„Schwäbisch löst bis heute in mir eine warme Erinnerung an ganz früher aus“, erzählt Steffen Seibert. Foto: Georg Moritz

Regierungssprecher Steffen Seibert redet in unserer schwäbisch-preußischen Gesprächsreihe über seine Stuttgarter Vergangenheit, seine Zusammenarbeit mit Angela Merkel in der Gegenwart und darüber, warum er noch keine Pläne für seine Zukunft ohne die Bundeskanzlerin macht.

Berlin - Treffpunkt Berlin-Mitte, auf eine Maultasche mit Steffen Seibert. Der 58-Jährige ist Sprecher der Bundesregierung und damit auch von der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das macht gelegentlich vorsichtig, wie er einräumt, aber auch Freude.

 

Herr Seibert, wir testen gleich bei der Bestellung Ihr Schwäbisch: Hätten Sie die Maultaschen gerne „gschmälzt“ oder „en dr Bria“?

Ich nehme die geschmälzten mit Kartoffelsalat und dazu noch eine Butterbrezel.

Das hört sich so an, als seien Ihre schwäbischen Wurzeln noch intakt?

Ich bin jedenfalls der Sohn eines Schwaben, eines Stuttgarters und habe einen großen Teil meiner Kindheit in Stuttgart verbracht. Wir waren kein schwäbischer Musterhaushalt, in dem die Mutter Spätzle geschabt hätte – sie ist Hannoveranerin. Schwäbisch löst bis heute in mir eine warme Erinnerung an ganz früher aus, an alte Tanten, Schulkameraden, Nachbarn. Und der schwäbischen Küche kann ich bis heute nicht widerstehen.

Was verbinden Sie mit Stuttgart?

Als ich Kind war, lebten wir in Sillenbuch. Der Eichenhain war Spielgelände im Sommer und Rodelbahn im Winter. Zur Schule ging ich erst in Sillenbuch, dann aufs Wilhelms-Gymnasium in Degerloch. An der Geroksruhe war ich im Tennisclub, Freunde lebten in Sonnenberg oder am Frauenkopf – das waren die Schauplätze meiner Stuttgarter Kindheit. Später, nach der Scheidung meiner Eltern, zog ich mit meiner Mutter nach Hannover, da begann dann ein anderes Kapitel. Aber ich habe immer noch einen festen Stuttgart-Bezug, weil ein Teil meiner Familie dort lebt. Ich bin vor einiger Zeit die Orte meiner Kindheit in Stuttgart abgefahren und abgelaufen, da wurde ich doch schwer sentimental.

In Berlin gibt es genug Schwaben, um in Erinnerungen zu schwelgen. Für Ihre Arbeit gilt das nicht – kein Bundesministerium hat jemanden aus dem Südwesten an der Spitze.

Der Südwesten ist dennoch gut vertreten: Ich sitze in Kabinettssitzungen neben Annette Widmann-Mauz, unserer Staatsministerin für Integration. Sie ist ein schönes Beispiel schwäbischer Liberalität, und ich vermute, dass sie auch noch breiter Schwäbisch sprechen kann, als sie es uns da zeigt.

Am besten kennen Sie sich natürlich in Bezug auf Angela Merkel aus, deren Sprecher Sie sind. Woher wissen Sie eigentlich, was die Kanzlerin zu diesem und jenem denkt? Machen das die vielen Jahre an ihrer Seite? Oder sprechen Sie sich bei jedem Thema ab?

Erfahrung hilft, reicht aber nicht aus. Dadurch, dass ich seit 2010 dabei bin, habe ich viele unserer politischen Aufgaben von Anfang an begleiten können. Die Ukrainepolitik seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland zum Beispiel, den ganzen Komplex der Migrations- und Flüchtlingspolitik oder die Energiewende, nachdem mit Fukushima ein großes Umdenken einsetzte. Das A und O aber ist, permanent miteinander im Gespräch zu sein.

Wie läuft das ab?

Das Schöne an der Zusammenarbeit mit der Bundeskanzlerin ist unter anderem, dass sie ihren Regierungssprecher sehr nah an ihre Arbeit heranlässt. Ich kenne Kollegen in anderen Ländern, die weit weniger aus erster Hand mitbekommen. Vor Regierungspressekonferenzen sprechen wir immer, wenigstens kurz, darüber, worauf es an dem Tag ankommen könnte.

Nicht alle Hauptstadtjournalisten sehen in Ihnen einen Glücksfall. Sie kennen sicher die Beschwerden, dass Sie oft zugeknöpft sind.

Es wäre seltsam, wenn Journalisten das nicht sagen würden. Du lernst als Regierungssprecher sehr schnell, dass schon Halbsätze Eilmeldungen auslösen können. Darin liegt doch einiges an Verantwortung, und das macht gelegentlich vorsichtig. Insofern verstehe ich, wenn Journalisten nach der Regierungspressekonferenz manchmal denken, da hätte Seibert mehr sagen können. Aber es gibt immer Gründe, warum ich an dem Tag nicht mehr sage, sondern vielleicht erst zwei Tage später, weil sich die Dinge noch entwickeln oder die Regierung noch intern über ihre Position zu einer Frage diskutiert. Über spannende nachrichtendienstliche Themen etwa, die natürlich immer besonders interessieren, darf ich ohnehin gar nicht in der Öffentlichkeit sprechen, sondern da informieren wir nur die geheim tagenden Gremien des Bundestags. Aber ich versichere Ihnen: Meine Kollegen und ich arbeiten jeden Tag dafür, die Medien und die Bürger so gut und so transparent wie möglich und vor allem immer wahrhaftig zu informieren.

Fällt es Ihnen eigentlich schwer, die eigene Meinung zurückzustellen? Die wird sich vermutlich nicht immer exakt mit der Position der Bundesregierung decken.

Sie werden bei niemandem in einer Koalitionsregierung hundertprozentige Übereinstimmung mit allen Beschlüssen finden. Kompromisse gehören zu unserer Demokratie. Sie sind eine Stärke und kein notwendiges Übel, deswegen vertrete ich sie auch überzeugt. Aber natürlich brauche ich als Regierungssprecher das Gefühl, mit den Zielen und wesentlichen Vorhaben der Regierung, die ich vertrete, übereinzustimmen. Und vor allem brauche ich die Gewissheit, für die richtige Regierungschefin zu arbeiten – und die habe ich.

Die Maultaschen kommen. Guten Appetit!

Die sind echt gut. Ich mag auch unheimlich gerne Linsen mit Spätzle. Das koche ich auch oft selbst, mit den Linsen von der Alb, die es jetzt wieder gibt.

Das kommt nicht so häufig vor, oder?

Kochen? Doch, am Wochenende regelmäßig, in der Woche selten. Meine Arbeitstage sind ja nicht ganz berechenbar, aber genauso mag ich es. Maximale Berechenbarkeit hatte ich viele Jahre beim Fernsehen. Da wusste ich schon fünf Monate im Voraus, an welchem Tag ich als Moderator dran war. Jetzt bin ich auf andere Art verplant, aber ich weiß, dass sich ständig etwas ändert. So ist es mir lieber.

Machen Sie sich schon Gedanken über die Zeit danach? Angela Merkel, die Sie geholt hat, wird maximal bis 2021 im Amt bleiben.

Nein, ich denke darüber jetzt nicht nach. Es käme mir wie ein Misstrauensvotum gegen die Arbeit vor, die mich jetzt ganz ausfüllt und ausfüllen sollte. Außerdem vertraue ich darauf, dass das Neue sich ergeben wird. Ich habe 2010 auch nicht geahnt, dass mir der Posten des Regierungssprechers angeboten und meinem Leben eine ganz andere Richtung gegeben würde.

Seither ist es aufs Engste mit der Kanzlerin verknüpft, nicht viele dürften sie so gut kennen. In der Bevölkerung dagegen begegnet einem immer wieder die Frage, wie Angela Merkel wirklich ist, da sie ihr Innerstes nicht nach außen trägt. Helfen Sie uns?

Sie ist ein sehr warmherziger und kluger Mensch.

Was macht das mit einem, so lang zum inneren Machtzirkel der Regierung zu gehören?

Machtzirkel ist ganz sicher nicht das Wort, das ich im Kopf habe, wenn ich morgens ins Kanzleramt komme und die Kollegen und Kolleginnen treffe. Meine Frau hätte möglicherweise ein paar Antworten auf die Frage, was die Arbeit mit mir macht, aber das wird sie mir exklusiv erzählen.

Allein die Belastung hinterlässt Spuren.

Das klingt viel zu negativ. Das Leben hinterlässt immer Spuren. Meine Arbeit ist eine Ehre und ein Privileg, da gibt es nichts zu jammern.

Vor fast zehn Jahren haben Sie die Sendung „Ich kann Kanzler“ moderiert und in einem Interview gesagt, Sie würden den Job nicht wollen. Hat sich daran etwas geändert?

Es bleibt dabei: Ich könnte nicht Kanzler. Dafür sind Eigenschaften und Fähigkeiten nötig, die ich nicht habe.

Sie sagten damals auch, dass die große Koalition eine Ausnahme bleiben müsse.

Es legt ja auch heute niemand darauf an, immer neue große Koalitionen zu bilden. Es hätte in dieser Legislaturperiode anders kommen sollen, aber aus Jamaika wurde nichts, und am Ende war es in einer schwierigen Lage im Interesse unseres Landes, dass diese Koalition aus Union und SPD doch wieder zustande kam.

Hat sich Ihr Blick auf Politik sehr verändert, seit Sie Teil davon geworden sind?

Mein Eindruck von der Politik war schon vorher, dass wir in Deutschland im Großen und Ganzen mit unseren Parteien und Politikern Glück haben – und das hat sich für mich seither vielfach bestätigt. Es wird hart gearbeitet. Fähige Menschen stellen sich in den Dienst unserer Demokratie. Es ärgert mich, wenn ich Menschen sagen höre, Politiker seien abgehoben und hätten keine Ahnung mehr vom Alltag und den Sorgen der Bürger. Bundestagsabgeordnete sind ständig in ihren Wahlkreisen unterwegs und ansprechbar. Sie müssen genau wissen, was los ist. Das gilt übrigens genauso für die Bundeskanzlerin mit ihrem vorpommerschen Wahlkreis.

Trotzdem sehen das viele anders, die Polarisierung der Gesellschaft hat zugenommen, das politische System ist unter Druck.

Das lässt sich nicht leugnen. Aber ich bin sicher und erlebe es auch landauf, landab: Die allermeisten Menschen schätzen unsere Demokratie, unsere Freiheit und die soziale Marktwirtschaft, die uns Wohlstand und Absicherung gebracht hat. Nur, und das spüren wir alle jetzt vielleicht deutlicher als vorher: Wir können nicht davon ausgehen, dass es einfach immer so weitergehen wird. Die Freiheit hat Feinde, die unser Zusammenleben in Vielfalt aufkündigen wollen. Wir müssen uns also wieder mehr reinhängen für die Grundwerte dieses Landes. Jetzt feiern wir ja bald 70 Jahre Grundgesetz, das ist keine Gedenkfeier, sondern ein hochaktueller Termin.

Wenn Sie erkennen, was Ihnen gerade zu Ihrem Nachtisch-Cappuccino serviert wurde, haben Sie den Schwäbisch-für-Fortgeschrittene-Test bestanden.

Das sind Wibele. Die hatte ich schon ewig nicht mehr – was ganz Feines.