Nach wie vor ist der Radsport nicht sauber. Aber die Aufarbeitung der Doping-Vergangenheit schreitet voran. Foto: Getty

Der Radsport kümmert sich nicht nur um seine schmutzige Vergangenheit, er stellt sich auch die Frage, wie sauber das aktuelle Peloton ist. Die Antwort: Es wird weiter betrogen – aber nicht mehr so systematisch wie früher.

Aigle/Schweiz - Pünktlich zu den ersten wichtigen Rennen des Frühjahrs hat der Radsport-Weltverband (UCI) eine weitere Etappe im Kampf gegen Doping beendet – und das durchaus erfolgreich. „Bei diesem Thema“, verspricht Präsident Brian Cookson, „werden wir nicht länger auf einem Auge blind sein.“

Das klingt einerseits gut, trifft andererseits aber nicht einmal annähernd, was früher wirklich gelaufen ist. Denn Cooksons Vorgänger Hein Verbruggen und Pat McQuaid drückten nicht nur beide Augen zu, sie waren sogar Handlanger des weltbesten Radfahrers und Hochleistungsdopers Lance Armstrong. Dies geht aus einem 227 Seiten starken Bericht einer dreiköpfigen Kommission hervor, die ein Jahr lang die Doping-Vergangenheit von 1998 bis 2013 im Radsport aufarbeitete. Dabei kam heraus: Armstrong hatte pharmazeutische Narrenfreiheit – und die UCI-Bosse vertuschten alles. „Zahlreiche Beispiele wurden gefunden, die zeigen, dass die UCI Armstrong ‚verteidigt‘ oder ‚geschützt‘ hat“, heißt es in dem am Montag veröffentlichten Report.

Die Liste der Anschuldigungen reicht von gravierenden Verstößen gegen das eigene Anti-Doping-Reglement über Klüngelei bis zu Vetternwirtschaft und Korruption. Aus Sicht der UCI-Führung sei Armstrong die „perfekte Wahl“ gewesen, um den Sport nach dem Doping-Skandal 1998 um das Festina-Team wieder zu alter Größe zu führen. Der Niederländer Verbruggen, heute UCI-Ehrenpräsident, hatte jedoch nicht nur die Wachstumspläne des Verbandes im Blick, sondern „mehr als alles andere seine eigene Macht“.

Armstrong verpetzte Kollegen

Dafür habe die UCI Armstrong von Regeln befreit und es verpasst, ihn trotz aller Doping-Verdächtigungen gezielt zu testen. Der siebenmalige Triumphator der Tour de France, dem alle Siege aberkannt worden sind, dankte dem Verband diese Bevorzugung auch, indem er Kollegen verpetzte. „Vor der Tour 2003 und auch 2009 warnte Armstrong die UCI vor den Gefahren des Dopings mit künstlichem Hämoglobin und Aicar im Peloton“, heißt es in dem Bericht. Zuvor hätten einige Fahrer bei der Dauphine-Rundfahrt „unglaubliche Leistungen“ gezeigt – und der Systemdoper fürchtete um seine Pole-Position, wenn die anderen mal etwas vermeintlich Besseres im Tank hatten. Heute sagt Armstrong heuchlerisch zu dem Bericht: „Ich hoffe, dass die Wahrheit den Sport, den ich liebe, in eine leuchtende, dopingfreie Zukunft führt.“

Der Politiker Dick Marty aus der Schweiz, der deutsche Jurist Ulrich Haas und der australische Strafverfolger Peter Nicholson führten während ihrer Untersuchung 174 Interviews. Unter den Gesprächspartnern waren allerdings überraschend wenig Profis und Ex-Profis – nur 16, darunter neben Armstrong auch der Deutsche Jörg Jaksche. Lediglich ein Mediziner wurde befragt.

Das verwundert, geht die Kommission doch von mindestens 69 Ärzten aus, die in den 15 Jahren im Radsport als Komplizen und nicht selten Anstifter tätig waren. Ebenfalls keine Rolle in den Ermittlungen spielte Hans Holczer, Ex-Teamchef bei Gerolsteiner und Katjusha. „Ich wäre gerne befragt worden“, sagt der Herrenberger, „auch weil ich ein paar Fragen gehabt hätte – zum Beispiel, warum nach der Tour 2008 nur Gerolsteiner-Fahrer positiv auf das Blutdopingmittel Cera getestet wurden und sonst niemand.“

Doping-Mentalität noch lange nicht ausgerottet

Höchst interessant an dem Report ist nicht nur der Blick in die Vergangenheit, die drei Ermittler haben sich auch um die Gegenwart gekümmert. Ergebnis: Die Doping-Mentalität im Radsport ist noch lange nicht ausgerottet. Fahrer seien zu Mikrodosierungen von Epo und geringeren Bluttransfusionen übergegangen – unter kompetenter Anleitung. Zeugen sagten aus, dass neben weiteren belasteten Ärzten auch der spanische Blutdoping-Doktor Eufemiano Fuentes trotz seines Berufsverbots noch Kunden aus dem Radsport habe.

Eine Hilfe beim Betrug sei zudem, dass die Fahrer wissen, dass sie nachts nicht getestet werden. So können sie sich abends ohne Sorge eine Mikrodosis Epo spritzen. Die Kommission forderte deshalb nicht nur, dass sich Regierungen intensiver um den Kampf gegen Doping kümmern müssten, sie regte auch Tests in der Nacht an. Und sie empfahl eine Veränderung bei der Vergabe therapeutischer Ausnahmegenehmigungen: „Eine Quelle sagte, dass 90 Prozent dieser Genehmigungen fürs Doping genutzt werden.“

Obwohl viele der befragten Fahrer der Meinung sind, Doping im Peloton sei heute noch „weit verbreitet“ (einer sprach gar von 90 Prozent gedopten Radprofis), ist die Kommission von einer Klimaverbesserung überzeugt. Der Betrug müsste inzwischen verborgen und individuell arrangiert werden, er finde nicht mehr systematisch in den Teams statt. Der Leistungsvorteil durch Doping sei deshalb von „zehn bis 15 Prozent in den Hochzeiten auf jetzt drei bis fünf Prozent“ zurückgegangen. Radprofis könnten daher „wieder an eine saubere Karriere glauben“. Genau diese Fahrer hat auch UCI-Boss Cookson im Blick, wenn er sagt: „Wir werden den Leuten nicht länger helfen, Doping zu vertuschen.“