, Ausstellungen, Konzerten, musealen Aktivitäten, Orte und Refugien für Staffelei-, Bildhauer-, Werkstatt-, Literatur- und Schreibtisch-Stipendiaten, Der erste Schritt wäre, dass Hajeks Lebensort, sein Haus, sein Garten und sein Skulpturenpark derart genutzt werden, um damit die bestehende Grundsubstanz des Hauses und des Areals zu retten. Auch Orte anderer Personen, nicht nur von Künstlern, von beispielhaft anstoßerregenden, Stuttgart prägenden Personen müssten – in einem zweiten Schritt – aufgegriffen und einbezogen werden, um sie zu Orten öffentlicher Nutzung und Treffpunkten zu machen. Darüber müssten endlich ernsthafte Gespräche geführt werden. Es muss rasch gehandelt werden. Die Stadt, das Land und Private müssen dafür gewonnen, begeistert werden, müssten Wille und Geld aufbringen, die Voraussetzungen schaffen, dass die Anwesen erworben werden, um sie öffentlicher Nutzung zuführen zu können. Die reiche Stadt Stuttgart, eine der Städte mit den meisten Millionären in Deutschland, sollte zu einem Ort gemacht werden, in dem Orte und Häuser besonderer Personen und ihre Inhalte zu einem prägenden, unverwechselbaren Element der Zukunft, des Charakters der Stadt werden. Stuttgart würde eine neue Dimension bekommen. Völlig un-stuttgarterisch, unschwäbisch.