Pfarrer Stefan Spitznagel ist einer von 124 Beschäftigten der katholischen Kirche, die sich im Rahmen von #outinchurch als homosexuell geoutet haben. Foto: Archiv (Werner Kuhnle)

Das Outing des Marbacher Pfarrers Stefan Spitznagel bewegt – hoffentlich auch die Kirche. Denn es ist längst an der Zeit, Schuld anzuerkennen und Reformen umzusetzen.

Marbach - Es ist ein großer, ein mutiger Schritt, den Stefan Spitznagel gemacht hat. Ein Schritt, der Respekt verdient. Zusammen mit 124 Mitarbeitenden der katholischen Kirche hat sich der Pfarrer aus Marbach geoutet und sich gegen eine römisch-katholische Kirche gestellt, die Menschen ausgrenzt, diskriminiert und Angst macht. Menschen, die nicht in das klassische, nein, in das veraltete Bild von Sexualität passen: Frau liebt Mann, Mann liebt Frau. Spitznagel will Mut machen, will verkrustete Strukturen aufbrechen und einen Prozess anstoßen, an dessen Ende auch eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechtes steht. Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität dürfen keine Kündigungsgründe mehr sein. Dass sie es sind, ist ein Skandal. Ein Skandal mehr, dem sich die katholische Kirche stellen muss. Schnell. Aufrichtig. Ernsthaft.

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Ein System aus Diskriminierung und Machtmissbrauch

Acht Jahre lang recherchierte Kollege Hajo Seppelt zum Umgang der katholischen Kirche mit nicht-heterosexuellen Menschen, die in der Institution auf ganz unterschiedlichen Ebenen Dienst leisten. Er brachte ein System aus Diskriminierung, Machtmissbrauch, Einschüchterung und Denunziation ans Licht, das zum Himmel stinkt. Im Mittelpunkt der Dokumentation „Wie Gott uns schuf“, die am Montag in der ARD ausgestrahlt wurde: Die Opfer– gläubige Christen, die an ihren Verletzungen, an ihrer Verzweiflung, aber auch an ihrem Kampf um Gerechtigkeit und ihren Platz in der katholischen Kirche teilhaben lassen.

Die Kirche sollte auf Augenhöhe mit den Menschen sein

Der Film wühlt auf. Er berührt. Er macht wütend, aber auch dankbar. Dankbar für den Mut der 125 queeren Katholiken, die sich nicht mehr verstecken wollen. So wie Stefan Spitznagel. Der Geistliche hat sich noch nie versteckt. Seit vielen Jahren segnet er gleichgeschlechtliche Paare. Seit vielen Jahren steht er für eine Kirche, die verbindet und nicht trennt. Für eine Kirche, die mitten unter den Menschen ist, auf Augenhöhe mit ihnen. Dass der Kirchengemeinderat sich mehrheitlich hinter ihn stellt, ist ein wichtiges Signal.

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Es ist längst fünf nach Zwölf

Der Missbrauchsskandal sowie die Abgründe, die durch die Outing-Kampagne aufgezeigt werden, zwingt die katholische Kirche in eine tiefe Krise. Eine Krise, die aber auch Chance sein kann. Denn es ist nicht fünf vor Zwölf, es ist längst fünf nach Zwölf. Allein in Bayern sehen sich die Kommunen mit einer Flut von Kirchenaustritten konfrontiert. Zu viel Vertrauen wurde verspielt. Immer wieder. Es ist an der Zeit, Schuld anzuerkennen. Es ist an der Zeit, Reformen umzusetzen. Nur so kann Vertrauen zurückgewonnen werden. Danke, Herr Spitznagel!

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