Regionalpräsident Thomas Bopp (CDU) will rund um die S-Bahn einen öffentlichen Nahverkehr aus einem Guss aufbauen. Foto: Piechowski

Das Verkehrsministerium und die Region wollen die Weichen für die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs im Ballungsraum stellen. Die Landkreise signalisieren Kompromissbereitschaft, der Regionalpräsident aber ist skeptisch.

Das Verkehrsministerium und die Region wollen die Weichen für die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs im Ballungsraum stellen. Die Landkreise signalisieren Kompromissbereitschaft, der Regionalpräsident aber ist skeptisch.
Stuttgart - Herr Bopp, der Ludwigsburger Landrat Haas hat im Interview mit unserer Zeitung stellvertretend für seine Kollegen Kompromissbereitschaft im verfahrenen Streit um Zuständigkeiten im ÖPNV zugesagt. Was sagen Sie dazu?
Es hat mich gefreut, dass er auf ganzer Linie Kompromissbereitschaft angeboten hat. Das ist neu. In den bisherigen Verhandlungen gab es gar keine Kompromissbereitschaft, sondern Fundamentalopposition – auch gegen die Vorschläge des Ministers (Winfried Hermann, Anm. d. Red.).
Der Landrat wirft im Gegenteil Ihnen vor, unnachgiebig zu sein . . .
Das widerspricht hundertprozentig meiner Wahrnehmung. Wir wollen mehr ÖPNV in der Region, mit Zuständigkeiten nicht nach Verkehrsmitteln, sondern nach den Bedürfnissen der Bürger. Mit der S-Bahn als Rückgrat und darauf abgestimmten Buslinien, mit Bahnhöfen, an denen es alles gibt, von Park-and-ride- und Bike-and-ride-Plätzen über den Pedelec-Verleih bis zur Möglichkeit, sich über alles auf dem Smartphone zu informieren und auch gleich zu buchen. Das muss für die ganze Region Stuttgart organisiert und solidarisch finanziert werden. Das geht nur auf einer übergeordneten Ebene.
Haas meint, dass Sie die Finanzierung der Busverkehre nicht an die Landkreise zurückgeben wollen. Er hält es für einen Geburtsfehler, dass der Regionalverband die Fahrgeldeinnahmen des VVS bekommt und weitergibt . . .
Das wurde bewusst so geregelt. Die Region hat die Verbundfinanzierung, also die Gültigkeit eines Tickets in Bussen und Bahnen, erhalten, um ein Klein-klein zu verhindern. Während die Landkreise das Rad zurückdrehen wollen, denken wir ÖPNV als Gesamtsystem. Da gehören die Busverkehre als wichtige Anschlüsse an die S-Bahn natürlich dazu.
Warum?
Wir brauchen gemeinsame Ziele, eine gemeinsame Finanzierung, aber am Ende muss eben einer entscheiden. Schauen Sie sich das Paket der Verlängerung der S 2 nach Neuhausen, der U 6 vom Fasanenhof zur Landesmesse und der U 5 von Leinfelden zur Markomannenstraße an. Das ist verkehrlich sinnvoll, das wollen alle. Trotzdem hat es 15 Jahre gedauert, bis sich die vielen Beteiligten einig waren und das Projekt jetzt unterschriftsreif ist. Wir stehen unter Zeitdruck, weil es ab 2020 kein Geld vom Bund mehr gibt, und trotzdem gelingt es nur schwer, einen Unterschriftentermin hinzubekommen.
Landrat Haas bemängelt, bei den regionalen Express-Buslinien, die die S-Bahn entlasten sollen, habe er noch keine Vorschläge gesehen, die von regionaler Bedeutung sind.
Da geht es um Strecken wie von Kirchheim zum Flughafen und weiter nach Sindelfingen. Ganz allgemein um die Verbindung der größeren Städte. Wie das aussehen könnte, wird gerade untersucht. Es wäre sinnvoll, die Region könnte entscheiden, welche Linien regionale Bedeutung hat und wo ein Bedarf vorhanden ist, unabhängig von Kreisgrenzen.
Was wollen die Landräte?
Sie wollen, dass neue Linien keine Konkurrenz für bestehende sind. Wenn ich aber was verbessern will, muss ich was verändern dürfen. Das wiederum beeinflusst den Bestand. Das Land will die Regionalexpresslinien von außerhalb der Region ausbauen, etwa von Heilbronn nach Stuttgart. Natürlich ist das auch eine Konkurrenz zur S-Bahn. Trotzdem bin ich dafür, weil dann in der S-Bahn wieder Platz ist für neue Fahrgäste.
Die Landräte behaupten stets, dem Verband fehle die für Buslinien so wichtige Kenntnis um örtliche Besonderheiten.
Unsere Geschäftsstelle hat schon oft bewiesen, dass sie Ortskenntnisse hat. Unsere Regionalplaner kennen mittlerweile wohl jedes Gewerbegebiet in der Region. Die Region fördert Anschlussmobilität, etwa Pedelec-Stationen, sie gibt Geld für Landschaftspark-Projekte. Mit Verlaub, das funktioniert ohne solide Ortskenntnisse gar nicht. Ich kann Expressbusse aber eben nicht nur durch die örtliche Brille betrachten. Man muss das Gesamtkonzept im Blick haben. Übrigens, in der Regionalversammlung sitzen auch gewählte Volksvertreter aus allen Landkreisen mit Ortskenntnis.
Die Landräte vermuten, dass es dem einen oder anderen im Verband Region Stuttgart nur um die Macht geht. Wie sehen Sie das?
Umgekehrt. Beim Kompromissvorschlag des Ministers geht es um verkehrspolitische Ziele. Dann höre ich von Seiten der Landräte, wenn der Verband an der einen Stelle eine Zuständigkeit bekomme, müsse er bereit sein, an anderer Stelle etwas abzugeben. Das hat wirklich nichts mit Nahverkehr zu tun.
Wer erlässt nun eigentlich die von der EU geforderte Vorschrift zur Finanzierung der Busverkehre, die Ausgangspunkt des Streits war?
Nach unserer Auffassung wir, und weil Ende des Jahres die ersten Verträge mit Busunternehmen auslaufen, müssen wir auch tätig werden, wenn wir uns jetzt nicht mit den Landkreisen einig werden.
Die Landkreise wollen die Vorschrift trotzdem selbst erlassen. Der Bürger stellt sich etwas anderes unter effizienter Verwaltung vor, als zwei Vorschriften gleichen Inhalts.
Da höre ich mich nicht widersprechen.
Und wie wollen Sie das verhindern?
Ich denke, die Landkreise werden sich das noch mal überlegen. Ich setze auf die von Ihnen zitierte Bereitschaft der Landkreise zum Kompromiss.
Was wird nun aus dem öffentlichen Nahverkehr, Herr Bopp?
Die Dinge sind im Aufbruch. Die Vorschrift muss her, OB Kuhn will 20 Prozent Autoverkehr aus dem Stuttgarter Kessel bekommen, und die Diskussion über das Wie läuft. Uns geht’s um sinnvolles Verkehrsmanagement, um die Weiterentwicklung des ÖPNV in der Region und damit letztlich um den Wirtschaftsstandort. Bei der S-Bahn können wir das heute schon. Und andere Verkehrsmittel müssen genauso konsequent und bedarfsgerecht weiterentwickelt werden.
Einspruch: Viele behaupten, Sie sollen sich erst mal um eine pünktliche S-Bahn kümmern.
Wir haben einen sehr guten Vertrag mit der Bahn abgeschlossen, mit mehr Komfort und Qualität, und das zu einem günstigeren Preis. Nun liegt es an der Bahn, ihren Vertrag zu erfüllen. Die Art und Weise, wie das bisher gemacht wird, ist nicht hinnehmbar. Aber der Verband ist weder Betreiber noch können wir ins operative Geschäft eingreifen. Diese vertragliche Konstruktion war von den Landkreisen ausdrücklich so gefordert.
Wie soll es weitergehen?
Die Zuständigkeit des Verbands Region Stuttgart für die S-Bahn hat sich bewährt. Darauf sollten wir aufbauen. Wir alle sind es den Fahrgästen schuldig, dass die unterschiedlichen Verkehre nahtlos ineinander greifen. Deshalb brauchen wir einen Nahverkehr aus einem Guss. Ich hoffe, dass dies auf dem Verhandlungsweg möglich wird.
Und wenn nicht?
Dann muss der Gesetzgeber die künftige Verantwortlichkeit klären – das ist der Landtag.