Skandalpolitiker: AfD-Frau von Storch (li.) wird im EU-Parlament ausgegrenzt Foto: dpa

Der französische Front National hat so manches mit der AfD gemeinsam. Nach außen sind sie auf Konfrontationskurs gegen die Etablierten programmiert – nach innen machen ihnen Querschüsse aus den eigenen Reihen zu schaffen.

Paris/Brüssel - Auch in Frankreich wird der Aufstieg der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) aufmerksam beobachtet. Mit dieser Sorte Partei hat man links des Rheins ja schon lange Erfahrung: Dem Front National (FN) ist längst ein Stammplatz in der politischen Landschaft sicher. Der langjährige Deutschland-Korrespondent der Tageszeitung „Le Parisien“, Christophe Bourdoiseau, zieht einen Vergleich mit der AfD – beide Parteien seien „gegen das System, gegen Europa, gegen den Islam“ und „bieten Rezepte, die unsere demokratischen Werte infrage stellen“. Er warnt davor, die AfD nicht ernst zu nehmen: „Französische Politiker haben gedacht, sie könnten weiterregieren, ohne den FN zu berücksichtigen. Die Medien haben ebenfalls zu lange den FN boykottiert – besser: ignoriert –, statt dessen Argumente mit Fakten zu konfrontieren.“

Was die AfD betrifft, kann jedenfalls von einem Medienboykott keine Rede sein, die Partei, die ihren Aufstieg der Euro-Krise verdankte, steht seit Monaten unter scharfer Beobachtung – umso mehr als es in ihren Reihen mitunter heftig rumpelt. Mitte vergangenen Jahres etwa, als Bernd Lucke als Parteisprecher hinwarf und Frauke Petry den Chefsessel übernahm. Und vor wenigen Wochen sorgte der Rechtsausleger Björn Höcke aus Thüringen für Aufsehen, weil er sich allzu forsch rechtsextremen Standpunkten annäherte. Nun kommt neues Ungemach auf die Partei zu: Nach den umstrittenen Äußerungen über einen Schießbefehl gegen wehrlose Flüchtlinge forderte die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) im Europäischen Parlament die beiden noch verbliebenen AfD-Vertreter, Beatrix von Storch und Marcus Pretzell, auf, das Parteienbündnis bis Ende März zu verlassen. Andernfalls werde man am 12. April über einen Zwangsausschluss abstimmen.

Schießbefehl-Diskussion in Deutschland

Zu der EKR gehören nicht nur die britischen Konservativen, die sich nicht der christdemokratischen EVP-Mehrheitsfraktion anschließen wollten, sondern auch die umstrittene polnische Regierungspartei PiS, die rechtsgerichteten „Wahren Finnen“  und weitere EU-kritische Parlamentarier – darunter auch die fünf Abgeordneten der durch die Abspaltung von der AfD entstandenen Alfa-Gruppe. „Selbst für stramm Konservative der EKR-Fraktion sind Beatrix von Storch und Marcus Pretzell untragbar“, kommentierte der Europa-Abgeordnete Jo Leinen (SPD) die Entscheidung. „Mit dem Rauswurf aus der konservativen EKR-Fraktion verliert die AfD nun auch den letzten Rest ihrer bürgerlichen Fassade“, sagte der FDP-Europa-Parlamentarier und Vizepräsident des EU-Abgeordnetenhauses, Alexander Graf Lambsdorff.

„Eine Partei, die einen radikalen Walzer mit der FPÖ tanzt, mit Le Pen flirtet und bei der Ukip Händchen hält, hat den politischen Ehebruch mit meiner Fraktion längst vollzogen“, betonte Arne Gericke von der Deutschen Familienpartei, der ebenfalls der EKR angehört und den Ausschluss maßgeblich mitbetrieben hatte.

Die Schießbefehl-Diskussion in Deutschland war zunächst von AfD-Chefin Frauke Petry losgetreten worden, die in einem Interview mit dem „Mannheimer Morgen“ die Auffassung vertreten hatte, Flüchtlinge müssten am illegalen Grenzübertritt notfalls mit der Schusswaffe gehindert werden. Kurz darauf beantwortete von Storch die Frage: „Wollt ihr etwa den Zutritt von Frauen und Kinder mit Waffengewalt verhindern“, mit „Ja“. Später ruderte sie zurück und erklärte ihre Antwort mit dem Hinweis, sie sei auf der Computermaus „abgerutscht“.

Widerstand aus den Reihen der Abgeordneten

Innerhalb des EU-Parlaments wird die Gangart gegen rassistische oder neonazistische Politiker seit einiger Zeit verschärft. Erst am Mittwoch verwies Parlamentspräsident Martin Schulz den fraktionslosen Griechen Eleftherios Synadinos wegen entsprechender Äußerungen des Saales.

Von Storch und Pretzell, der mit AfD-Chefin Petry liiert ist, werden in Straßburg und Brüssel „gute Kontakte“ zu anderen rechtsgerichteten Parteien vorgeworfen – darunter auch der rechten Fraktion, in der die Vertreter des französischen Front National und der Wilders-Partei PVV aus den Niederlanden zu Hause sind. Beobachter halten eine Abwanderung der AfD-Politiker zu diesem Bündnis für denkbar. Ansonsten müssten beide als fraktionslose Volksvertreter weitermachen.

Doch auch aus den Reihen dieser Abgeordneten gibt es bereits Widerstand. Der Europa-Abgeordnete der Spaßpartei „Die Partei“, der Satiriker und ehemalige „Titanic“-Chefredakteur Martin Sonneborn, erklärte am Mittwoch ironisch: „Die Gruppe der fraktionslosen Abgeordneten aus überzeugten Monarchisten, Antisemiten, Kommunisten, Nazis, Spaßpolitikern und Jean-Marie Le Pen hat kein Interesse daran, dass ihr Ansehen durch zwei AfD-Politiker vom Schlage Strolch/Pretzell beschädigt wird.“

Auf die Skandalfreiheit kommt es an

Solche Verwerfungen kennt man derzeit vom FN nicht. Längst ist die französische Rechtsextreme fest in der Hand von Marine Le Pen, Tochter des Parteigründers Jean-Marie Le Pen. Sie weiß, wo die politischen Fallstricke liegen. Ihr Vater, der die Gaskammern der Nazis als „Detail der Geschichte“ bezeichnet hatte, wurde unsanft aus der Partei ausgeschlossen. Sie und die Le-Pen-Enkelin, die 26-jährige Parlamentsabgeordnete Marion Maréchal-Le Pen, werden heute selbstverständlich in Talkshows oder Radiosendungen eingeladen. Auf die Skandalfreiheit kommt es an.

Seit sie Anfang 2011 den Vorsitz übernahm, hat Marine Le Pen Frankreichs Zwei-Parteien-System durchbrochen und serienweise Erfolge erzielt: Bei den Präsidentschaftswahlen 2012 übertraf sie mit einem Stimmenanteil von 18 Prozent ihren Vater. Inzwischen ist der FN nicht nur in traditionellen Hochburgen wie dem wirtschaftsschwachen Norden oder in der von Einwanderung geprägten Südost-Region Provence-Alpes-Côte d’Azur stark – auch in der Bretagne und im Südwesten hat sie kräftig zugelegt.

Strategie der „Entdämonisierung“

Das illustriert, dass Marine Le Pens Strategie der „Entdämonisierung“ aufgegangen ist, um den FN gesellschaftsfähig zu machen. Sie verbot das Tragen von Nazi-Symbolen bei Parteiveranstaltungen. FN-Kandidaten, die sich offen rassistisch äußern, droht der Ausschluss. Die Sprache ist glatter geworden, doch an der Spaltpilz-Ideologie hat sich wenig geändert – von der Stimmungsmache gegen Muslime über die Forderung nach einer „nationalen Präferenz“ bei der Vergabe von Jobs oder Wohnungen bis zu jener nach der Wiedereinführung der Todesstrafe. Auch wirbt Marine Le Pen, EU-Parlamentarierin wie ihr Vater, für ein Austreten Frankreichs aus der Euro-Zone und sucht EU-weit Allianzen mit anderen Rechtspopulisten. Die 47-Jährige will bei den Präsidentschaftswahlen 2017 zumindest die Stichrunde erreichen.

Der FN ist von der Macht jedenfalls nicht mehr allzu weit entfernt – im Gegensatz zur deutschen AfD. Das kann sich aber ändern, wie das französische Beispiel zeigt.