Vorbildlich: Johannes Bohle fährt jeden Tag – außer im Winter, wenn die Straßen vereist sind – den Weg zur Arbeit von Feuerbach und wieder zurück mit dem Fahrrad. Foto: Stadt Leonberg

Seit gut einem Jahr ist Johannes Bohle Radverkehrskoordinator in Leonberg. Er will die Stadt unterm Engelberg fahrradfreundlich machen. Er weiß, dass dies Zeit braucht.

Nur vor eisigen Straßen im Winter schreckt er zurück. In solchen Fällen nimmt er die öffentlichen Verkehrsmittel. Ansonsten radelt Johannes Bohle, wenn möglich, jeden Tag zu jeder Jahreszeit von Feuerbach zu seinem Arbeitsplatz im Leonberger Rathaus und abends wieder zurück nach Hause. Mit reiner Muskelkraft, ohne Elektro-Antrieb. „Das ist mein täglicher Sport“, sagt der 36-Jährige. Und damit lebt er das vor, wofür er vor gut einem Jahr als Radverkehrskoordinator in der Stadt unterm Engelberg eingestellt wurde.

Das Auto einfach mal stehen lassen

Er soll die Stadt unterm Engelberg fahrradfreundlich machen, und damit auch ein Stück weit lebenswerter. Das Fahrrad soll alltägliches Mobilitätsmittel möglichst vieler Menschen in Leonberg werden. Mit Beschluss des Gemeinderates im Februar 2022 wurde diese Personalstelle geschaffen, die dem Referat für innovative Mobilität zugeordnet ist. Sie wird zur Hälfte vom Land Baden-Württemberg finanziert. Schließlich hat das Verkehrsministerium das Ziel ausgerufen, dass bis zum Jahr 2030 der Verkehr deutlich weniger CO2 produzieren soll. Ein konkretes Vorhaben lautet, den ÖPNV zu verdoppeln und die Autos auf der Straße zu minimieren. Was den Rad- und Fußverkehr betritt, gibt es ebenfalls konkrete Vorgaben: Jeder zweite Weg soll bis 2030 selbstaktiv zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt werden.

Johannes Bohle ist promovierter Geograf und kommt ursprünglich aus Ravensburg. Er studierte in Karlsruhe und Basel. 2013 ging er zur Promotion nach Bielefeld und lehrte anschließend in Flensburg Geografie. Die Sehnsucht nach dem Süden brachte ihn zurück nach Baden-Württemberg. Seine Stelle als Radverkehrskoordinator bei der Leonberger Stadtverwaltung nennt er einen glücklichen Zufall. „Das Thema Verkehrsplanung mit dem Schwerpunkt Rad hat mich schon lange beschäftigt.“ Und welchen Eindruck hatte Johannes Bohle, als er erstmals Leonberg mit dem Rad erkundete? „Mir wurde versprochen, dass es viel zu tun gibt. Das hat sich bewahrheitet, Leonberg ist eine autogerechte Stadt, und ich bin beeindruckt, wie viele Radfahrer es dennoch gibt.“

Warum das Radverkehrskonzept nicht umgesetzt wurde, ist ihm ein Rätsel

Er hat sich in die lange Geschichte der lokalen Agenda-Gruppe RadL eingelesen, die 1996 gegründet wurde und seitdem mühsam um bessere Bedingungen für Radfahrer in der Stadt kämpft. Und bei seinen ersten Recherchen ist er natürlich auch auf das im Jahr 2013 beschlossene Leonberger Radverkehrskonzept gestoßen. „Das hat viele gute Ansätze und ist eine fundierte Grundlage für die künftige Arbeit. Warum es nie umgesetzt wurde, ist mir ein Rätsel.“

Es sei inzwischen viele Jahre alt. Daher bestehe ein großer Nachholbedarf, „um ein flächendeckendes Radnetz in Leonberg zu etablieren. Für die Stadt liegen allerdings nur wenige Daten zum Radverkehr vor“, sagt Johannes Bohle. Eine laufende und systematische Auswertung habe in der Vergangenheit nicht stattgefunden. „Die jüngsten Daten sind inzwischen 25 Jahre alt.“ Deshalb sei eine so genannte Modal-Split-Erhebung noch in diesem Jahr für den Herbst geplant. Diese beschreibt die prozentualen Anteile verschiedener Verkehrsmittel in der Stadt. Ein Förderantrag wurde im Januar 2023 beim Regierungspräsidium Stuttgart eingereicht und bereits bewilligt.

Der ambitionierte Radfahrer Bohle schaut sich gerne gelungene Projekte anderer Städte an. Karlsruhe, Hamburg, Kopenhagen und natürlich viele Beispiele in den Niederlanden. Er weiß aber auch, dass er in Leonberg einen langen Atem benötigt, um die Kultur des Radfahrens zu etablieren. Immerhin: In Planung seien Radwege im westlichen Teil der Römerstraße, zwischen Obi-Kreisel und Gebersheimer Straße. Die Glemseckstraße ist im Radverkehrskonzept als Hauptradroute definiert. Der Gemeinderat hat die Finanzierung bereits beschlossen.

Wann wird der Radweg nach Ditzingen gebaut?

Ein Sorgenkind ist der geplante und von Bürgern lang ersehnte Radweg in Richtung Ditzingen. Viel wurde diskutiert, noch ist nichts passiert. „Der Grunderwerb läuft gerade, auch die Belange von Natur- und Artenschutz müssen berücksichtigt werden.“ Im Planungsprozess befinde sich der Radschnellweg von Weil der Stadt über Leonberg, Ditzingen nach Ludwigsburg. Auf der Agenda stehe die Umgestaltung der Sonnenkreuzung sowie der Lückenschluss auf dem Glemsmühlenweg.

Beim Blick auf das große Ganze schaut der Radverkehrskoordinator gerne auch nach kleinen Lösungen. So sind zwei weitere Regio-Radstationen, im Längenbühl und im Bereich Jahnstraße/Strohgäustraße, in Betrieb. Seit kurzem gibt es Radservicestationen am Leobad sowie an der Höfinger Tennisanlage. Eine weitere wird vor der Georgii-Halle installiert. Eine Radabstellanlage ist auf dem Marktplatz geplant, die am S-Bahnhof in Höfingen soll erneuert und von acht auf 50 Plätzen erweitert werden.

Beim Klimatest machen viele Leonberger mit

Beim jüngsten Klimatest des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs ADFC schnitt die Stadt unterm Engelberg nicht gut ab. Relevant sind Themen wie die Erreichbarkeit des Stadtzentrums, in Gegenrichtung geöffnete Einbahnstraßen, zügiges Radfahren, Breite der Wege für Radfahrende, Falschparkkontrolle auf Radwegen oder Führung an Baustellen. Positiv bewertet Johannes Bohle zumindest die Tatsache, dass sich so viele Bürgerinnen und Bürger daran beteiligten wie noch nie zuvor. Denn auch sie wissen: Es gibt noch viel zu tun in der Stadt.