Bücher sind eine gute Vorbereitung für Weltenbummler. Zur Inspiration taugen nicht nur Reiseführer, sondern auch Romane. Über die Schauplätze der Literatur informiert eine spezielle Internetseite.

Es gibt zwei Arten von Reisenden: Die einen fahren am liebsten ohne jegliche Vorbereitung in die Welt, um alles ganz neu und erstmalig und gewissermaßen jungfräulich auf sich wirken zu lassen. Die anderen stimmen sich auf jede nur denkbare Weise ein: Mit Reiseführern und Multimedia-Vorträgen, auf Websites und bei Blogs, und nicht zuletzt durch Romane, Essays und Erzählungen. Für Letztere gibt es im Internet seit längerem eine reich bestückte Fundgrube. Die Homepage www.handlungsreisen.de zeigt, wo auf der Welt welche Bücher verortet sind. 6795 Werke von knapp 4000 Autoren sind inzwischen hier versammelt, sie spielen an fast 5000 Orten. (Wien schätzen eben diverse Literaten als Schauplatz, und auch über Venedig soll schon die eine oder andere Novelle geschrieben worden sein). Und es werden täglich mehr: Eine Leserin mit dem Pseudonym „Aliena“ etwa hat schon 490 Tipps beigetragen, „Herzogin“ hat es immerhin auf 444 gebracht.

Das Projekt gleicht einem Pullover, an dem Dutzende stricken und der von Tag zu Tag wächst, aber nie fertig wird. Wer also vorab wissen will, wie es in Sibirien so zugeht: Ein Klick - und 60 Vorschläge stehen da. Nicht nur, dass Boris Pasternak Doktor Schiwago in die Taiga geschickt und Valentin Rasputin dort seinen „Abschied von Matjora“ durchlitten hat. Auch James Meek entdeckte in der unwirtlichen Gegend „Die einsamen Schrecken der Liebe“, Andrej Makine fand „Die Liebe am Fluss Amur“, und Brigitte Reimann hat sich schon 1964 in „Das grüne Licht der Steppen“ verguckt. Eine erotisch also höchst aufgeladene Gegend, dieser Flecken zwischen Ural und Pazifik. Natürlich gibt es geografische Schwergewichte: Über London haben sich mehr als 500 Schriftsteller hergemacht, an Neufundland fanden nur sieben Gefallen.

„Laugenweckle zum Frühstück“

Berlin, New York und Paris wurden je über 400-mal zum literarischen Pflaster, während etwa Sankt Goar am Rhein nur in einem einzigen Roman eine Rolle spielt. Was soll’s. Trost spendet Arno Schmidt gleich nebenan im Blog: „Und was heißt schon New York? Großstadt ist Großstadt; ich war oft genug in Hannover.“ Stuttgart findet sich bei 56 Autoren wieder, von Fred Uhlmann über Peter Härtling, Martin Walser und Heinrich Steinfest bis zu Colin Forbes. In Stuttgart, „Wo die Löwen weinen“, sind noch „Die Zuckerbäckerin“, „Die Marketenderin“ und „Die Seidentochter“ unterwegs. Natürlich gibt es „Laugenweckle zum Frühstück“, es wird sich schon mal „Versehentlich verliebt“, und hin und wieder herrscht auch „Fast ein bisschen Frühling“.

Aber dann tritt regelmäßig „Das dunkle Schweigen“ ein, „Die blaue Liste“ kursiert - und es herrscht allgemeiner „Spätzleblues“. Immer wieder findet jetzt jemand den „Tod im Trollinger“, nachts ist „Der Killer von Albstadt“ unterwegs, und so mancher gute Schwabe wird „Kidnapped in Benztown“. Der eine glaubt sich von „Waiblingers Augen“ verfolgt, der andere fühlte den „Schatten des Schwans“ über sich - kein Wunder, dass es zum bitteren Ende stets zuverlässig zur „Vergeltung in Degerloch“ kommt. Der Großteil der Stuttgart-Bücher sind Krimis - das reizende Städtle muss Auswärtigen wie ein Kesselhaus des Bösen erscheinen. Baden-Württemberg übrigens bringt es auf 280 Nennungen. Rheinland-Pfalz auf 83 Bücher, Ludwigshafen ist viermal Handlungsort. Heilbronn dagegen kommt gerade mal bei Oliver Schilling und Sybille Lewitscharoff vor.

Wohin man auch fährt - dank dieser Website war man schon da. Darüber hinaus liefern die kurzen Interviews mit Schriftstellern noch so manch erstaunliche Einsicht zum Reisen an sich. Brigitte Kronauer etwa liebt die Berge, trotz gewisser, erwiesener Nachteile: „Sie sind das Gestalt gewordene Hohe, von dem man allerdings sehr leicht runterfallen kann.“ Fridrich Ani, der München so sehr liebt, sieht seinen Mitbürgern genau aufs Maul: „Die Menschen sprechen nicht - sie bellen.“ Christoph Peters schließlich hat es einfach nicht so mit stehendem Wasser: „Das Meer nervt mich ziemlich schnell. Blaues Wasser, das so vor- und zurückschwappt, hat etwas Stumpfsinniges - es erinnert irgendwie an hospitalisierte Zootiere.“ Jetzt, wo es einer mal sagt! Ungeheuer viel Material zum Stöbern findet sich also. Eine Gefahr besteht allerdings: Möglicherweise kommt man vor lauter Schmökern gar nicht mehr zum Reisen. Vielleicht wäre das nicht mal so schlimm, glaubt Ilija Trojanow: „Schauen Sie sich an, wie 99 Prozent der Touristen in Indien unterwegs sind und was sie dabei erleben - vom Lesen hätten sie mehr.“ Was wiederum Hermann Graf Keyserling nicht einfach so stehen lassen kann: „Der kürzeste Weg zu sich selbst führt um die Welt herum.“

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